Pressegespräch: 2010 werden Zusatzbeiträge an die Krankenkasse zur Regel
Fast alle gesetzlichen Krankenkassen werden bis Ende des Jahres 2010 einen Zusatzbeitrag erheben. Das erwarten Gesundheitsökonomen und anderen Experten. Anlässlich eines Presse-Gesprächs mit Krankenkassenvorständen, Politikern, Wissenschaftlern und Patientenvertretern betonte der Gesundheitswissenschaftler Professor Günter Neubauer vom Münchener Institut für Gesundheitsökonomik: "Zusatzbeiträge sind eine gesetzlich verankerte und politisch gewollte Säule zur Finanzierung der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland. 2010 wird es eine Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds von vier Milliarden Euro geben. Die durch den Gesetzgeber angelegte Finanzarchitektur des Fonds hat zur Konsequenz, dass die meisten Krankenkassen im Laufe des Jahres 2010 Zusatzbeiträge nicht vermeiden können." Es werde bei vielen Krankenkassen bereits in den nächsten Wochen und Monaten Beschlüsse für einen Zusatzbeitrag geben. Darunter werden auch Krankenkassen sein, die besonders leistungsstark sind und sich durch innovative Versorgungskonzepte sowie einen überdurchschnittlichen Service auszeichnen. Wolfram-Arnim Candidus von der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGPV) e.V. forderte die Versicherten auf, nicht vorschnell die Kasse zu wechseln. "Die Zusatzbeiträge sind durch vorangegangene politische Entscheidungen unvermeidbar und werden die Probleme des Gesundheitswesens nicht lösen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich allerdings keinem Versicherten empfehlen, aufgrund eines Zusatzbeitrages die Kasse zu wechseln, da er damit weder seine Versorgungssituation verbessert, noch weiß, ob er dabei günstiger abschneidet".
Finanzbedarf durch Gesundheitsfonds nicht gedeckt
Die Finanzausstattung des Gesundheitsfonds war von Anfang an nicht kostendeckend. Die Krankenkassen haben diese Unterdeckung durch ihre Rücklagen eine Zeit lang kompensieren können. Darüber hinaus gab es 2009 politisch induzierte Kostensteigerungen: die Erhöhung der Arzthonorare und der Krankenhausvergütung. Hinzu kommen steigende Leistungsausgaben der Krankenkassen in den Jahren 2009 und 2010, beispielsweise im Bereich der Arzneimittelversorgung. Auch hier entstand zusätzlicher Finanzbedarf für die Krankenkassen, der mit den Zuweisungen des Gesundheitsfonds nicht mehr gedeckt werden kann.
Auch wenn für die deutsche Wirtschaft 2010 wieder ein leichtes Wachstum auf stark abgesenkter Basis zu erwarten ist, zeichnet sich als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise auf dem Arbeitsmarkt eine deutliche Verschlechterung ab. Der einmalige Bundeszuschuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro, den die Krankenkassen zum Ausgleich der krisenbedingten Einnahmeausfälle zusätzlich für 2010 erhalten werden, reicht nicht aus, um die Einnahmeverluste durch die gestiegene Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sowie die teilweise politisch induzierten Kostensteigerungen zu decken. Der Schätzerkreis der Gesetzlichen Krankenversicherung hat für das Jahr 2010 ein Defizit im Gesundheitsfonds in Höhe von 7,9 Milliarden Euro prognostiziert. Nach Abzug des einmaligen Steuerzuschusses von 3,9 Milliarden Euro verbleibt ein zusätzlicher Finanzbedarf der Krankenkassen für 2010 von rund 4,0 Milliarden Euro, der nur durch Zusatzbeiträge gedeckt werden kann. Neubauer appellierte an die Krankenkassen, in dieser Situation die finanzpolitische Stabilität nicht vermeintlichen kurzfristigen Wettbewerbsvorteilen zu opfern.
Teilnehmer des Pressegesprächs des Vincentz-Verlags am 25. Januar
- Jens Spahn, MdB, Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion
- Prof. Dr. Günter Neubauer, Institut für Gesundheitsökonomik, München
- Wolfram-Arnim Candidus, Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) e.V.
- Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher, Vorsitzender des Vorstandes der DAK-Unternehmen Leben
- Dr. Dieter Paffrath, Vorstandsvorsitzender der AOK Schleswig-Holstein
- Achim Kolanoski, Vorstand der Deutschen BKK
- Rudolf Hauke, Vorstandsmitglied der KKH-Allianz
- Thomas Bodmer, Vorsitzender des Vorstandes der BKK Gesundheit
- Hans-Joachim Röminger, Vorsitzender des Vorstandes der BKK für Heilberufe
- Ernst Butz, Vorsitzender des Vorstandes der Novitas BKK
- Reiner Geisler, Vorsitzender des Vorstandes der ktpBKK
- Willi Tomberge, Vorsitzender des Vorstandes der BKK Westfalen-Lippe
- Moderation: Dr. Uwe Preusker
Fakten
Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist seit dem 1. Januar 2009 umgestellt. Mit Einführung des Gesundheitsfonds zahlen alle Beitragszahler den gleichen einheitlichen prozentualen Beitragssatz an ihre Krankenkasse, die diese Finanzmittel an den Fonds weiterleitet. Der einheitliche Beitragssatz wird von der Bundesregierung festgelegt. Neben den Beitragsgeldern fließen auch in wachsendem Umfang Steuergelder in den Fonds. Aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen die Finanzmittel, die zur Versorgung ihrer Versicherten notwendig sind.
