
Seit 1985 berichtet der jährlich erscheinende Arzneiverordnungs-Report unter der Herausgeberschaft des Heidelberger Pharmakologen Prof. Dr. U. Schwabe und des Ökonomen Dr. D. Paffrath über die vertragsärztlichen Arzneiverordnungen. Zahlreiche Experten aus Pharmakologie, Medizin und Ökonomie kommentieren das ärztliche Verordnungsverhalten. Primäres Ziel dieser Publikation ist eine verbesserte Markt- und Kostentransparenz. Wo immer möglich, werden Arzneimittel nach den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin beurteilt. Der Arzneiverordnungs-Report enthält jährlich ungefähr 50 arzneitherapeutische und vier marktbezogene Kapitel über die 3.000 führenden Präparate des deutschen Arzneimittelmarktes, auf die 96% aller Verordnungen entfallen. Das Projekt GKV-Arzneimittelindex im WIdO unterstützt dieses Standardwerk sowohl mit den Verordnungs- und Klassifkationsdaten als auch mit eigenen Beiträgen. (Foto: dpa)
Arzneiverordnungs-Report 2011: "Umsatzanstieg mit patentgeschützten Arzneimitteln"
Deutschlands Ärzte haben 2010 nicht mehr Medikamente verordnet als 2009. Trotzdem ist der Arzneimittel-Umsatz der Krankenkassen um 4,3 Prozent auf 29,7 Milliarden Euro gestiegen. Das geht aus dem Arzneiverordnungs-Report 2011 hervor, der am 14. September 2011 in Berlin vorgestellt wurde. Die Datengrundlage für den AVR liefert das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). "Die einzelne Verordnung ist bei fast konstanter Menge teurer geworden", benennt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO, die Entwicklung. "Umsatztreiber waren auch 2010 patentgeschützte Arzneimittel. 14,2 Milliarden Euro Umsatz haben die Hersteller mit den Krankenkassen gemacht – 7,5 Prozent mehr als 2009."
Die Analysen des seit 1985 jährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Reports basieren auf mehr als 700 Millionen Arzneimittelverordnungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Daten werden vom Projekt GKV-Arzneimittelindex des WIdO ausgewertet und den Herausgebern und Autoren des Arzneiverordnungs-Reports zur Verfügung gestellt.
Gesetzliche Kostendämpfung und Rabattverträge wirken
Laut GKV-Arzneimittelindex ist die Zahl der Verordnungen 2010 vergleichsweise konstant geblieben. Dank der Arzneimittelrabattverträge und gesetzlicher Sparmaßnahmen seit August 2010 (16-Prozent-Herstellerabschlag für Nicht-Festbetragsarzneimittel sowie Preismoratorium bis Ende 2013) sind die Ausgaben der Krankenkassen 2010 nur um ein Prozent gewachsen. 18 Prozent ihrer Ausgaben mussten die Krankenkassen im vergangenen Jahr für Medikamente aufwenden.
Den Rabattverträgen verdankten die Krankenkassen im vergangenen Jahr Einsparungen von rund 1,3 Milliarden Euro. Davon entfielen 600 Millionen oder 46 Prozent auf die AOK-Gemeinschaft. Schröder: "Die Rabatterlöse 2010 entsprechen bei den AOKs 5,1 Prozent der Arzneimittelausgaben. Das entspricht übersetzt 34 Euro je AOK-Mitglied. Der GKV-Schnitt liegt bei 4,3 Prozent der Ausgaben."
Der gestiegene Wert je Arzneimittelverordnung sorgte dennoch für ein deutliches Umsatzplus von rund 1,22 Milliarden Euro oder 4,3 Prozent. „Diese Wertsteigerung kommt trotz stabiler Preise zustande, weil die Ärzte auch 2010 mehr teure Präparate verordnet haben“, erläutert Helmut Schröder. Von den Fachleuten wird diese Entwicklung als Strukturkomponente in die Statistik einberechnet.
Wirtschaftlichkeitspotenziale weiter hoch
Die Analysen des Arzneiverordnungs-Reports 2011 zeigen, dass es nach wie vor ein erhebliches Einsparpotenzial gibt: 4,7 Milliarden Euro könnten demnach ohne Qualitätseinbußen in der Therapie eingespart werden, wenn noch konsequenter preiswerte Generika verordnet würden, wenn anstelle von teuren Analogpräparaten therapeutisch mindestens gleichwertige patentfreie Alternativen verschrieben würden und wenn Ärzte ganz auf Arzneimittel mit umstrittener Wirksamkeit verzichten würden.
Die Zahlen des WIdO belegen allerdings, dass sich diese drei Marktsegmente in den vergangenen Jahren durchaus unterschiedlich entwickelt haben.
Umstrittene Arzneimittel fast kein Thema mehr
"Arzneimittel mit umstrittener Wirksamkeit machten Anfang der 90er Jahre nahezu 40 Prozent der Verordnungen aus und damit fast ein Drittel des gesamten GKV-Arzneimittelumsatzes. 2010 lag der Umsatzanteil nur noch bei 2,5 Prozent", so Helmut Schröder. Seit dem weitgehenden Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der GKV-Erstattung durch das GKV-Modernisierungsgesetz 2004 stagnieren die zumeist rezeptfreien Arzneimittel mit umstrittener Wirksamkeit auf niedrigem Niveau. Schröder: "Dennoch hätten auch im vergangenen Jahr rund 570 Millionen Euro zusätzlich für eine wirksame Therapie zur Verfügung gestanden, wenn vollständig auf die Verordnung dieser Produkte verzichtet worden wäre."
