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Dienstag, 02. Dezember 2008

Bundesweit erste Gerichtsentscheidung zur neuen Regelung für Arzt-Software

Von: Sozialgericht Berlin / Pressemitteilung

Wenn ein Arzt an seinem Computer ein Rezept ausstellt, soll er nicht von seinem Computer-Programm beeinflusst wer- den, dass die Medikamente bestimmter Pharma-Unterneh- men bevorzugt werden. Deshalb dürfen Kassenärzte seit dem 1. Juli 2008 nur noch Programme benutzen, die ein amtliches Zertifikat besitzen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat nun die Zertifi- zierung eines solchen Programms abgelehnt. Sie rügt eine "manipulative Beeinflussung des Arztes". Der Hersteller des Programms ist anderer Ansicht und hat deshalb eine Eil-Ent- scheidung des Berliner Sozialgerichts beantragt, damit sein Programm weiterhin von den bundesdeutschen Kassenärzten benutzt werden darf. Das Sozialgericht hat diesen Eil-Antrag in der vergangenen Woche abgelehnt und damit die Ableh- nung des Zertifikats vorläufig bestätigt.

Eine endgültige Gerichtsentscheidung kann erst später in einem sogenannten Hauptsache-Verfahren getroffen werden.

Das Sozialgericht hatte sich die umstrittenen Funktionen des Programms in einem Erörterungstermin vorführen lassen und kam danach unter anderem zu folgendem Ergebnis:

"Das hier zu beurteilende Programm xxxxx vermischt in unzulässiger Weise Werbung und Funktion. Dieses Programm kann nur über die Tastatur bedient werden. Die Taste F…. mit regulären Programmfunktionen belegt, löst aber im streitigen Programm-Fenster die Öffnung der Werbung aus. Dieser werbebehaftete Weg bringt dann den Nutzer besonders einfach zu der Verordnung des beworbenen Medikaments.

Das Gericht sieht hier eine Manipulation auch des kundigen Nutzers. Dieser wird verleitet, über die Doppelfunktion der Tasten, aber vor allem über den einfachen und kurzen Weg der Verordnung, das beworbene Medikament auszuwählen. Hierbei ist vor allem die Zeitersparnis auf dem Weg zu der Verordnung zur Manipulation geeignet. Dieses wird besonders deutlich, wenn bei Eingabe des Codes für die Erkrankung, hier z. B. "essenzielle Hypertonie", ein Verordnungsvorschlag des beworbenen Medikaments erscheint, alle anderen Medikamentenvorschläge jedoch nur über einen viel aufwendigeren Weg für den Nutzer zu erreichen wären."

Der Hersteller des Programms hat Beschwerde beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gegen diese Entscheidung eingelegt.

Das Gericht hat außerdem festgestellt, dass der "Anforderungskatalog", den die gesetzlichen Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung für Computer-Programme aufgestellt haben, dem gesetzlichen Auftrag entspricht. Er sei auch im konkreten Fall zutreffend angewandt worden: "Der Gesetzgeber will den Arzt vor dieser Art der Einflussnahme schützen."

Lesen Sie auch hierzu die Pressemitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Anforderungen der KBV für die Zertifizierung von Praxissoftware wurden in einer gerichtlichen Entscheidung als rechtmäßig und verbindlich bestätigt. Die CompuGROUP Holding AG in Koblenz, einer der führenden Hersteller für Praxissoftware, hatte gegen eine Ablehnung der Zertifizierung bei einer ihrer Töchter geklagt und gefordert, dass deren Programm weiter verwendet werden dürfe. Der Anforderungskatalog der KBV für Praxissoftware ginge zu weit, und die gerügten Programmfunktionen wären mit dem geltenden Gesetz vereinbar. Konkret hatten die Prüfer der KBV beanstandet, dass die Eingabe eines Diagnose-Schlüssels teilweise direkt zu einem Verordnungsvorschlag führte. Zudem war es in der Software möglich, nach dem Aufruf von Werbung dieses Medikament mit nur geringem Aufwand auf den Verordnungsvordruck zu setzen. Beides "vermischt in unzulässiger Weise Werbung und Funktion", heißt es nun im Beschluss des Berliner Sozialgerichts. Die KBV habe dies als einen "manipulativen Eingriff" zu Recht beanstandet.

Den Argumenten der Antragsteller widersprach das Sozialgericht damit: Der Anforderungskatalog sei faktisch Bestandteil der Bundesmantelverträge und wirksam. Demnach darf es keinen direkten Weg von einer Werbeeinblendung zu einer Verordnung geben. Das Gesetz schreibt vor, dass Ärzte seit Juli dieses Jahres nur Programme verwenden dürfen, die eine manipulationsfreie Verordnung von Arzneimitteln gewährleisten. Kassen und Ärzte haben sich auf ein Anforderungsprofil geeinigt, das die Programme erfüllen müssen. Die KBV hat inzwischen über 200 Praxisprogramme und Arzneimitteldatenbanken entsprechend zertifiziert. Die Verwendung nicht-zertifizierter Programme durch den Arzt kann von der jeweiligen KV sanktioniert werden. Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts wurde durch den Hersteller inzwischen Beschwerde beim Landessozialgericht eingelegt (Ärzte Zeitung 20.11.08, Beschluss des Sozialgerichts Berlin, Az.: S 79 KA 498/08 ER).

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