Der Sachverständigenrat zur Begut- achtung der Entwicklung im Ge- sundheitswesen hat die Aufgabe, im Abstand von zwei Jahren Gut- achten zu erstellen und in diesem Rahmen (1.) die Entwicklung in der gesundheitlichen Versorgung mit ihren medizinischen und wirtschaft- lichen Auswirkungen zu analysie- ren, (2.) unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen und vorhandenen Wirtschaftlich- keitsreserven Prioritäten für den Abbau von Versorgungsdefiziten und bestehenden Überversorgun- gen zu entwickeln, (3.) Vorschläge für medizinische und ökonomische Orientierungsdaten vorzulegen, so- wie (4.) Möglichkeiten und Wege zur Weiterentwicklung des Gesund- heitswesens aufzuzeigen. Die Gut- achten werden dem Bundesminis- terium für Gesundheit oder - im Falle des Sondergutachtens 1995 - dem Bundespräsidenten übergeben und den gesetzgebenden Körper- schaften des Bundes vorgelegt. Bisher sind 14 Gutachten erschie- nen. Eine Reihe von Vorschlägen und Empfehlungen sind von der Gesundheitspolitik aufgegriffen worden, z.B. die Kassenwahlfreiheit, die Einführung eines Risikostruktur- ausgleichs, die Einführung einer Nutzen-Kosten-Bewertung als "4. Hürde" in der Arzneimittelzulas- sung, die Förderung der ambulan- ten Pflege durch die Steigerung der Leistungsstufen und eine Dynami- sierung der Leistungen, die Verbes- serung der Versorgung Dementer oder der Ausbau von Präventions- und Rehabilitationsleistungen. (Foto: BMG)

Montag, 20. Juli 2009

"Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwick- lung im Gesundheitswesen" legt Gutachten 2009 vor

Von: SVR-G / Pressemit- teilung

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR-G) hat am 30. Juni sein neues Gutachten mit dem Titel "Koordination und Integration – Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens" an die Bundesministerin für Gesundheit Ulla Schmidt übergeben. Sie hatte den Rat mit einem Sondergutachten zur Thematik "Generationenspezifische Gesundheitsversor- gung in einer Gesellschaft des längeren Lebens" beauftragt. Auf ca. 900 Seiten zeigen die sieben Professorinnen und Professoren, die dem Rat angehören, was in Prävention, Krankenversorgung, Ausbildung, Finanzierung und Vertrags- politik getan werden könnte bzw. müsste, um den damit verbundenen Herausforderungen gerecht zu werden.

Bestehende Koordinationsdefizite der Gesundheitsversor- gung stehen im Zentrum dieses Sondergutachtens. Schon in den letzten Gutachten ging es um die Integration der bis da- hin weitgehend segmentierten Leistungssektoren des ambu- lanten und stationären Bereichs sowie der Rehabilitation und Pflege. Dies n sektoralen Integrationsaspekt ergänzte das Gutachten 2007 um Reformvorschläge für eine effizientere Koordination der Berufsgruppen. Das vorliegende Gutachten fügt diesen beiden Integrationsaspekten noch die generatio- nenspezifische Perspektive, auf der das Schwergewicht des Gutachtens liegt, und den regionalen Bezug hinzu.

Die absehbare demografische Entwicklung führt zu einer spürbaren Alterung der Gesellschaft und in diesem Kontext insbesondere zu einem stark anwachsenden Anteil hoch be- tagter, chronisch und mehrfach chronisch erkrankter Men- schen. Infolge der Verschiebung der Alterskohorten steht zudem künftig einer steigenden Nachfrage nach Gesund- heitsleistungen ein schrumpfendes Arbeitskräftepotenzial gegenüber, das die in Prävention und Krankenversorgung erforderlichen Leistungen zu erbringen vermag. Diese Herausforderungen setzen das Versorgungssystem unter zusätzlichen Druck.

