EU-Pläne zur Mehrwertsteuer: "Jährlich 34 Mrd. EUR Mehrbeitrag zur Sozialversicherung". Die EU-Kommission diskutiert derzeit über die Abschaffung der Tatbestände zur Steuerbefreiung bzw. Ermäßigungssätze der Mehrwertsteuer. Eine solche Regelung würde bei gleichen Leistungen eine Mehrbelastung von rund 34 Milliarden Euro - allein im Jahre 2014 – für die deutsche Sozialversicherung bedeuten. Die Folge wäre, dass der Beitragssatz zur Sozialversicherung insgesamt um mehr als drei Prozentpunkte steigen müsste. Zu diesem Ergebnis kommt aktuell eine Analyse, die von der Deutschen Rentenversicherung Bund, dem GKV-Spitzenverband, den Verbänden der Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gemeinsam durchgeführt wurde. Die Europäische Union ist für die Koordination der nationalen Mehrwertsteuersysteme im Rahmen des Binnenmarktes zuständig. Nach dem Willen der Europäischen Kommission soll dieses europäische Mehrwertsteuersystem reformiert werden. Zu den dazu bekannt gewordenen Überlegungen gehört auch, Steuerbefreiungen sowie steuerliche Ermäßigungen weitgehend zu beschränken. Als Folge aus einer solchen Reform würden für die gesetzliche Sozialversicherung erhebliche Mehrkosten erwachsen. (GKV-Spitzenverband / Pressemitteilung | Foto: Hartmut910 / pixelio.de)

Freitag, 31. Mai 2013

Europäische Mehrwertsteuerreform: "Sanierung des Staatshaushalts auf Kosten der Beitragszahler?"

Von: Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung / Pressemitteilung

Die Europäische Union koordiniert die Mehrwertsteuersysteme der einzelnen Mitgliedstaaten, um einen funktionierenden Binnenmarkt zu ermöglichen. Die EU-Kommission hat seit Jahren verschiedene Initiativen zur Reform dieses Mehrwertsteuersystems ergriffen. Dazu gehört das Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer vom Dezember 2010, KOM (2010) 695 end. Unter anderem möchte die Kommission alle Befreiungen und reduzierten Sätze auf den Prüfstand stellen, einschließlich derer, die in öffentlichem oder sozialem  Interesse bestehen.

Die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung begrüßen grundsätzlich das Anliegen, das geltende Mehrwertsteuerrecht und seine Verwaltungsverfahren zu verein-fachen. Die geplante Reform darf jedoch nicht dazu führen, dass die derzeit im Interesse der Sozialversicherten und der Beitragszahler geltenden Mehrwertsteuerbefreiungen und Mehr-wertsteuerermäßigungen sowie die Sonderstellung von öffentlichen Einrichtungen der Träger der gesetzlichen Sozialversicherung abgeschafft werden.

Die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung begrüßen grundsätzlich das Anliegen, das geltende Mehrwertsteuerrecht und seine Verwaltungsverfahren zu verein-fachen. Die geplante Reform darf jedoch nicht dazu führen, dass die derzeit im Interesse der Sozialversicherten und der Beitragszahler geltenden Mehrwertsteuerbefreiungen und Mehr-wertsteuerermäßigungen sowie die Sonderstellung von öffentlichen Einrichtungen der Träger der gesetzlichen Sozialversicherung abgeschafft werden.

Diese Mehrbelastungen müssten durch eine Anhebung der Beiträge und/oder in Teilbereichen höhere Bundeszuschüsse aufgefangen werden. Eventuell würden zur Gegenfinanzierung auch Leistungskürzungen nicht zu vermeiden sein. Die daraus resultierenden Folgen für die Wirtschaft stehen im Widerspruch zum Ziel der EU, die Wettbewerbsfähigkeit der EU in einer globalen Welt zu stärken.

Eine Abschaffung der Steuerbefreiungs-und Ermäßigungstatbestände würde die Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Sozialschutzsysteme deutlich einschränken und in die ihnen nach den Gemeinschaftsverträgen vorbehaltene Kompetenz eingreifen.

Die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung sprechen sich deswegen für eine Beibehaltung der Steuerentlastungen im Aktionsbereich der Sozialversicherungen aus.

Auswirkungen – Sozialversicherung insgesamt

Die nachfolgend vorgelegte Abschätzung bezieht sich allein auf die in der Vorbemerkung erwähnte Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiungen und Mehrwertsteuerermäßigungen für Leistungen, welche die gesetzlichen Sozialversicherungsträger zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben finanzieren. Die daraus zu erwartenden finanziellen Auswirkungen würden sich nach den Ermittlungen der Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung wie folgt darstellen:

Bei einem Wegfall der Mehrwertsteuerbefreiung bzw. -ermäßigung für Leistungen wären bezogen auf das Jahr 2014 für die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Renten-, Unfall-und Arbeitslosenversicherung zusammen Mehrkosten in Höhe von über 34 Mrd. Euro zu erwarten. Der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz würde damit um mehr als 3 Prozentpunkte steigen. Die Auswirkungen in den einzelnen Sozialversicherungszweigen werden nachfolgend dargestellt.

