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Sonntag, 23. Januar 2011

SPD will Korruption im Gesundheitswesen härter bestrafen

Von: Deutscher Bundestag / Pressemitteilung

Korruption im Gesundheitswesen muss wirksamer bekämpft werden. Dies fordert die SPD-Fraktion in einem Antrag (17/3685), in dem sie vorschlägt, das Strafgesetzbuch so zu ändern, dass Korruptionshandlungen niedergelassener Vertragsärzte Straftatbestände darstellen. Durch entsprechende gesetzliche Regelungen sei sicherzustellen, das systematische Falschabrechnungen von Krankhäusern mit spürbaren Sanktionen geahndet werden, heißt es weiter. Weiter müssten die Länder besonders qualifizierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Ermittlungsgruppen bei der Kriminalpolizei errichten, fordern die Sozialdemokraten.

Durch Korruption, Abrechnungsbetrug und Falschabrechnungen gingen der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr erhebliche Summen an Versichertengeldern verloren, begründen die Parlamentarier ihre Initiative. Schätzungen zufolge seien dies zwischen 5 und 18 Milliarden Euro pro Jahr.

Lesen Sie den dazu den nachfolgenden Antrag (17/3685) der SPD-Fraktion im Bundestag

[I.] Der Bundestag wolle beschließen:

Durch Korruption, Abrechnungsbetrug und Falschabrechnung gehen der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr erhebliche Summen an Versichertengeldern verloren. Experten des European Healthcare Fraud and Corruption Network schätzen, dass die Verluste zwischen 3 und 10 Prozent der Gesundheitsausgaben betragen. Das wären in Deutschland alleine bei den gesetzlichen Krankenkassen zwischen 5 und 18 Mrd. Euro pro Jahr.

Neben dem finanziellen Schaden drohen den Patientinnen und Patienten jedoch vor allem zum Teil lebensgefährliche Nachteile bei der Behandlung, wenn z. B. für die Auswahl einer Krebstherapie nicht die medizinischen Erfordernisse den Ausschlag geben, sondern mögliche Schmiergeldzahlungen an den behandelnden Arzt.

Immer wieder wurden in der Vergangenheit Korruptionsskandale im Gesundheitswesen aufgedeckt. Fangprämien an niedergelassene Ärzte als Gegenleistung für Krankenhauseinweisungen, Falschabrechnungen in Krankenhäusern mit einem Milliardenschaden für die Krankenkassen, Schmiergeldzahlungen von Apothekern an Ärzte oder der sogenannte Herzklappenskandal sind nur einige Beispiele.

Die Fraktion der SPD hat bereits in der letzten Wahlperiode einen Vorstoß unternommen, um der Korruption im Gesundheitswesen entgegenzutreten. Die Fraktion der CDU/CSU hat sich dem jedoch mit nicht nachvollziehbaren Begründungen widersetzt. Angesichts der nun anstehenden Beitragssatzsteigerungen und der in Zukunft drohenden Kopfpauschalen muss aus Sicht der Fraktion der SPD jede Art der Verschwendung von Beitragsmitteln konsequent bekämpft werden.

[II.] Der Deutsche Bundestag fordert die Regierung auf,

  1. durch ergänzende Regelungen im Strafgesetzbuch sicherzustellen, dass Korruptionshandlungen niedergelassener Vertragsärzte Straftatbestände darstellen;

  2. durch entsprechende gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass systematische Falschabrechnungen von Krankenhäusern mit spürbaren Sanktionen geahndet werden;

  3. auf die Länder einzuwirken, damit diese besonders qualifizierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Ermittlungsgruppen bei der Kriminalpolizei zur Verfolgung von Korruption im Gesundheitswesen errichten. Begleitend sollten Angebote zur Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten mit einem möglichst einheitlichen Curriculum realisiert werden;

  4. einen besonderen, auf sozialversicherungsrechtliche Sachverhalte abzielenden Straftatbestand zu schaffen, der neben dem Vermögen die besondere Stellung der gesetzlichen Krankenversicherung und der Patientinnen und Patienten schützt;

  5. die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten als Profit-Center innerhalb der sie tragenden Organisationen zu verankern, damit der erwünschte personelle Ausbau nicht durch die von der Koalition geplante Deckelung der Verwaltungskosten der Krankenkassen verhindert wird.

[III.] Begründung

  1. Derzeit ist in der staatsanwaltschaftlichen Praxis und in der juristischen Literatur höchst umstritten, ob sich niedergelassene Vertragsärzte wegen Korruptionshandlungen strafbar machen können. In der Praxis werden Fälle berichtet, in denen krebskranke Patienten mit extrem teuren Arzneimitteln behandelt werden, von deren Einsatz der behandelnde Arzt finanziell profitiert. Ob die Behandlung auch dem Patienten nutzt, ist dann nachrangig. Selbst in einem so drastischen Fall ist es bisher nicht sicher, dass der Arzt wegen Bestechlichkeit belangt werden kann. Die Fraktion der SPD fordert, dass es einen strafrechtlichen Schutz für die Patienten geben muss, der sicherstellt, dass nicht wirtschaftliche, sondern ausschließlich medizinische Beweggründe für die Art der Behandlung maßgeblich sind. Besonders abwegig ist die bisherige Rechtslage, weil § 299 des Strafgesetzbuchs (StGB) (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) derzeit zwar auf angestellte Ärzte, z. B. in Krankenhäusern angewandt wird, nicht jedoch auf freiberuflich Tätige.

