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Dienstag, 01. Februar 2011

BSG: Staat muss private Krankenversicherung bei Hartz-IV übernehmen

Von: Bundessozialgericht Kassel / Pressemitteilung

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Januar 2011 im Verfahren B 4 AS 108/10 R ent­schieden, dass der als selbständiger Rechtsanwalt tätige und privat krankenversicherte Kläger im streitigen Zeitraum des Jahres 2009 von dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übernahme seiner Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe verlangen kann.

Der Kläger konnte nicht mehr - wie nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 2008 - als Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II automatisch Mitglied der ge­setzlichen Krankenversicherung werden, sondern musste seine private Krankenversicherung mit einer Beitragsbelastung in Höhe von 207,39 Euro aufrecht erhalten. Eine ausdrückliche Regelung dazu, wie der offene Beitragsanteil auszugleichen ist, findet sich im SGB II nicht.

Insofern besteht eine gesetzesimmanente Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvoll­ständig­keit der gesetzlichen Vorschriften. Den Gesetzesmaterialen zu dem GKV-Wettbewerbs-Stär­kungs­gesetz lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber den privat krankenversi­cherten Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewusst und gewollt einen von ihnen finanziell nicht zu tragenden Beitragsanteil belassen wollte. Die schriftlich niedergelegten Motive enthalten Hinweise auf einen "bezahlbaren Basistarif" und dies berücksichti­gende Regelungen, die sicherstellten, dass "die Betroffenen finanziell nicht überfor­dert würden". Auch der weitere Regelungszusammenhang spricht für eine gesetzesimmanente Lücke, weil Beiträge für freiwillig krankenversicherte Leistungsempfänger in vollem Umfang und Beiträge zur privaten Kran­kenversicherung in Fallgestaltungen ganz übernommen werden, in denen dadurch der Eintritt einer Hilfebe­dürftigkeit nach dem SGB II vermieden werden kann.

Schließlich wäre das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum privat versicherter SGB II-Leistungsempfänger betroffen, wenn die von ihnen geschuldeten Beiträge zur privaten Krankenversi­cherung nicht vom Träger der Grundsicherung übernommen würden. Die planwidrige Regelungslücke bei der Tragung von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung ist - hinsichtlich der offenen Bei­tragsanteile - daher durch eine analoge Anwendung der Regelung für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen zu schließen. Hieraus ergibt sich eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Beiträge in voller Höhe.

Az.:  B 4 AS 108/10 R

Rechtsgrundlagen

§ 26 Zuschuss zu Versicherungsbeiträgen

(2) Für Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit

1.bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, gilt § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes,
2.freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, wird für die Dauer des Leistungs­bezugs der Beitrag übernommen; für Personen, die allein durch den Beitrag zur freiwilligen Versiche­rung hilfebedürftig würden, wird der Beitrag im notwendigen Umfang übernommen.

Der Beitrag wird ferner für Personen im notwendigen Umfang übernommen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind und die allein durch den Krankenversicherungsbei­trag hilfebedürftig würden.

§ 12 VAG

1c) Der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltsstufen darf den Höchst­beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen; ….Entsteht allein durch die Zahlung des Beitrags nach Satz 1 oder Satz 3 Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte; die Hilfebedürftigkeit ist vom zuständigen Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu bescheinigen. Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, beteiligt sich der zuständige Träger nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürf­tigkeit vermieden wird. Besteht unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, gilt Satz 4 entsprechend; der zuständige Träger zahlt den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Kran­kenversicherung zu tragen ist.

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