Yves Bot, Generalanwalt des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Foto: AFP)

Montag, 22. Dezember 2008

EuGH-Generalanwalt Yves Bot hält Apothekenfremd- besitzverbot für zulässig

Von: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften / Pressemitteilung

Der Generalanwalt des Gerichtshofs der Europäischen Ge- meinschaften Yves Bot hat am 16. Dezember in Luxemburg seine Schlussanträge in der Rechtssache 531/06 und in den verbundenen Rechtssachen C-171/07 und C-172/07 der Eu- ropäischen Kommission gegen Italien, die Apothekerkammer des Saarlandes u. a. gestellt. Der Generalanwalt hält es für zulässig, den Besitz und den Betrieb von Apotheken Apothe- kern vorzubehalten. Die italienischen und deutschen Rechts- vorschriften, die eine solche Regelung vorsehen, sind seiner Ansicht nach durch das Ziel der angemessenen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gerechtfertigt.

Generalanwalt Bot hat heute seine Schlussanträge in zwei Verfahren vorgelegt, die die Regelung des Eigentums an Apotheken betreffen.

Hauptgegenstand dieser Rechtssachen ist die Frage, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags zur Niederlassungsfreiheit den Vorschriften des deutschen und des italienischen Rechts entgegenstehen, die vorsehen, dass nur Apotheker eine Apotheke besitzen und betreiben dürfen.

Den verbundenen Rechtssachen C-171/07 und C-172/07 (Apothekerkammer des Saarlandes u. a.) liegt die der niederländischen Aktiengesellschaft DocMorris durch das zuständige saarländischen Ministerium erteilte Erlaubnis zugrunde, ab dem 1. Juli 2006 eine Filialapotheke in Saarbrücken zu betreiben. Mehrere Apotheker und ihre Berufsverbände haben die Entscheidung des Ministeriums wegen Unvereinbarkeit mit deutschem Recht, das das Recht zum Besitz und Betrieb von Apotheken Apothekern vorbehält, vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes angefochten.

Das Verwaltungsgericht hat den Gerichtshof angerufen, um klären zu lassen, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags zur Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen sind, dass sie einer derartigen Regelung entgegenstehen.

In der Rechtssache C-531/06 (Kommission / Italien) hat die Kommission u. a. beantragt, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht verstoßen hat, dass sie den Besitz und den Betrieb privater Apotheken Apothekern vorbehält.

In seinen Schlussanträgen erinnert der Generalanwalt zunächst daran, dass der Gemeinschaft keine uneinge- schränkte Zuständigkeit im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung übertragen worden ist. Diese Zuständigkeit bleibt daher zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten geteilt.

Die Beibehaltung einer nationalen Zuständigkeit im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung ist in Art. 152 Abs. 5 EG ausdrücklich wie folgt festgelegt: "Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt."

Nach Ansicht des Generalanwalts können die Mitgliedstaaten ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen bei der Ausübung der ihnen verbliebenen Zuständigkeit dennoch nicht außer Acht lassen. Um Bestand zu haben, muss eine nationale Regelung, nach der nur Apotheker eine Apotheke besitzen und betreiben dürfen, mit den Vorschriften des EG-Vertrags zur Niederlassungsfreiheit im Einklang stehen.

Der Umstand, dass eine derartige Vorschrift im ausdrücklich von Art. 152 Abs. 5 EG geschützten Bereich der verbliebenen nationalen Zuständigkeit ergeht, ist jedoch nicht ohne Folgen für die Beurteilung der Vereinbarkeit der Regelung mit der Niederlassungsfreiheit.

Wie der Generalanwalt näher ausführt, ist bei der Prüfung, ob die deutschen und italienischen Vorschriften im Hinblick auf ein im Allgemeininteresse liegendes Erfordernis wie den Gesundheitsschutz gerechtfertigt sind, zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat bestimmen kann, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden soll.

Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

Der Generalanwalt stellt fest, dass die fraglichen nationalen Vorschriften bewirken, dass die Angehörigen der Mitgliedstaaten, die keine Apotheker sind, am Besitz und am Betrieb einer Apotheke in Italien und in Deutschland gehindert werden. Zwar stellen diese Vorschriften eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, da sie den Marktzugang von natürlichen oder juristischen Personen behindern, die in den betreffenden Mitgliedstaaten eine Apotheke eröffnen wollen, sie sind jedoch nach Ansicht des Generalanwalts gerechtfertigt.

Zur Rechtfertigung der festgestellten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

Der Generalanwalt sieht in der festgestellten Beeinträchti- gung keinen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, da er die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das Ziel des Gesundheitsschutzes für gerechtfertigt hält.