Allerdings sind hinsichtlich der Auswirkungen dieser Mehrbelastung der gesetzlichen Sozial-versicherung noch weitere Aspekte relevant:

  • Diese finanziellen Mehrbelastungen wären mit keinerlei Leistungsverbesserungen für die Versicherten verbunden.
  • Es gibt Finanzierungskreisläufe, bei denen sich Bund, Länder und Gemeinden diese Mehrwertsteuer selber zahlen würden, z. B. soweit die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung aus öffentlichen Haushalten finanziert werden.
  • Die Mehrausgaben in der gesetzlichen Rentenversicherung müssten durch Anhe-bung des Beitragssatzes kompensiert werden. Wollte man dies zumindest teilweise vermeiden, müssten die Bundeszuschüsse entsprechend erhöht werden.
  • Die durch eine solche Mehrwertsteuerreform gestiegenen Beitragssätze einzelner Sozialversicherungszweige wären selbst wieder Teil bestimmter Sozialleistungen,  z. B. zahlt die gesetzliche Rentenversicherung zum Teil die Krankenversicherungs-beiträge ihrer Rentner.
    • Die deutliche Erhöhung des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes könnte erheb¬liche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft (Steigerung der Lohnnebenkosten, Minderung der Kaufkraft) haben.
    • Um den Anstieg der Lohnnebenkosten kompensieren zu können, könnte es z.B. in der Gesundheitswirtschaft zu einem erheblichen Kostendruck kommen, der sich entsprechend auf die Vergütung von Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern auswirken würde.

Kranken-und Pflegeversicherung

Für die gesetzliche Krankenversicherung ergibt sich eine geschätzte Mehrbelastung von 26,56 Mrd. Euro für das Jahr 2014. Dies würde unter sonst gleichen Bedingungen einen Anstieg um 2,35 Beitragssatzpunkte erfordern. Auf Basis der Jahresrechnungsergebnisse 2011 wurde eine Schätzung der Belastung durchgeführt. Für diese Schätzung wurden die einzelnen Leistungen basierend auf dem derzeitigen Umsatzsteuerrecht folgenden Kategorien zugeordnet: 

  • Leistungsbereiche, die nicht von der Umsatzsteuer betroffen sind,
  • Leistungsbereiche, die vom ermäßigtem Umsatzsteuersatz betroffen sind,
  • Leistungsbereiche in denen bereits heute der normale Umsatzsteuersatz wirkt.

Eine exakte Zuordnung zu den einzelnen aufgeführten Kategorien lässt sich allerdings nicht für alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auf Basis der Jahresrechnungsergebnisse durchführen. Hierfür wäre eine detaillierte Studie notwendig. Aus diesem Grund handelt es sich bei der Schätzung um ein Szenario, in dem davon ausgegangen wird, dass alle Leistungen, die derzeit umsatzsteuerfrei sind, zukünftig von der Umsatzsteuer betroffen sind und alle Leistungen die derzeit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen, zukünftig dem regulären Umsatzsteuersatz unterliegen. In den Leistungsbereichen ärztliche Behandlung und Krankenhausbehandlung sind mit einem Anteil von 56,6 % an den gesamten Leistungsausgaben 2011 die größten Mehrbelastungen zu verzeichnen. Die ärztliche Behandlung und die Krankenhausbehandlung sind derzeit grundsätzlich von der Umsatz¬steuer befreit. Ein Wegfall der Umsatzsteuerbefreiung im Jahr 2014 für diese beiden Berei¬che würde zu einer Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenkassen von ca. 19,92 Mrd. Euro führen.

In der gesetzlichen Pflegeversicherung ist für 2014 von einer potentiellen Mehrbelastung von etwa 3 Mrd. Euro auszugehen, die einem zusätzlichen Beitragssatz von etwa 0,27 Punkten entspricht. Die Zuordnung der von der Befreiung betroffenen Positionen ist nicht immer eindeutig herzustellen, dennoch ist davon auszugehen, dass sich das Mehrbelas-tungsvolumen in der genannten Größenordnung bewegt.

Die für 2014 eingeschätzte Beitragsgrundlage wurde analog zur Krankenversicherung geschätzt. Auf der Leistungsseite ist aufgrund der Daten der Vorjahre und der aktuellen Präsenz des Themas "Weiterentwicklung der Pflegeversicherung" von einem höheren Anstieg der Leistungsausgaben auszugehen (ca. 4,5 % p. a. im Durchschnitt).

Rentenversicherung

Die Deutsche Rentenversicherung ist Träger eines Teils der Krankenversicherungsbeiträge für ihre Rentnerinnen und Rentner. Eine wie oben kalkulierte Beitragssatzsteigerung von 2,35 Beitragssatzpunkten für die gesetzliche Krankenversicherung aufgrund der möglichen Besteuerung der Leistungen im ambulanten und stationären Versorgungssektor entspricht einem Betrag in Höhe von rd. 2,35 Mrd. Euro, den die Rentenversicherung für entsprechende Beitragszahlungen zusätzlich aufwenden müsste.
 