Spezielle Versorgungsanforderungen bei Kindern und Jugendlichen

Die große Mehrzahl der ca. 700 000 Kinder, die jährlich in Deutschland geboren werden, ist bei guter bis sehr guter Gesundheit und erscheint insofern gut gerüstet für die Herausforderungen des vor ihnen liegenden Lebens. Allerdings wächst ein Fünftel mit erheblichen v. a. psychosozialen Belastungen und gravierenden Defiziten an materiellen und sozialen Ressourcen auf. Das verschlechtert ihre Chancen auf ein gesundes Leben erheblich. Die wichtigsten Faktoren, die dieses Risiko erklären, finden sich in der Lebenslage der Eltern und machen deren Kinder besonders vulnerabel. In der Verbesserung der gesundheitlichen Chancen dieser Kinder liegt eine zentrale generationenspezifische Herausforderung der Gesundheitspolitik. Sie geht weit über die Krankenversorgung und die GKV hinaus und verweist auf die gesundheitspolitische Verantwortung auch anderer Politikbereiche, insbesondere der Bildungs-, Familien-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Kinderarmut stellt bevölkerungsbezogen den wichtigsten erklärenden Faktor für Gesundheits- und Entwicklungsdefizite dar. Die Senkung der Kinderarmut sowie Investitionen in möglichst frühe Bildungsangebote nehmen deshalb gesundheitspolitisch höchste Priorität ein.

Trotz der beeindruckenden Vielzahl und Dynamik von Programmen unterschiedlichster Träger zur (kompensatorischen) Primärprävention und Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen weisen sie nach wie vor gravierende Defizite in der Zielgruppenorientierung, bei der Gewichtung und Ausstattung von Lebensweltbezogenen Projekten, bei der Laufzeit sowie in der Qualitätssicherung auf. Es bedarf hier der organisatorischen Unterstützung dieser Lernprozesse durch ein Kompetenzzentrum für Qualitätssicherung in der Prävention.

Für eine Zunahme von Vernachlässigung sowie physischer und psychischer Gewalt gegen Kinder gibt es keine verlässlichen Anhaltspunkte. Trotzdem stellt dies nach wie vor ein sehr gravierendes Gesundheitsproblem dar. Eine Analyse der institutionellen und rechtlichen Instrumente des Kinderschutzes zeigt, dass sich die Effektivität dieses grundsätzlich gut strukturierten Systems durch Verbesserungen in der materiellen Ausstattung und der Qualifikationsstruktur sowie in den Kooperationen noch erhöhen ließe. Die ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen (U1 bis U9 sowie J1) sind in ihrer momentanen Ausgestaltung kein hinreichend zielgerichtetes Instrument im Hinblick auf die Erkennung oder Verhinderung von Kindesmisshandlung oder –vernachlässigung. Die medizinische Prävention für Schwangere und Kinder (Früherkennung und Impfungen) ist in Deutschland im Wesentlichen gut ausgebaut. Es existieren allerdings Defizite hinsichtlich der Evidenz der Wirksamkeit und des Nutzens sowie der Qualitätssicherung. Den Diskussionen über den Leistungskatalog für Früherkennungen nach § 25 SGB V fehlt ein eindeutiger rechtlicher Rahmen und bei der Neuzulassung von Impfungen ein hinreichend transparentes Verfahren.

Bei der insgesamt gut ausgebauten Arzneimittelversorgung für Kinder in Deutschland bestehen Defizite der Struktur- und Prozessqualität auf den Stufen Entwicklung, Zulassung und Anwendung. Seltene (Kinder-)Krankheiten (orphan diseases) sind therapeutisch und pharmazeutisch zu wenig erforscht, hier scheint eine Verbesserung der materiellen Anreize für die pharmazeutische Industrie zielführend. Auf der Ebene der Anwendung findet sich (immer noch) ein unbegründet breiter Einsatz von Psychostimulanzien sowie von Antibiotika bei Virusinfekten. Trotz zunehmender Kapazitäten der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird hier vielfach Unterversorgung beklagt, doch auch für regionale Überversorgung finden sich Anzeichen. Als Leitbild der Versorgungsplanung gilt ein differenziertes Angebot für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche, das die Potenziale von Selbsthilfe und Partizipation nutzt, in seiner Vielfalt der Heterogenität der Zielgruppen und ihrer unterschiedlichen Bedarfslagen entspricht und mit den anderen Instanzen des Kinderschutzes und des Bildungswesens zielbezogen kooperiert.

