Falschabrechnung im Gesundheitswesen: AOK Niedersachsen zieht Bilanz
Die Bekämpfung von Falschabrechnung im Gesundheitswesen ist nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern auch lohnendes Geschäft für die Krankenkassen und damit für die Beitragszahler. So hat die Untersuchungsgruppe der AOK Niedersachsen und anderer Krankenkassen im Zeitraum 2008/2009 Forderungen an Leistungserbringer über mehr als 3,6 Millionen realisiert.
871 neue Fälle wurden angelegt, sie erstrecken sich auf alle Bereiche des Gesundheitswesens. In 93 Fällen lagen nach den Erkenntnissen der Ermittler derart gravierende Verstöße gegen das Sozial-, Straf-, Berufs- oder sonstiges Recht vor, dass sie gleich Strafanzeige erstatteten.
Einer Vielzahl von Fällen mit begrenztem Schaden und geringer bis mittlerer krimineller Energie (Unterschriften- oder Urkundenfälschungen, Umgehen von Zulassungs- und Vertragsbestimmungen) stehen in steigender Zahl Fälle mit hohem Schadensvolumen ab 100.000 Euro aufwärts gegenüber. Die "Untersuchungsgruppe Falschabrechnungen" stößt heute deutlich öfter als früher auf vernetzte Strukturen bis in den Bereich der organisierten Kriminalität. Häufig gilt es, komplizierte Zusammenhänge sozial- und strafrechtlich zu bewerten. Und erst durch eine auf allen Seiten professionalisierte Ermittlungsarbeit lassen sich die vernetzten Strukturen aufdecken.
Die AOK Niedersachsen war vor zwölf Jahren die erste Krankenkasse bundesweit, die zur Verfolgung von Falschabrechnung eine eigene Untersuchungsgruppe ins Leben rief. Ihr schlossen sich in rascher Folge mehrere Dutzend Betriebs-, Innungs- und landwirtschaftliche Krankenkassen sowie die Knappschaft Bahn See an, später auch die Ersatzkasse hkk. Überzeugt von den nachhaltigen Erfolgen der Gruppe, machte der Gesetzgeber 2004 die Einrichtung von „Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ für alle Krankenkassen sowie für die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen verbindlich. Seit den Anfängen dieser Tätigkeit hat die AOK Niedersachsen über 30 Millionen Euro für die Versichertengemeinschaft zurückgeholt.
Aus den Hunderten von Fällen der vergangenen zwei Jahre sticht als ein prominentes Beispiel die Abrechnung überhöhter Mengen an Sprechstundenbedarf (SSB) für Arztpraxen hervor. Die Krankenkassen bezahlen diese Arznei- und Hilfsmittel, die im täglichen Praxisablauf für die sofortige Verwendung am Patienten eingesetzt werden. Ein Lieferant bot zahlreichen Ärzten an, ihnen im Gegenzug für die Verordnung überhöhter Mengen hochwertiger SSB-Artikel wie Naht- und Verbandmaterial oder Stützverbände kostenfrei teure Sachmittel wie etwa Therapieliegen zu liefern oder bestimmte Dienstleistungen wie medizintechnische Kontrollen kostenfrei zu erbringen.
Doch auch Einzeltäter wie etwa ein Gebärdendolmetscher (abgerechnete Leistungen wurden überhaupt nicht erbracht) oder eine Hebamme (Maximierung gefahrener Kilometer, Abrechnung nicht stattgefundener Hausbesuche) können Schäden von 100.000 Euro oder darüber verursachen. In einem anderen Fall fanden sich ein Arzt, ein Apotheker und eine Reihe Versicherter aus mehreren Familien zu einem Komplott zusammen: Der Arzt stellte ihnen wiederholt Rezepte für Arzneimittel aus, die seine "Patienten" aber weder benötigten noch bekamen. Stattdessen tauschte ein Mittelsmann die Verordnungen in der Apotheke gegen Geld und Waren. Der Anruf eines Familienmitglieds, der sich an dem Betrug nicht beteiligen wollte, brachte den Stein ins Rollen. Das Schadensvolumen beträgt nach bisherigen Schätzungen rund 270.000 Euro.