
DGHO: ..."Ungeachtet des noch ausstehenden Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) ist der Vorstand der DGHO der Ansicht, dass Vertragsärzte sich genauso als "Amtsträger" bzw. Beauftragte der Krankenkassen verpflichtet sehen sollten wie angestellte Ärzte. Die Freiberuflichkeit entbindet nicht von der umfassenden Verantwortung gegenüber der Solidargemeinschaft, eine Ausweitung der Antikorruptionsgesetze auf Freiberufler erscheint uns grundsätzlich sinnvoll." (Foto: ABDA)
DGHO-Vorstand: Stellungnahme zur Korruptionsdebatte im Gesundheitswesen
In den letzten Wochen ist viel über ökonomische Verflechtungen und Verwerfungen im Gesundheitswesen publiziert worden. Einige der aktuellen Berichte betreffen auch die Onkologie (eine Auswahl liegt dieser Stellungnahme als Anlage bei). Manche Meldungen sind beunruhigend, manche erschreckend, einige bergen die Gefahr eines Generalverdachts gegen große Teile der onkologischen Ärzteschaft.
Wir sehen uns daher veranlasst, eine Stellungnahme zu den wichtigsten Punkten der aktuellen Debatte abzugeben. Vorab sei angemerkt, dass in den diversen Artikeln und Interviews verschiedene Themen vermischt werden, die für sich alle bedeutsam sind, aber nicht zwangsläufig miteinander zu tun haben. So werden z.B. in Meldungen und Meinungen die Begriffe
- Korruption,
- Abrechnungsbetrug,
- Falschabrechnungen von Kliniken,
- Medikamentenfälschung,
- Pseudo-Studien,
- Kick-back-Zahlungen durch Schein-Beraterverträge, etc.
in eine Reihe gestellt. Durch diese Verknüpfungen können falsche Eindrücke und Schlussfolgerungen entstehen. Es kann auch der ungeschminkte Blick auf das eigentliche Problem verschleiert werden.
Diese teilweise bestehende Unschärfe in den Veröffentlichungen bedarf einer Präzisierung und klaren Trennung bei der künftigen Aufarbeitung.
Zu Themen, die nicht unmittelbar die onkologische Ärzteschaft betreffen – wie z.B. Abrechungsmodalitäten in Kliniken –, nehmen wir nicht Stellung.
Die 7 wichtigsten Fragen um die problematischen Themenkomplexe, die unser Fachgebiet betreffen, sind:
- Welches Ausmaß haben die Verflechtungen von Ärzten, Apothekern und Pharmaindustrie?
- Welche Formen der Zusammenarbeit sind notwendig und legal, welche verwerflich?
- Wo endet Kooperation mit angemessener Aufwandsentschädigung, wo beginnt Korruption?
- Wie kann man unseriöse "Beratergeschäfte" von seriösen Beratungsleistungen abgrenzen?
- Wie kann man die seriöse Versorgungsforschung von unseriöser trennen?
- Wie schützen wir die weißen Schafe?
- Welche Ursachen haben zur Ökonomisierung der Onkologie geführt?
Die Aufarbeitung dieser Fragen impliziert vielfältige medizinische, politische, juristische und nicht zuletzt ethische Aspekte.
Beginnen wir unsere Betrachtung mit den Stoffen, um die herum sich letztlich alles dreht: den zur Krebstherapie eingesetzten Medikamenten, speziell den Zytostatika.
Die Qualität und Unabhängigkeit der Versorgung mit Zytostatika muss über jeden Zweifel erhaben sein. Hierzu gehört die Transparenz über deren Herkunft ebenso wie Zulassung und Verkehrsfähigkeit auf dem deutschen Markt. Die verwendeten Medikamente müssen dem Stand des medizinischen Wissens entsprechen und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots verordnet werden. Substanzen unklarer Sicherheit oder Provenienz können nicht ernsthaft Gegenstand einer Therapie sein. Jede Zubereitung und die begleitenden Papiere eines Krebsmedikamentes sollen mit Herstellernamen der Substanz und ihrer Chargennummer gekennzeichnet werden, für die Archivierung müssen ähnlich strenge Regeln wie für Bluttransfusionen gelten.
Besonders empörend sind Meldungen über so genannte "Luft-Rezepte" für Medikamente, die zwar gegenüber den Kassen abgerechnet, aber gar nicht abgegeben wurden. Dieser Vorwurf betrifft zwar in erster Linie Apotheker, jedoch sind die mit ihnen zusammenarbeitenden Onkologen auch zu Wachsamkeit und Transparenz diesbezüglich verpflichtet.
Betrügereien und kriminellen Machenschaften tritt die DGHO entschlossen entgegen.