Das an Nichtapotheker gerichtete Verbot, eine Apotheke zu besitzen und zu betreiben, ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet, da so eine Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt werden kann, die eine hinreichende Gewähr für Qualität und Auswahl bietet.

Wer als Eigentümer und Arbeitgeber eine Apotheke besitzt, beeinflusst zwangsläufig die Arzneimittelabgabepolitik in dieser Apotheke. Die Entscheidung des italienischen und des deutschen Gesetzgebers, die berufliche Kompetenz mit dem wirtschaftlichen Eigentum an der Apotheke zu verbinden, lässt sich demnach im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung rechtfertigen.

Daher bezeichnet es der Generalanwalt als wichtig, die Neutralität der pharmazeutischen Beratung, d. h. einen kompetenten und objektiven Rat, zu gewährleisten. Die Qualität der Arzneimittelabgabe steht in engem Zusammenhang mit der Unabhängigkeit, die ein Apotheker bei der Erfüllung seiner Aufgabe wahren muss.

Mit der Entscheidung, Apothekern das Eigentum und den Betrieb von Apotheken vorzubehalten, wollten der italienische und der deutsche Gesetzgeber die Unabhängigkeit der Apotheker gewährleisten, indem sie die wirtschaftliche Struktur der Apotheken gegen äußere Einflüsse abgeschottet haben, die z. B. von Arzneimittelherstellern und Großhändlern ausgehen.

Durch diese finanzielle Unabhängigkeit wird nach Ansicht des Generalanwalts die freie Berufsausübung gewährleistet. Ein Apotheker, der die volle Kontrolle über seine Arbeitsmittel hat, übt seinen Beruf mit der Unabhängigkeit aus, die für die freien Berufe kennzeichnend ist. Er ist Leiter eines Unternehmens mit Nähe zu den wirtschaftlichen Realitäten, denen er sich bei der Führung seiner Apotheke stellen muss, und zugleich ein Gesundheitsfachmann, der bestrebt ist, die wirtschaftlichen Zwänge, denen er unterliegt, mit Erwägungen der öffentlichen Gesundheit in Einklang zu bringen, wodurch er sich von einem reinen Investor unterscheidet.

Zudem geht, so der Generalanwalt, die Vorschrift, durch die der Besitz und der Betrieb von Apotheken Apothekern vorbehalten wird, nicht über das hinaus, was zur Erreichung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit der Bevölkerung erforderlich ist.

Die Einführung einer Haftung sowohl des Betreibers, der nicht Apotheker ist, als auch der angestellten Apotheker und von Sanktionen gegenüber diesen Personen hält er hingegen nicht für ausreichend, um ein gleich hohes Niveau für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen, da es sich hierbei in erster Linie um Maßnahmen handelt, mit denen die Auswüchse nachträglich korrigiert werden sollen, nachdem sie bereits eingetreten sind.

Zudem kann nach Ansicht des Generalanwalts die Anwesenheitspflicht eines angestellten Apothekers, der Aufgaben in Beziehung zu Dritten wahrnimmt, nicht eine angemessene Arzneimittelversorgung der Bevölkerung mit demselben Qualitäts- und Neutralitätsanspruch bei der Arzneimittelabgabe gewährleisten. Da er nicht die Geschäftspolitik der Apotheke bestimmt und in der Praxis die Weisungen seines Arbeitgebers befolgen muss, ist nicht auszuschließen, dass ein angestellter Apotheker, der in einer von einem Berufsfremden betriebenen Apotheke angestellt ist, dazu gebracht wird, das wirtschaftliche Interesse der Apotheke gegenüber den Erfordernissen, die mit der Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit verbunden sind, in den Vordergrund zu stellen.

Schließlich sieht der Generalanwalt in der Verknüpfung der Betriebserlaubnis für eine Apotheke mit der Person des Apothekers ein wirksames Mittel, um die Ordnungsmäßigkeit der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, insbesondere weil für den Apotheker als Betreiber der Apotheke im Fall eines Berufsvergehens die Gefahr besteht, dass ihm nicht nur die Approbation, sondern auch die Betriebserlaubnis entzogen wird, woraus sich schwerwiegende wirtschaftliche Folgen ergeben.

Daher steht es nach Ansicht des Generalanwalts im Einklang mit den Vorschriften des EG-Vertrags zur Niederlassungsfreiheit, zu verlangen, dass derjenige, der die Apotheke wirtschaftlich kontrolliert und damit ihre Geschäftspolitik bestimmt, Apotheker ist.

Rechtliche Hinweise

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
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