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Dienstag, 28. Oktober 2008

IGSF-Studie: "Politische Entscheidungen belasten Krankenversicherung erheblich"

Von: Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel / Pressemitteilung

Ab dem 1. Januar 2009 gilt für die Gesetzliche Krankenver- sicherung (GKV), was schon heute für andere Sozialsysteme gilt: Die Verantwortung für die Höhe des Beitragssatzes liegt ab dann bei Politik und Staat. "Dies führt endlich zur Klarheit über die politisch bedingte Belastung der GKV", sagt Prof. Fritz Beske Direktor des IGSF in Kiel, denn "Bislang wurden in aller Regel Ärzte, Krankenhäuser und die Krankenkassen für die finanziellen Probleme der GKV verantwortlich ge- macht. Die Verantwortung der Politik ist nur wenigen Fach- leuten bekannt. So haben nach heutigem Stand politische Entscheidungen die GKV zur Entlastung anderer Sozial- systeme und des Staates mit 45,5 Milliarden Euro pro Jahr belastet. Würden diese entfallen, könnte der Beitragssatz um 4,55 Beitragssatzpunkte, d. h. von 14,9 Prozent auf 10,35 Prozent gesenkt werden."

So das Ergebnis einer neuen Studie des IGSF "Zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung – Auswirkungen politi- scher Entscheidungen auf die Finanzsituation der Gesetz- lichen Krankenversicherung".

Prof. Beske weiter: "In jedem Fall muss gehandelt werden. Die sich zuspitzende Finanzsituation der GKV lässt es nicht wie in Zeiten des Wohlstands zu, dass von der GKV Leis- tungen erbracht werden, die nicht zum definierten Aufgaben- bereich der GKV gehören. Die erste Handlungsmöglichkeit besteht darin, dass der Gesetzgeber jede Subventionierung anderer Sozialsysteme und des Staates durch die GKV aufhebt und festlegt, dass Leistungen, die von der GKV von Dritten in Anspruch genommen werden, kostendeckend zu bezahlen sind. Die zweite Möglichkeit ist die vollständige Übernahme dieser Kosten durch den Staat und damit ein Steuerzuschuss an die GKV, der alle von der GKV nicht zu verantwortenden Kosten deckt."

Vor dem Hintergrund der Einführung des Gesundheitsfonds mit den daraus resultierenden Folgen wurden frühere Be- rechnungen des IGSF über die finanziellen Auswirkungen politischer Entscheidungen, die sozial-, familien- oder gesell- schaftspolitisch begründet sind, aktualisiert. Das Ergebnis wird in diesem Band der institutseigenen Schriftenreihe vorgelegt. Die Differenziertheit der Problematik lässt die Zusammenführung der Daten auf wenige Angaben nicht ohne weiteres zu. Aus diesem Grund werden zunächst die Belastungen so dargestellt, wie es sich aus der Situations- analyse ergibt. Hierzu gehören:

  1. Gesetzgebung der Jahre 1989 bis 2004
  2. Gesetzgebung ab 2004
  3. Versicherungsfremde Leistungen
  4. Beitragsfreiheit und reduzierter Beitrag
  5. Mehrwertsteuer auf Arznei- und Hilfsmittel.

1. Gesetzgebung der Jahre 1989 bis 2004

Gesetzgebung der Jahre 1989 bis 2004 und plausible finan- zielle Belastung der Gesetzlichen Krankenversicherung: 10,25 Mrd. EUR

2. Hinzu kommt die Gesetzgebung ab 2004

Gesetzgebung ab 2004 und plausible finanzielle Belastung der Gesetzlichen Krankenversicherung 2008: 0,4 Mrd. EUR

Für 2008 ergibt sich durch die Gesetzgebung ab 2004 vor- aussichtlich eine Belastung in Höhe von 0,4 und ab 2009 von 0,5 Mrd. EUR. Insgesamt ergibt sich für 2008 aus der Ge- setzgebung von 1989 bis 2008 eine Belastung der GKV von rund 11 Mrd. EUR.

3. Versicherungsfremde Leistungen

Versicherungsfremde Leistungen nach SGB V in Mio. EUR 2006: 4,035 Mrd. EUR. Ab 2008 liegt die jährliche Belas- tung bei rund 4 Mrd. EUR.

4. Beitragsfreiheit oder reduzierter Beitrag

Es gibt Einnahmedefizite der GKV durch Beitragsfreiheit oder durch einen reduzierten Beitrag. Zunehmend mehr scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass die beitragsfreie Mitver- sicherung von Kindern nicht Aufgabe der Solidargemein- schaft ist, sondern von der Gesellschaft insgesamt getragen werden muss, 14 Mrd. EUR jährlich. Umstritten ist die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten und Lebens- partnern.