Unter den psychischen Störungen des Kinder- und Jugendalters nimmt das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) wegen seiner relativ großen Verbreitung, seiner (gemessenen) Zunahme und der Fragwürdigkeit einseitig medikamentöser Therapie einen prominenten Platz ein. Erforderlich wäre – neben der Unterstützung der Eltern und der Weckung von Verständnis für die Betroffenen – ein leichterer Zugang zu multimodalen inkl. verhaltenstherapeutischen Hilfen. Medikamente spielen, ggf. durch ein Zweitmeinungsverfahren nach § 73 d SGB V abgesichert, in diesem Rahmen eine unverzichtbare Rolle.

Versorgung im Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter

Transition in der Gesundheitsversorgung beinhaltet die geplante und gezielte Überführung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit chronischen Krankheiten von Pädiatern zu Erwachsenenmedizinern. Das Gutachten problematisiert die Übergangsversorgung vom Jugend- ins Erwachsenenalter exemplarisch an fünf Krankheiten (Endokrinologie, Mukoviszidose, Kinder mit angeborenen Herzfehlern, terminale Niereninsuffizienz/Nierentransplantation und Rheumatoide Arthritis). Die Lebenserwartung junger Menschen konnte in den letzten Jahrzehnten infolge medizinischer Fortschritte bei zahlreichen Krankheiten deutlich erhöht werden, sodass für eine zunehmende Anzahl von ihnen die Notwendigkeit einer Weiterbehandlung durch Erwachsenenmediziner besteht. Forschungsergebnisse zeigen die Notwendigkeit einer individualisierten Herangehensweise im Rahmen der Transition, wobei der Patient über den Zeitpunkt des Übergangs zur Erwachsenenmedizin selbst bzw. mit entscheiden kann. Die Versorgungsforschung sollte zunächst den Bedarf an Transitionssprechstunden und Übergangsstationen (eigene Station für Adoleszenten) für bestimmte Krankheiten ermitteln und diese Versorgung in Modellversuchen optimieren. Der Transitionsprozess benötigt Leitlinien zur Durchführung von Programmen sowie eine Evaluation nach dem Übergangsprozess.

Spezielle Versorgungsanforderungen bei älteren und alten Menschen Die Zahl älterer und alter Patienten mit Mehrfacherkrankungen nimmt in allen Versorgungsbereichen zu. Multimorbidität ist mehr als die Summe einzelner Erkrankungen und kann z.B. mit Inkontinenz, kognitiven Defiziten, Immobilität, Sturzgefährdung und Schmerzen einhergehen. Trotz der steigenden Bedeutung der Mehrfacherkrankungen – ca. zwei Drittel der über 65-Jährigen weisen mindestens zwei chronische Erkrankungen auf – gibt es nur sehr wenige Leitlinien, die sich auf ältere Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen beziehen. Leitlinien für Patienten mit Mehrfacherkrankungen sollten das individuelle Setzen von Behandlungsprioritäten unterstützen, an den Gesamtzustand des Patienten sowie seine Ressourcen und Fähigkeiten adaptiert sein und seine Lebenserwartung sowie individuelle Situation berücksichtigen. Die Implementierung der Leitlinien erfordert eine Einbindung in Aus-, Fort- und Weiterbildung und in die Qualitätssicherung sowie finanzielle Anreize. Eine Evaluation der Umsetzung von Leitlinien erscheint ebenfalls geboten.