Unseres Erachtens ist es auch inakzeptabel, wenn statt des Wirkstoffes ein spezielles Firmenprodukt rezeptiert wird und dafür – direkt oder indirekt – eine Provision angenommen wird. Die Verordnung einer onkologischen Therapie muss produktunabhängig sein, monetäre Anreize dürfen niemals Grund für die Verordnung eines bestimmten Präparates einer bestimmten Firma sein.
Wie auch immer kick-back-Zahlungen getarnt sind, es besteht die Gefahr, dass die so wichtige und auch politisch geforderte Versorgungsforschung (z.B. für Nutzenbewertungen neuer Arzneimittel im Rahmen von Post-Zulassungsstudien) durch Datensammlungen von zweifelhaftem Wert, die nur einer Pseudo-Legitimierung von Provisionszahlungen dienen, in Misskredit gerät. Nicht-interventionelle Studien (NIS) haben einen hohen und zunehmenden Stellenwert in der onkologischen Forschungslandschaft. Sie sind abzugrenzen von Anwendungsbeobachtungen (AWB), die zwar ebenso als Untersuchungsmethode im Arzneimittelgesetz verankert sind, manchmal aber im Rahmen von so genannten "Schein-Studien" nur Marketing-Zwecken dienen und in dem Zusammenhang keinen wissenschaftlichen Wert besitzen.
Auch die Tarnung von Provisionszahlungen als "Beraterverträge" birgt die Gefahr, dass die vielen seriösen und unumstrittenen Beratungs- und Vortragstätigkeiten, die Ärzte für die Pharmaindustrie durchführen, ebenfalls diskreditiert werden.
Eine klare Definition der Begrifflichkeiten erscheint uns somit dringend geboten, um seriöse Tätigkeiten von unseriösen anzugrenzen. Es wäre fatal – insbesondere im Hinblick auf unsere Wahrnehmung bei Patienten und in der allgemeinen Öffentlichkeit – wenn Begriffe wie "Studie", "Versorgungsforschung" oder "Beratungstätigkeit" a priori als negativ belastet eingestuft würden.
Viele der aktuell erhobenen Vorwürfe betreffen den ambulanten Sektor unseres Fachgebietes. Ungeachtet des noch ausstehenden Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) ist der Vorstand der DGHO der Ansicht, dass Vertragsärzte sich genauso als "Amtsträger" bzw. Beauftragte der Krankenkassen verpflichtet sehen sollten wie angestellte Ärzte. Die Freiberuflichkeit entbindet nicht von der umfassenden Verantwortung gegenüber der Solidargemeinschaft, eine Ausweitung der Antikorruptionsgesetze auf Freiberufler erscheint uns grundsätzlich sinnvoll.
Was führte überhaupt zu derart verwerflichen Geschäftspraktiken, wie sie jetzt ans Tageslicht kommen? Die Antwort ist sehr vielschichtig und kann an dieser Stelle nur in Teilaspekten diskutiert werden.
Fakt ist, dass der deutsche Arzneimittelmarkt Chancen für überdurchschnittliche Profite bietet wie kaum ein anderer. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Versorgung mit Zytostatika und anderen Krebsmedikamenten. Die Profiteure sind seit Jahrzehnten in erster Linie Apotheker, Hersteller und Pharmafirmen. Auch wenn es im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren schon Abstufungen gegeben hat, sind erzielten Gewinne in den drei genannten Bereichen nach wie vor sehr hoch. Gegenläufig verlief hingegen die Entwicklung der ärztlichen Vergütung, die systematisch seit vielen Jahren immer niedriger bewertet wurde. Insbesondere das ärztliche Gespräch, die wesentliche Kernleistung in der Onkologie, ist in völlig unangemessener Weise unterfinanziert. Inzwischen ist die Vergütung onkologischer Leistungen – bedingt durch R gelleistungsvolumina, Honorardeckelung, etc. – so niedrig, dass sich viele Praxen gezwungen sehen, Sekundäreinnahmen in Anspruch zu nehmen. Oftmals wird mehr als ein Drittel aller in einem Quartal erbrachten Leistungen nicht mehr bezahlt. Zudem gibt es zwischen den verschiedenen KVen groteske Vergütungsunterschiede für gleiche Leistungen.
Speziell die Diskrepanz in den Einnahmen zwischen Onkologen und ihren Apothekern ist extrem. Zwangsläufig ist daher seit langem durch dieses Missverhältnis die Tür für kick-back-Zahlungen jedweder Art weit geöffnet.
Parallel haben viele Firmen (vor allem Generikahersteller, aber auch forschende Firmen) versucht, eine exklusive Verordnung ihrer Produkte durch Onkologen oder einen exklusiven Einkauf durch Apotheker zu erwirken.