Diskutiert wird die Aufhebung der beitragsfreien Mitver- sicherung von Ehegatten und Lebenspartnern bis auf die Fälle, in denen Kindererziehung oder Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen geleistet wird, ebenfalls eine Gemeinschaftsaufgabe. Der Gesamtbetrag dieser beitragsfreien Mitversicherung beläuft sich auf 7 bis 9 Mrd. EUR jährlich. Der Betrag für diejenigen, die Kindererziehung oder Pflegeleistungen erbringen, ist nicht bekannt.

Unbestritten sollte die Beitragsbefreiung während des Bezugs von Erziehungs-, Eltern- und Mutterschaftsgeld sein, ebenfalls eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Belastung der GKV hierfür betrug 1,4 Mrd. EUR in 2006. Der Beitragsausfall der GKV durch ALG-II-Empfänger liegt jährlich bei 4,7 Mrd. EUR.

Insgesamt ergibt sich eine Belastung der GKV infolge Beitragsbefreiung oder
reduziertem Beitrag von rund 29 Mrd. EUR.

Es gibt nicht quantifizierte und wohl auch schwer quantifizierbare Belastungen der GKV aus anderweitiger Beitragsfreiheit oder einem reduzierten Beitrag. Hierzu gehören:

  • Ausgewählte Rentenantragsteller
  • Personen, deren Einkünfte nur eingeschränkt zur Beitragsbemessung herangezogen werden, z. B. geringfügig Beschäftigte, Bezieher von Leistungen nach SGB III (Arbeitsförderung) und Rentner
  • Wehr- und Zivildienstleistende
  • Studierende und Praktikanten.

5. Mehrwertsteuer für Arznei- und Hilfsmittel

Von vielen Seiten wird die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für Arzneimittel von 19% auf den reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7% und damit eine Anpassung an die Mehrwertsteuerhöhe im internationalen Vergleich gefordert. Die Entlastung würde für die GKV 3,4 Mrd. EUR für 2007 betragen. Ähnliches gilt für Hilfsmittel. Hier würde sich eine Entlastung der GKV von 0,5 Mrd. EUR für 2007 ergeben.

Insgesamt ergäbe sich bei einer Änderung des Mehrwertsteuersatzes auf Arznei und Hilfsmittel eine jährliche Entlastung der GKV von rund 4 Mrd. EUR. Dabei richtet sich die Entlastung nach den jeweiligen Ausgaben.

Gesamtbelastung der Gesetzlichen Krankenversicherung 2008

Plausibel lässt sich folgende Gesamtrechnung mit insgesamt 45,5 Mrd. EUR aufstellen.

  • Gesetzgebung der Jahre 1989 bis 2008: 11,0 Mrd. EUR
  • Versicherungsfremde Leistungen: 4,0 Mrd. EUR
  • Beitragsfreiheit und reduzierter Beitrag: 29,0 Mrd. EUR
  • Mehrwertsteuer auf Arznei- und Hilfsmittel. 4,0 Mrd.
  • abzüglich Bundeszuschuss 2008 von 2,5 Mrd.

Die Belastung der GKV 2008 durch die Gesetzgebung von 1989 bis 2008 beträgt rund 11 Milliarden Euro. Kommen versicherungsfremde Leistungen mit rund 4 Mrd. EUR, Beitragsfreiheit und reduzierter Beitrag mit 29 Mrd. EUR und Mehrwertsteuer auf Arznei- und Hilfsmittel mit 4 Mrd. EUR hinzu, erhöht sich die jährliche Belastung auf rund 48 Mrd. EUR. Für 2008 hat die GKV aus dem Bundeshaushalt einen Zuschuss von 2,5 Mrd. EUR zur teilweisen Entlastung für Ausgaben von versicherungsfremden Leistungen erhalten, ab 2009 umgewandelt in Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben. Dies bedeutet für 2008 eine Absenkung der Gesamtbelastung der GKV um 2,5 Milliarden auf 45,5 Mrd. EUR. Mit der geplanten stufenweisen Steigerung des Steuerzuschusses auf 14 Mrd. EUR ab 2016 würde sich die Belastung der GKV jährlich um den Steuerzuschuss verringern, ohne jedoch zu einem vollständigen Abbau der Belastung zu führen. Selbst wenn ab 2016 dieser Zuschuss gezahlt würde, bleibt eine Belastung der GKV in Höhe von 34 Mrd. EUR. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass es haushaltsrechtlich keine Möglichkeit einer bindenden Zusage für spätere Jahre gibt. In jedem Jahr ist der Bundestag in seiner Entscheidung darüber frei, wie er die Haushaltsmittel einsetzt und wo er seine Prioritäten setzt.

Nach dem Stand von 2008 ergibt sich damit eine Belastung der GKV zur Entlastung anderer Sozialsysteme und des Staates von 45,5 Mrd. EUR. Bei einer kostendeckenden Abgeltung von Leistungen der GKV könnte der Beitragssatz um 4,55 Beitragssatzpunkte gesenkt werden. Der Beitragssatz für Mitglieder würde bei politischem Wollen aktuell damit nicht 14,9% betragen, sondern läge bei 10,35%.

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