Hierbei wird die unterschiedliche Versicherten- und Krankheitsstruktur berücksichtigt. Reichen einer Kasse die Zuweisungen aus dem Fonds nicht aus, um die Ausgaben für ihre Versicherten zu decken, hat sie die Möglichkeit, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Im Zusammenhang mit dieser Neuordnung der Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung tauchen bestimmte Begrifflichkeiten auf, die hier kurz erläutert werden.
Allgemeiner (einheitlicher) Beitragssatz
Ist ein proportionaler Beitragssatz auf die beitragspflichtigen Einnahmen (Arbeitsentgelt, Rente und Versorgungsbezüge). Seine Festlegung erfolgt zum 01.11. eines jeden Jahres mittels Rechtsverordnung durch die Bundesregierung ohne Zustimmung des Bundesrates (§ 241 SGB V). Zurzeit beträgt der allgemeine Beitragssatz 14,9 Prozent: 7,0 Beitragssatzpunkte tragen die Arbeitgeber; 7,9 Beitragssatzpunkte die Mitglieder.
Ausstattung des Gesundheitsfonds
Der Gesundheitsfonds wird aus zwei Finanzquellen gespeist: den Beiträgen der Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung und einem Bundeszuschuss, der im Wesentlichen die versicherungsfremden Leistungen refinanzieren soll.
Darüber hinaus hat der Bund in der Startphase des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 Steuermittel kurzfristig zur Verfügung gestellt, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Ab 2010 ist keine volle Deckung der Ausgaben durch den Fonds mehr vorgeschrieben. Der Fonds schüttet die vorhandenen Einnahmen aus dem einheitlichen Beitragssatz und dem Steuerzuschuss an die Krankenkassen aus.
Der allgemeine Beitragssatz bleibt solange unverändert, bis er die Ausgaben der Kassen in zwei aufeinander folgenden Jahren nicht mehr zu 95 Prozent deckt. Den fehlenden Betrag zu den Gesamtausgaben muss eine Krankenkasse über den Zusatzbeitrag erheben, der allein vom Mitglied zu zahlen ist.
Kassenindividueller Zusatzbeitrag
Der Zusatzbeitrag ist ein Krankenversicherungsbeitrag, dessen Höhe, Fälligkeit und Einzugsmodalitäten in der Satzung der Krankenkasse zu regeln sind. Der Zusatzbeitrag darf ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds nicht überschreiten (Überforderungsklausel). Bis zu einer Höhe von acht Euro entfällt eine Prüfung der beitragspflichtigen Einnahmen.
Morbi-RSA
Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbidität im Sinne von Krankheitsrisiko) wird auch kurz Morbi-RSA genannt. Der Morbi-RSA soll eine wettbewerbsneutrale Zuweisung der Geldmittel aus dem Gesundheitsfonds gewährleisten. Sonst wäre es für Krankenkassen lukrativ, vor allem Junge und Gesunde zu versichern. Für die Krankenkassen sollen aber alle Versicherten gleichermaßen attraktiv sein, um eine so genannte Risikoselektion bestimmter Versichertengruppen zu vermeiden und Anreize für einen Wettbewerb um eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung zu setzen.
Schätzerkreis
Der GKV-Schätzerkreis ist ein Gremium von Experten des Bundesversicherungsamtes (BVA), des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen. Angesiedelt ist er beim BVA. Der Schätzerkreis hat die Aufgabe, auf der Basis der amtlichen Statistiken der GKV, der gesamtwirtschaftlichen Prognose der Bundesbank und wissenschaftlicher Expertisen die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung des laufenden Jahres zu bewerten und auf dieser Grundlage eine Prognose über den erforderlichen Beitragsbedarf des jeweiligen Folgejahres zu treffen. Er hat weiterhin die Aufgabe, die gesetzlich vorgesehene Deckungsquote einschließlich der erforderlichen Schwankungsreserve (Liquiditätsreserve) des laufenden und des folgenden Jahres zu prognostizieren und zu bewerten. Seine Expertise soll die Entscheidung der Bundesregierung über die Höhe des erforderlichen allgemeinen Beitragssatzes der GKV fachlich unterstützen. Gesetzliche Grundlage ist der § 241 Abs. 2 des SGB V. Nach den aktuellen Schätzungen verfügt der Fonds im Jahr 2009 über eine Einnahmelücke von rd. 1,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2010 beträgt die Deckungslücke für die GKV sogar 7,9 Milliarden Euro, wovon 3,9 Mrd. ¤ auf die Auswirkungen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise zurückzuführen sind. Daher wird dieser Betrag durch einen zusätzlichen Zuschuss des Bundes aufgefangen. Das verbleibende Delta von 4,0 Mrd. ¤ stellt den Finanzierungsbedarf über Zusatzbeiträge dar. Im Durchschnitt der GKV entspricht dies jährlich rund 80 Euro bzw. monatlich 6 bis 7 Euro Zusatzbeitrag pro Beitragszahler.