Erfolgsmodell Generika
2010 waren 71 Prozent der für gesetzlich Versicherte verschriebenen Medikamente Generika. Der Verordnungsanteil ist damit konstant hoch. Dank der Rabattverträge sind aber die Umsätze um 2,7 Prozent gesunken", betont WIdO-Experte Schröder. "Dieses Instrument trägt neben den Festbeträgen für Arzneimittel wirksam dazu bei, die nach wie vor vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven im generikafähigen Markt zu realisieren. Denn trotz fallender Preise gibt es weiterhin erhebliche Preisunterschiede."
Seit 2007 nutzen die meisten Krankenkassen verstärkt die Möglichkeit, durch Direktverträge mit Herstellern kassenindividuelle Preisvorteile zu realisieren. Als erste gesetzliche Krankenkasse hat die AOK Arzneimittelrabattverträge für Generika europaweit ausgeschrieben und sie rechtssicher durchgesetzt. Aktuell laufen Versorgungsverträge für 172 Wirkstoffe mit einem jährlichen AOK-Umsatz im Umfang von 3,5 Milliarden Euro. Noch bis zum 17. Oktober 2011 läuft die AOK-Ausschreibung für die inzwischen siebte Vertragstranche. Sie umfasst 105 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen mit einem AOK-Umsatzvolumen von zwei Milliarden Euro. Die neuen Verträge sollen am 1. April 2012 in Kraft treten.
Patentgeschützte Arzneimittel bereiten weiter Sorge
Das Umsatzwachstum bei den patentgeschützten Arzneimitteln bereitet den Krankenkassen weiter Sorge. "Der Umsatz hat sich in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt", sagt Schröder. Auch 2010 ist der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 7,5 Prozent gestiegen, obwohl die Zahl der Rezepte für patentgeschützte Medikamente um 2,6 Prozent gesunken ist. Von den 14,2 Milliarden Euro Umsatz 2010 entfielen laut GKV-Arzneimittelindex zudem 3,5 Milliarden auf patentgeschützte Analogpräparate, die keinen Zusatznutzen haben. Für mehr als 80 Prozent des GKV-Umsatzes mit patentgeschützten Medikamenten gibt es keine Festbeträge und damit keine Preisregulierung. Die Hersteller können für diese Arzneimittel bislang jeden beliebigen Preis von den Kassen verlangen.
Abhilfe schaffen soll hier das Arzneimittelmarkt-Neuordungsgesetz (AMNOG). Innerhalb von sechs Monaten nach Marktzugang soll über eine frühe Nutzenbewertung geklärt werden, ob ein neues Medikament einen höheren Nutzen hat als bereits vorhandene Mittel. Ist dies nicht der Fall, sollen entweder ein Festbetrag oder zentrale Preisverhandlungen sicherstellen, dass diese Mittel nicht teurer sind als die Standardtherapie. Gibt es einen Zusatznutzen, verhandelt der GKV-Spitzenverband zentral mit dem Hersteller über den Preis. "Die ersten Nutzenbewertungen sind bereits angelaufen. Aktuell erarbeiten Kassen und Pharmaindustrie gemeinsam die Kriterien, nach denen die Erstattungspreise verhandelt werden. Mit ersten Verhandlungsergebnissen ist ab Mitte nächsten Jahres zu rechnen", erläutert Helmut Schröder.
Wie sich die Arzneimittelverordnungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2010 entwickelt haben, beleuchtet der neue Arzneiverordnungs-Report, der am 14. September 2011 in Berlin vorgestellt wurde. Zahlreiche Experten aus Pharmakologie, Medizin und Ökonomie – auch aus dem WIdO – kommentieren das ärztliche Verordnungsverhalten. Der GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) stellt dabei auch die Verordnungs- und Klassifikationsdaten zur Verfügung.
Wie sich die Arzneimittelverordnungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2010 entwickelt haben, beleuchtet der neue Arzneiverordnungs-Report, der am 14. September 2011 in Berlin vorgestellt wurde. Zahlreiche Experten aus Pharmakologie, Medizin und Ökonomie – auch aus dem WIdO – kommentieren das ärztliche Verordnungsverhalten. Der GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) stellt dabei auch die Verordnungs- und Klassifikationsdaten zur Verfügung.
Arzneiverordnungs-Report 2011
Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare
Ulrich Schwabe; Dieter Paffrath (Hrsg.)
Springer Medizin Verlag Heidelberg; 2011
1.121 Seiten mit 81 Abbildungen
Ladenpreis ¤ 49,95
ISBN: 978-3-642-21991-7
Pressekontakt
Wissenschaftliches Institut der AOK
Helmut Schröder
Valentina Coca
Tel.: 030-34646-2393
Fax: 030-34646-2144
helmut.schroeder(at)wido.bv.aok.de
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