Multimorbidität führt zu vermehrten Arztkontakten, häufigeren und längeren Krankenhausaufenthalten sowie einer steigenden Zahl von Arzneimittelverordnungen (Polypharmazie). So erhalten etwa 35% der Männer und 40% der Frauen über 65 Jahre neun und mehr Wirkstoffe in Dauertherapie. In diesem Kontext bilden unerwünschte Arzneimittelwirkungen ein Kernproblem der Versorgung alter Menschen. Um die Arzneimittelsicherheit bei älteren Menschen zu erhöhen, bietet sich der Einsatz von Listen mit problematischen Arzneimitteln an. Arzneimittel sollten in randomisierten und kontrollierten Studien (RCTs) an den Patientenpopulationen geprüft werden, die diese Arzneimittel nach der Zulassung im Rahmen ihrer Behandlung benötigen. Pflegebedürftigkeit ist in den Gesellschaften des langen Lebens zu einem weiteren bestimmenden Gesundheitsrisiko geworden. Für das Jahr 2050 weist die Status quo-Prognose des Rates 4,35 Millionen Pflegebedürftige auf. Unter der Annahme einer anhaltenden Morbiditätskompression könnte diese Zahl auf 3,5 Millionen sinken. 82% aller Pflegebedürftigen in Deutschland sind 65 Jahre alt oder älter, jeder dritte bereits über 85. Im Alter über 90 Jahre ist die Hälfte der Bevölkerung pflegebedürftig. Dies verdeutlicht, dass der Pflegesektor auch in Zukunft mit einer erheblichen Dynamik zunimmt. Die jetzt anvisierte Erweiterung des bislang im SGB XI verengten Pflegeverständnisses entspricht einer langjährigen Forderung des Rates: Als Maßstab für Pflegebedürftigkeit fungiert dann nicht mehr die erforderliche Pflegezeit, sondern die Selbständigkeit einer Person.

Status quo und Handlungsbedarf unter generationenspezifischen Aspekten

Die Nachhaltigkeit der hausärztlichen Versorgung erscheint infolge drohenden Nachwuchsmangels nicht gesichert. Dabei kommen mit dem demografischen Wandel sowie der Veränderung des Krankheitsspektrums der Bevölkerung auf die primärmedizinische Versorgung der häufigsten Gesundheitsprobleme besondere Herausforderungen zu. Eine funktionsfähige Primärversorgung bildet ein zentrales Element einer versicherten- bzw. populationsorientierten Versorgung und zielt mit ihr darauf ab, den Bedürfnissen einer wachsenden Zahl chronisch Erkrankter zu entsprechen. Das Gutachten enthält zahlreiche Empfehlungen zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen hausärztlichen Primärversorgung, die von der Aus-, Weiterund Fortbildung bis zur Kooperation mit anderen Berufsgruppen reichen.

Die niedergelassenen Fachärzte stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen der Primärversorgung durch Hausärzte und der hoch spezialisierten stationären Behandlung dar. Die absehbare demografische Entwicklung und die zunehmenden Möglichkeiten des medizinisch-technischen Fortschritts rücken die Sekundärversorgung und mit ihr die Schnittstelle zischen dem ambulanten und dem stationären Sektor in den Mittelpunkt von Reformbestrebungen. Mangels adäquater Rahmenbedingungen findet hier derzeit eine ineffiziente und ineffektive Konkurrenz statt. Zur Realisierung eines funktionsgerechten Wettbewerbs zwischen den Fachärzten und den Krankenhäusern bedarf es u.a. einer Vereinheitlichung der Qualitätsstandards, der Vergütung einschließlich der Investitionsfinanzierung und der Genehmigung neuer Behandlungsmethoden.

Die Ausweitung der Primär- und die Reform der fachärztlichen Versorgung werden den Anteil und die Bedeutung der ambulanten Arzneimitteltherapie künftig noch erhöhen. Dies verstärkt die Notwendigkeit, die Arzneimitteltherapie unter Beteiligung der Apotheken in eine fachübergreifende Zusammenarbeit der verschiedenen Versorgungsbereiche zu integrieren. Bei Einbindung in ein sektorübergreifendes Versorgungsnetz können, wie auch ausländische Beispiele zeigen, die Apotheken die Verantwortung für Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie stärker als heute übernehmen.