Es sei an dieser Stelle klar betont: Ohne die forschende Pharmaindustrie wäre die beträchtliche Entwicklung der medikamentösen Tumortherapie in den letzten 20 Jahren nicht möglich gewesen. Die Zusammenarbeit zwischen Onkologie und pharmazeutischer Industrie steht daher nicht zur Disposition. So wenig eine pauschale Industrieschelte gerechtfertigt ist, so unmissverständlich muss jedoch auch auf Missstände aufmerksam gemacht werden. Ein derart gigantischer Markt wie der der medikamentösen Tumortherapie lockt unseriöse Mitspieler an und er verführt zu verwerflichen Geschäftspraktiken.
Beide Entwicklungen jedenfalls, hohe Gewinnmöglichkeiten auf Seiten von Industrie, Apothekern, Großhändlern und kontinuierliche Verkleinerung des finanziellen Spielraumes auf der Seiten der Ärzteschaft haben den Nährboden für unsolides Geschäftsgebaren und Korruption bereitet. Die Kenntnis der Zusammenhänge entschuldigt beides natürlich nicht. Aber sie zeigt, wie dringlich Initiativen von Politik und Kostenträgern benötigt werden.
Quintessenz
Der Vorstand der DGHO hat die offensichtlichen Fehlentwicklungen in der Onkologie wahrgenommen. Es geht nicht um die Diffamierung von legitimen Bemühungen, seinen ökonomischen Status zu sichern. Aber es sind Grenzen von Vernunft und Verantwortung überschritten worden. Es gilt, sich von schwarzen Schafen mit unsolidem Geschäftsgebaren zu distanzieren und die weißen vor einem unzulässigen Generalverdacht zu schützen.
Politik und Kostenträger sind aufgefordert, die eklatante Unterbewertung von Leistungen, die persönlich von onkologisch tätigen Ärzten erbracht werden, durch eine adäquate und ausgewogenere Vergütung zu ersetzen, um Korruption den Nährboden zu entziehen.
Vom Gesetzgeber ist weiterhin zu fordern, dass er rasch einen neuen Ordnungsrahmen mit möglichst weitgehender Transparenz schafft. Hierzu gehört auch die von uns seit langer Zeit angemahnte Herkunftskennung auf Zytostatikazubereitungen.
Es gilt, das Ansehen des Fachgebietes, speziell der ambulanten Versorgung, zu stützen. Dies geht jedoch nur, indem von allen Beteiligten für maximale Transparenz gesorgt wird und erkannte Missstände schnellstmöglich abgebaut werden.
Prof Dr. med. Gerhard Ehninger (Geschäftsführender Vorsitzender)
Dr. med. Friedrich Overkamp (Vorsitzender)
Prof. Dr. med. Mathias Freund (Sekretär und Schatzmeister)
Auswahl veröffentlichter Artikel
- Korruption im Gesundheitswesen. Auf der Suche nach Gegenmitteln
Marc Meißner, Sabine Rieser, 06.04.2012, Deutsches Ärzteblatt
© 2012 Deutscher Ärzte-Verlag GmbH
www.aerzteblatt.de/archiv/124681 - Die Krebs-Mafia
Markus Grill, 07.04.2012 Der Spiegel
Ausgabe 15/2012, Seite 81 bis 85.
© 2012 Spiegel Verlag - Betrugsverdacht gegen Ärzte und Apotheker. "Wettbewerb um Krebsmedikamente ist mafiös", Interview mit Jörn Graue, 08.04.2012, Spiegel Online
© Spiegel Verlag
www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,826061,00.html - Zyotostatika Preise. Graue: "Politik wünscht Intransparenz"
Kirsten Sucker-Sket, 10.04.2012, DAZ-Online. Das Internetportal der Deutsche Apotheker Zeitung
© 2012 Deutscher Apotheker Verlag
www.deutsche-apotheker-zeitung.de/spektrum/news/2012/04/10/graue-politik-wuenscht-intransparenz/6965.html - Reibach auf Rezept
Markus Grill, 16.04.2012, Der Spiegel
Ausgabe 16/2012, Seite 78
© 2012 Spiegel Verlag - Verdacht in Hamburg. Betrug mit Krebsmitteln
abendblatt.de/ryb, 18.04.2012
© 2012 Springer Verlag
www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2250265/Verdacht-in-Hamburg-Betrug-mit-Krebsmitteln.html - Krebs-Patienten betrogen: Razzia in Arztpraxen und Apotheken
Thomas Luczak, 20.04.2012, Ostsee-Zeitung
© Ostsee-Zeitung GmbH & Co KG
- Weiterführende Links
- www.dgho.de