In ihrer Funktion als Rehabilitationsträger erbringt die Deutsche Rentenversicherung Rehabilitationsleistungen in Höhe von rd. 5,6 Mrd. ¤ für ihre Versicherten. Der Wegfall der insoweit relevanten Umsatzsteuerbefreiungen bzw. -ermäßigungen hätte Auswirkungen auf Leistun¬gen mit einem Ausgabevolumen von rd. 3 Mrd. Euro jährlich. Bei einer entsprechenden Besteuerung müsste die Rentenversicherung für diese Leistungen rd. 0,57 Mrd. Euro zusätz-lich aufwenden.

Im Rahmen einer ersten Abschätzung würden sich im Bereich der Rentenversicherung damit Mehrausgaben in Höhe von rd. 3 Mrd. Euro allein für Krankenversicherungsbeiträge und für durchgeführte Reha-Leistungen ergeben. Diese Mehrausgaben müssten durch eine Anhebung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung um 0,31 Beitragssatzpunkte kompensiert werden.

Unfallversicherung

Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erbringen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaft und der öffentlichen Hand nach Eintritt eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit – neben Geldleistungen – umfangreiche Sach-und Dienstleistungen. Dabei handelt es sich um Heilbehandlung, medizinische Rehabilitation und Pflege sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft. Für diese Sach-und Dienstleistungen sind im Jahr 2011 mehr als 3 Mrd. Euro aufgewendet worden.

Diese Leistungen sind bisher von der Mehrwertsteuer befreit. Wenn sie der Besteuerung unterlägen, hätte dies im Jahr 2011 zu Mehrkosten von rund 0,58 Mrd. ¤ geführt. Würde man die durchschnittliche Kostenerhöhung der letzten fünf Jahre bis 2014 fortschreiben, so würden dann bereits ca. 0,67 Mrd. Euro für Mehrwertsteuer aufgebracht werden müssen.

Derartige Mehrkosten wären für die Beitragszahler, also für die Unternehmer in der gewerbli-chen Wirtschaft und in der Landwirtschaft sowie für Bund, Länder und Gemeinden deutlich spürbar. Allein in der gewerblichen Wirtschaft hätte der Durchschnittsbeitragssatz im Jahr 2011 nicht 1,3 % betragen, sondern 1,4 %. Das Beitragsvolumen zur gesetzlichen Unfallver-sicherung hätte in der gewerblichen Wirtschaft um 4 %, in der Landwirtschaft um 7 % und im Bereich der öffentlichen Hand um 9 % höher gelegen. Teilweise würde diese Mehrwertsteuer von den öffentlichen Haushalten selbst getragen.

Weitere Kostenerhöhungen ergäben sich bei bestimmten Geldleistungen. Durch eine solche Mehrwertsteuer-Reform würden die Beitragssätze aller Sozialversicherungszweige steigen. Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt ggf. Verletzten-und Übergangsgeld zuzüglich dieser Sozialversicherungsbeiträge.

Arbeitslosenversicherung

Im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) wären von einem Abbau von Ausnah-meregelungen der Mehrwertsteuerpflicht insbesondere die Kosten arbeitsmarktpolitischer Leistungen betroffen. Nach § 4 UStG sind Maßnahmenträger derzeit i.d.R. vollständig von der Mehrwertsteuer befreit. Für die BA hätte eine Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bzw. der Mehrwertsteuerbefreiungen indirekt Konsequenzen auf den Haushalt. Unter Annahme einer 19%-igen Besteuerung der Träger und einer vollständigen Weitergabe der Besteuerung durch die Maßnahmenträger an die BA, käme es zu Mehrausgaben von rund 725 Mio. Euro pro Jahr.

Durch den Abbau von Ausnahmeregelungen für andere Sozialversicherungsträger erhöhen sich auch die dortigen Ausgaben. Dies hätte eine Steigerung der Beitragssätze von insgesamt rund 2,93 Prozentpunkten der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung und der Rentenversicherung zur Folge. Auf die BA kämen daher Mehrausgaben bei den Sozialversicherungsbeiträgen von Entgeltersatzleistungen aus dem Haushalt der BA in Höhe von rund 450 Mio. Euro pro Jahr zu.

Darüber hinaus zieht eine Steigerung der Beitragssätze für die gesetzlichen Sozialversicherungen auch eine Erhöhung der Ausgaben für den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge für die Angestellten der BA sowie der Beihilfeleistungen nach sich. Der Haus-halt würde mit weiteren rund 46 Mio. Euro zusätzlich belastet werden.

Insgesamt würden sich Mehrausgaben für die BA in Höhe von rund 1.221 Mio. Euro pro Jahr ergeben. Aufgrund dieser drohenden Mehrausgaben befürwortet die BA die Beibehaltung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes sowie der Mehrwertsteuerbefreiungen unter dem jetzigen Status Quo. Die Mehrausgaben entsprechen rund 0,14 Prozentpunkten beim Beitragssatz.

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