    Diskutiert werden hier sowohl die Anwendung der Amtsdelikte nach § 331 ff. StGB als auch von § 299 StGB. Zwischenzeitlich ist die Mindermeinung, die für eine Anwendung der vorhandenen Korruptionsdelikte auf niedergelassene Vertragsärzte plädiert, auch in der Praxis zwar langsam im Vormarsch (beispielsweise Generalstaatsanwaltschaften Koblenz und Braun- schweig). Ob sich diese aber, auch bei den Strafgerichten, durchsetzt, kann zurzeit noch nicht abgeschätzt werden. Es würde in jedem Fall einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Nicht zuletzt um ein politisches Signal zu setzen und um für Rechtssicherheit zu sorgen, ist eine Klarstellung durch den Gesetzgeber geboten.

  2. Die Krankenkassen sind zur Prüfung von Krankenhausrechnungen verpflichtet. Verändert sich der Abrechnungsbetrag infolge der Prüfung nicht, muss die Krankenkasse dem Krankenhaus 300 Euro pro Fall zahlen. Wenn das Krankenhaus jedoch einen Fehler gemacht hat und die Abrechnung falsch war, muss es lediglich das falsch abgerechnete Geld an die Krankenkassen zurückzahlen. Diese ungleiche Regelung schafft Anreize zur systematischen Falschabrechnung, auch wenn dies den Krankenhäusern keineswegs grundsätzlich unterstellt wird.

    Neben der entsprechenden Vorschrift nach § 275 Absatz 1c des Fünften Bu- ches Sozialgesetzbuch, wonach die Krankenkassen den Krankenhäusern eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro bei nicht erfolgreichen Prü- fungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zahlen müssen, fehlt eine entsprechende Vorschrift, die Falschabrechnungen der Krankenhäuser sanktioniert. Sonstige negative Folgen, z. B. in Form eines Bußgeldes, sind mit der fehlerhaften Abrechnung nicht verbunden. Um Anreize zur Falschabrechnung zu vermeiden, müssen neben der Rückzahlung der falschen Abrechnungen auch spürbare Sanktionen für systematische Falschabrechungen erfolgen.

  3. Die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften bzw. Verwaltungseinheiten mit sozialrechtlichem Spezialwissen muss forciert werden. Da diese Maßnahme im Verantwortungsbereich der Länder liegt, besteht keine direkte Gesetzgebungskompetenz durch den Bundesgesetzgeber. Es muss hier jedoch zumindest ein dringender Appell der Bundesregierung an die Länder erfolgen.

    Es bestehen nach den Erfahrungen der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Krankenkassen bei den Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaften, Kriminalpolizei), aber auch bei den Strafgerichten zumindest der ersten Instanz deutliche Defizite hinsichtlich der Kenntnis zwingend zu berücksichtigender sozialrechtlicher Besonderheiten. Das erforderliche Spezialwissen ist bisher nur bei den wenigen bereits eingerichteten Schwerpunktstaatsanwaltschaften bzw. speziellen Verwaltungseinheiten, z. B. in Bayern, Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen vorhanden. Es ist daher mindestens ge- boten, die Mitarbeiter von Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizei in dem für die jeweilige Region angemessenen Umfang hinsichtlich der ständigen Rechtsprechung des Bundeszozialgerichts und des Bundesgerichtshofs in Strafsachen ausreichend zu schulen.

  4. Wenn, wie gerade in den Berliner DRK-Kliniken geschehen, Ärzte eines Krankenhauses Operationen durchführen, ohne die notwendigen Qualifikationen zu besitzen und dafür eine Rechnung gestellt wird, als ob die OP vom dafür qualifizierten Arzt erbracht worden wäre, dann ist der Kasse nach derzeitiger Rechtslage kein Schaden entstanden, weil die Leistung auch bei ordnungsgemäßer Erbringung hätte bezahlt werden müssen. Das gesundheitliche Risiko für den Patienten und die generelle Frage der Behandlungs- qualität spielt für die strafrechtliche Qualifizierung als Betrug keine Rolle.

    Zurzeit gibt es für Fälle des Abrechnungsbetruges keinen Sondertatbestand, so dass der "normale" Betrugsstraftatbestand des § 263 StGB herangezogen wird. Dieser schützt als reines Vermögensdelikt, von wenigen zudem strittigen Ausnahmen abgesehen, nur tatsächliche, objektiv messbare Eingriffe in das Vermögen. Für den optimalen Schutz sozialversicherungstypischer Rechtsgüter ist daher die Schaffung eines speziellen Straftatbestandes dringend erforderlich.

  5. Wenn sich eine Krankenkasse bisher bei der Bekämpfung des Abrechnungsbetrugs stark engagiert hat und dazu zusätzliches Personal eingestellt hat, konnte sie zwar Rückforderungen aus unrechtmäßig erhaltenen Honoraren, Schadenersatz und Vertragsstrafen geltend machen. Sie hat allerdings gleichzeitig durch den verstärkten Personaleinsatz zur Aufdeckung des Fehl- verhaltens auch ihre Verwaltungskosten erhöht. Die von der Koalition im GKV-Finanzierungsgesetz geplante Verwaltungskostenbudgetierung der Krankenkassen wird u. U. dazu führen, dass Kassen ihre Ermittlungsabteilungen verkleinern oder ganz abbauen. Sie könnten damit zwar die gesetzlich verlangte Verwaltungskostendeckelung einhalten, gleichzeitig würden ihnen aber die viel höheren Erträge durch die Ermittler verloren gehen.

    Die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten müssen deshalb innerhalb der sie tragenden Organisationen als Profit-Center organisiert sein. Den Kosten der Stellen müssen ihre Erträge gegenübergestellt werden. Ein starkes Engagement einer Krankenkasse mit entsprechend hohen Personalkosten darf nicht einseitig als Verwaltungskostensteigerung gebucht werden, während erlöste Schadenersatzzahlungen, Vertragsstrafen, o. Ä. bei den Leistungsausgaben gegengerechnet werden.
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