Die Versorgung Pflegebedürftiger bildet eine Langzeitaufgabe mit dem Ziel des Erhalts einer möglichst hohen Selbständigkeit und Lebensqualität bei den Betroffenen. Deshalb kommt zunächst der Vermeidung und Verzögerung von Pflegebedürftigkeit durch altersspezifische Prävention eine hohe Priorität zu. Die ambulante Pflege steht vor der Aufgabe, ihre Angebote qualitativ weiter zu entwickeln und von der Gesundheitsförderung bis zur palliativen Versorgung auszudifferenzieren. Dies Angebote müssen auch Ressourcen pflegender Angehöriger stützen. Nicht zuletzt muss die stationäre Versorgung nachhaltig verbessert werden. Dazu benötigen die Heime sowohl eine hinreichende Ausstattung mit qualifiziertem Personal als auch einen Innovationsschub ihrer Leistungsangebote. Um eine integrierte Versorgung und eine Intensivierung des Wettbewerbs zu realisieren, schuf der Gesetzgeber in den letzen Jahren mehrere sog. besondere Versorgungsformen, die den Krankenkassen und den Leistungserbringern den Abschluss von selektiven Verträgen ermöglichen. Von diesen Regelungen weisen allerdings nur die Modellvorhaben, die integrierten Versorgungsformen und die strukturierten Behandlungsprogramme einen sektorübergreifenden Bezug auf. Zudem fehlt der überwiegenden Mehrheit dieser Verträge ein Versicherten- bzw. Populationsbezug.

Zukunftskonzept einer koordinierten Versorgung mit regionalem Bezug

Unter Berücksichtigung internationaler Konzepte zur primärärztlichen Versorgung sowie – nach kritischer Überprüfung – ausgewählter Elemente von Managed Care schlägt der Rat ein Konzept vor, das auf eine generationenspezifische und regional differenzierte Versorgung abzielt. Der ordnungspolitische Grundgedanke besteht darin, für alle Leistungserbringer die Anreize so zu setzen, dass sie ein eigenes Interesse an einer effizienten und effektiven Versorgung zum Wohle des Patienten besitzen. Dabei geht es u.a. um die Verlagerung des finanziellen (Teil-)Risikos auf die Leistungserbringer, d.h. zwischen payer und provider, sowie um prospektive Pauschalvergütungen bzw. Capitation. Dies soll erwünschte Entwicklungen im Hinblick auf die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen und Institutionen, die jeweilige Rolle von Primär- und Sekundärversorgung, auf angemessene Formen des Gatekeeping und die Implementierung von Qualitätswettbewerb auslösen bzw. verstärken.

Unerwünschten Anreizwirkungen soll von vornherein mit gezielter Qualitätssicherung, hoher Transparenz und einer Stärkung der Patientenrechte entgegen gewirkt werden. Im Rahmen einer koordinierten Versorgung mit regionalem Bezug nehmen wohnortnahe Primärversorgungspraxen eine Schlüsselrolle ein. Die Vorschläge auf der Grundlage internationaler Konzepte umfassen u. a. Vergütungs- und Honorierungssysteme, die stärker auf die Kontinuität der Versorgung und die Erreichung von mittel- bis langfristigen versicherten- bzw. populationsbezogenen Versorgungszielen abstellen. Da eine flächendeckende hausärztliche Versorgung in strukturschwachen ländlichen Räumen, derzeit vor allem in den ostdeutschen Bundesländern, gefährdet erscheint, bedarf die Versorgung in diesen Regionen einer speziellen Ausgestaltung. Hier bieten sich Konzepte sowohl einer dezentralen als auch einer zentralen hausärztlichen Versorgung sowie eine veränderte Arbeitsteilung der Leistungssektoren an.