Überforderungsklausel
Erhebt eine Kasse einen Zusatzbeitrag, der bei mehr als acht Euro pro Monat liegt, ist im Rahmen einer Einkommensprüfung sicherzustellen, dass der Zusatzbeitrag eine Höhe von einem Prozent der monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nicht überschreitet. Die Überforderungsklausel kann in Verbindung mit der 95-Prozent-Regelung zu besonderen Problemen führen: Kann eine Krankenkasse einen über die Fondszuweisungen hinausgehenden Finanzbedarf nicht über Zusatzbeiträge decken, weil dies durch die Überforderungsklausel begrenzt wird, gerät sie in eine akute finanzielle Schieflage. Dies trifft zuerst Krankenkassen, deren Mitgliederstruktur durch einen hohen Anteil an Geringverdienern, Rentnern und Arbeitslosengeld II-Empfängern gekennzeichnet ist. Es kann daneben zu fragwürdigen unternehmenspolitischen Effekten kommen. Schließlich werden zumindest übergangsweise die leistungsfähigeren Mitglieder der betroffenen Krankenkasse durch überproportional steigende Zusatzprämien zusätzlich belastet, was nach Ansicht von Experten Wanderungsbewegungen zu Krankenkassen auslöst, die über eine bessere Einkommensstruktur ihrer Mitglieder verfügen. Diese Wettbewerbsverzerrung ist bekannt und soll im Rahmen der geplanten Reform zum 01.01.2011 behoben werden, um Fehlanreize im Kassenwettbewerb zu vermeiden.
Versichertenkonten
Erhebt eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag, muss sie hierfür für jedes Mitglied ein Versichertenkonto einrichten und den Beitrag einziehen. Dies ist notwendig, weil der kassenindividuelle Zusatzbeitrag nicht dem gleichen Beitragseinzugsverfahren unterliegt wie der allgemeine Beitrag, der bei Beschäftigten durch den Arbeitgeber abgeführt wird. Beim Zusatzbeitrag hingegen muss die Krankenkasse das Geld bei den Mitgliedern einziehen. Zahlt das Mitglied nicht, muss die Krankenkasse in jedem Einzelfall ein Mahnverfahren anstreben. Die Versichertenkonten sind ebenfalls notwendig, um gegebenenfalls Prämien an den Versicherten auszuschütten, wenn die Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds die tatsächlich entstandenen Ausgaben übersteigt. Nach den Berechnungen der Krankenkassen dürfte der Verwaltungsaufwand für die Einrichtung und Verwaltung der individuellen Beitragskonten bei ca. 0,5 bis 1 Mrd. ¤ liegen.
Gründe für Zusatzbeiträge
Es hat politisch induzierte Kostensteigerungen gegeben, die die Kassen nicht zu verantworten haben: die Erhöhung der Arzthonorare und die Erhöhung der Krankenhausvergütung.
Die 3,9 Mrd. ¤, die die Krankenkassen jetzt einmalig zum Ausgleich der krisenbedingten Einnahmeausfälle zusätzlich für 2010 erhalten sollen, reichen nicht aus, um die Einnahmeverluste durch die gestiegene Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit insgesamt zu decken.
Darüber hinaus steigen Leistungsausgaben der Krankenkassen in 2009 sowie in 2010 wie in jedem Jahr (insbes. Arzneimittel), so dass auch hier zusätzlicher Finanzbedarf für die Kassen entsteht.
Es ist derzeit gesetzlich vorgeschrieben, dass bis zu 5 Prozent der GKV-Ausgaben über Zusatzbeiträge finanziert werden. Für das Jahr 2010 werden nach den Berechnungen des Schätzerkreises 4,0 Mrd. ¤ über Zusatzbeiträge zu finanzieren sein.
Es handelt sich hier also nicht um ein Finanzproblem einzelner Krankenkassen, sondern um ein strukturelles Problem der GKV. Die Erhebung eines Zusatzbeitrages ist deshalb auch kein Signal für eine Unwirtschaftlichkeit einer Krankenkasse. Klar ist, dass es im Laufe des Jahres 2010 bei einer sehr großen Zahl von Krankenkassen Zusatzbeiträge geben wird.
Deutliche Tarifsteigerungen in der Privaten Krankenversicherung
Auch die Private Krankenversicherung (PKV) unterliegt einem starken Kostendruck. Deshalb gibt es einen Trend zu deutlichen Tariferhöhungen. Die aktuellen Anpassungen können in Einzelfällen bis zu 25 Prozent betragen. Sie lassen sich nur schwer in Euro beziffern, da diese aufgrund des Alters und des Geschlechts des Versicherungsnehmers sowie aufgrund der versicherten Leistungen stark variieren.
- Weiterführende Links
- www.vincentz.net
- www.dak.de