Zur langfristigen Sicherung einer umfassenden Versorgung, die sich an den generationenspezifischen Bedürfnissen orientiert, gilt es hinsichtlich der internen Finanzierung, prospektive Pauschalvergütungen mit gezielten Anreizen (pay-forperformance) zu erproben. Eine Mischung von Vergütungselementen könnte die potenziellen Nachteile einer pauschalierten Honorierung, wie z. B. mangelnde Anreize für eine intensive Betreuung und qualitativ hochwertige Versorgung, teilweise neutralisieren. Zudem sollte die Honorierung u. a. auch die Koordinationsarbeit der nichtärztlichen Mitglieder des Versorgungsnetzes, u.a. auch die der Apotheken, und die Risikostruktur der Versicherten angemessen berücksichtigen.

Das zentrale medizinische und ökonomische Potenzial zur Verbesserung der Versorgung liegt an den Schnittstellen der Leistungssektoren und hier vor allem im Bereich der Sekundärversorgung. Die Erfolgsbedingungen für eine effiziente sektorübergreifende Versorgung sind am ehesten gegeben, wenn die beteiligten Leistungserbringer für ein gemeinsames Budget arbeiten und eine sektorübergreifende Pauschale erhalten. Die Integration der Versorgungsprozesse nimmt auch zu, wenn eine Einheit von Leistungserbringern ein umfassendes Angebot an präventiven und therapeutischen Leistungen in einer Region anzubieten vermag. Die Entscheidung über die gewünschte Organisationsform sollten im Rahmen von Wettbewerbsprozessen letztlich die Versicherten und Patienten in der jeweiligen Region treffen. In dünn besiedelten strukturschwachen Gebieten kann infolge zu geringer Angebotskapazitäten ein Wettbewerb zwischen umfassenden Versorgungseinheiten nicht mehr und zwischen ambulanten und stationären Leistungserbringern kaum noch stattfinden. Ein Monitoring anhand von Qualitätsindikatoren in Verbindung mit Benchmarking kann hier zur Aufdeckung von Versorgungsengpässen und qualitativen Defiziten dienen. In diesen Regionen stellt die nachhaltige Sicherung einer qualitativ hochwertigen Versorgung eine der zentralen Herausforderungen der zukünftigen Gesundheitspolitik dar. Unabhängig von den bisherigen Beschlüssen der Bundesregierung und einigen weiteren Empfehlungen in diesem Gutachten, die auf finanzielle und nicht-monetäre Anreize setzen, benötigt die Gesundheitspolitik zur Lösung dieses Problems Unterstützung durch die Landes- und Raumplanung.

Dieses Gutachten enthält zahlreiche Vorschläge zu teilweise weit reichenden Veränderungen in unserer Gesundheitsversorgung. Die Erprobungen solcher Modelle bedingen eine verbindliche und unabhängige Begleitforschung. Im Erfolgsfalle können sie effizientere und effektivere Formen der Versorgung entwickeln, die den Bedürfnissen der Versicherten besser entsprechen und die spezifischen Versorgungsprobleme der Generationen zu lösen helfen.

Das Gutachten und eine Kurzfassung werden im Internet unter www.svr-gesundheit.de veröffentlicht

Mietglieder des Rates

Vorsitzender

  • Prof. Dr. rer. pol. Eberhard Wille
    Universität Mannheim,  Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre

Stellv. Vorsitzender

  • Prof. Dr. med. Matthias Schrappe
    Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität

Mitglieder

  • Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach
    Johann Wolfgang Goethe-Universität, Institut für Allgemeinmedizin
  • Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske
    Zentrum für Sozialpolitik (ZeS), Universität Bremen
  • Prof. Dr. med. Marion Haubitz
    Medizinische Hochschule Hannover, Abt. Nephrologie
  • Prof. Dr. phil. Adelheid Kuhlmey, Freie Universität Berlin, Fachbereich Humanmedizin
    Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften der Berliner Hochschulmedizin, Abt. Medizinsoziologie
  • Prof. Dr. rer. pol. Rolf Rosenbrock
    Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB), AG Public Health
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