32. Deutschen Hausärztetag erfährt politische Rückendeckung von Ulla Schmidt
Die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbandes haben in ihrer Versammlung anlässlich des 32. Deutschen Haus- ärztetages in Berlin noch einmal ihre politische Richtung be- kräftigt. Mit überwältigender Mehrheit wurde für die Umset- zung des §73b SGB V in Form von Vollversorgungsverträgen mit Bereinigung gestimmt. Add-On-Verträge lehnt die Dele- giertenversammlung ab.
Rückendeckung auf seinem Weg erhielt der Deutsche Haus- ärzteverband auch von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. In ihren Augen, so Schmidt, gebe es keinen Zweifel daran, dass der Hausärzteverband von der Mehrheit der All- gemeinmediziner als Verhandler für Verträge nach § 73b SGB V mandatiert wurde und kritisierte die Blockadehaltung vieler Krankenkassen scharf. "Ich würde mich schämen als Vorsitzender einer Krankenkasse zu sagen: Ich verhandele keinen Vertrag zu Gunsten meiner Versicherten.", so Ulla Schmidt. Im Anschluss an ihre Rede stand die Bundesge- sundheitsministerin den anwesenden Delegierten Rede und Antwort und bekräftigte noch einmal die zentrale Stellung der Hausärzte in der medizinischen Versorgung.
Im Anschluss ehrte die Ministerin noch zwei langjährige Mitglieder des Verbandes, Dr. Horst A. Massing und Dr. Diethard Sturm wurden für ihre Verdienste mit der Ehren- nadel des Deutschen Hausärzteverbandes ausgezeichnet.
Lesen Sie dazu die Rede von Ulla Schmidt anlässlich der Delegiertenversammlung des Deutschen Hausärzteverbandes am 18. September 2009
Sehr geehrter Herr Dr. Weigeldt,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, wieder bei Ihnen zu sein. Eine Gesellschaft des längeren Lebens, in der mehr ältere und chronisch kranke Menschen über einen längeren Zeitraum versorgt werden müssen, braucht starke Hausärzte. Wie keine andere Arztgruppe sind sie geeignet, in einer abgestimmten und interdisziplinären Versorgung die Lotsenfunktion zu übernehmen. Zu diesem Schluss kommt auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem aktuellen Gutachten. Das Vertrauen der Patienten, dass der Hausarzt die Steuerung der fachärztlichen Versorgung übernimmt, ist die Voraussetzung für eine gute Behandlung. Darum halte ich die Stärkung der hausärztlichen Versorgung für die wichtigste gesundheitspolitische Herausforderung des kommenden Jahrzehnts.
Verehrte Hausärztinnen und Hausärzte, wir ringen seit Jahren in der Sache gemeinsam darum, die hausärztliche Versorgung in Deutschland zu stärken. Es gab auch Auseinandersetzungen, aber die wurden immer mit Substanz geführt. Dafür möchte ich ihnen danken.
Versorgungssituation
Sieht man sich die Bedarfsplanung an, herrscht im Saldo in Deutschland zunächst mal eine Überversorgung mit Ärzten. Die absolute Zahl der niedergelassen Ärztinnen und Ärzte hat zwischen 1993 und 2008 um 23% zugenommen. Eine höhere Arztdichte als in Deutschland findet sich nur in ganz wenigen Ländern. Diese Daten zeigen jedoch die wirkliche Problematik nicht. Die Situation muss differenzierter betrachtet werden.
Erstens steigen durch die demographische Entwicklung die objektiven Bedarfe. Mehr Menschen müssen auch ambulant versorgt werden. Und zweitens verändert sich der Arbeitseinsatz von Ärztinnen und Ärzten. So steigt die Zahl der Teilzeitbeschäftigten.
Vor allem aber sind die Ärzte sowohl hinsichtlich der Arztgruppen als auch der räumlichen Ansiedlung nicht dem Bedarf entsprechend verteilt. So ist die Zahl der Hausärzte entgegen dem allgemeinen Trend seit einigen Jahren rückläufig, im Jahr 2008 zu 2007 um etwas über 1 Prozent.
Man sieht diese Schieflage auch daran, dass Anfang 2008 noch für 2.030 Ärztinnen und Ärzte Zulassungsmöglichkeiten als Hausärztin oder Hausarzt bestanden, bevor alle Planungsbezirke für Hausärzte wegen eingetretener Überversorgung gesperrt werden müssen. Dagegen gab es im gesamten fachärztlichen Bereich - ohne Psychotherapeuten - Anfang 2008 nur 361 Zulassungsmöglichkeiten. Ein Jahr vorher waren es hier noch 470.
Vor allem macht mir Sorge, dass viele Hausarztpraxen auf dem Land nicht nach besetzt werden können.
Wie schaffen wir es, die hausärztliche Versorgung zu stärken und wieder mehr junge Medizinerinnen und Mediziner für den Beruf des Hausarztes zu begeistern? Das ist eine Frage, auf die wir gemeinsam Antworten finden müssen. Dabei ist eines klar, die Antworten von gestern passen nicht auf die Realität von heute, morgen oder übermorgen.
Bessere Arbeitsbedingungen
Zur neuen Realität gehört zum Beispiel die Feminisierung des Arztberufes: Mittlerweile stellen Frauen einen Anteil von 58 Prozent bei den Erstmeldungen bei den Landesärztekammern. Junge Frauen – aber auch immer mehr Männer – wollen Familie und Lebensvorstellungen nicht mehr hinter dem Beruf zurückstellen.
Sie brauchen verlässliche Arbeitszeiten, um sich auch um ihre Familien kümmern zu können. Die neuen gesetzlichen Flexibilisierungen, neue Organisationsformen, Medizinische Versorgungszentren oder die Anstellungsmöglichkeiten in gemeinschaftliche Praxen bieten neue Chancen, dass junge Menschen sich individuell entscheiden können, wie sie in der ambulanten Versorgung arbeiten wollen und können.
Teamarbeit / Delegation
Sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen, heißt auch Ärzte – insbesondere Hausärzte - von Tätigkeiten zu entlasten werden, die genauso gut oder bisweilen vermutlich sogar besser andere Berufsgruppen übernehmen können. Ich denke hier z.B. an Dokumentationsaufgaben oder an unterstützende Hausbesuche bei älteren Patientinnen und Patienten. Es gibt bereits zahlreiche Ansätze, beispielsweise die Delegationsmodelle in der Krankenpflege und die Gemeindeschwester AGnES oder VERAH. Sie machen den Arzt frei für das, wofür er ausgebildet wurde: Diagnose und Therapie von kranken Menschen. Die Zufriedenheit kann nur zunehmen, wenn jeder das leistet, was er besonders gut kann. Es muss noch mehr getan werden, damit Teamarbeit möglich ist.
Ausbildung
Wir müssen aber noch viel früher – in der Ausbildung - ansetzen. Wenn auf jeden Medizinstudienplatz rund fünf Bewerber kommen, dann ist der Arztberuf offensichtlich weiterhin ein sehr attraktiver Beruf. Die gesunkenen Absolventenzahlen sind maßgeblich darauf zurück zu führen, dass die Bundesländer teilweise gerade bei den Medizinstudienplätzen gekürzt haben. Ich halte eine Anhebung der Studienplatzkapazitäten medizinischer Studiengänge für dringend erforderlich.
Auch bin ich dafür, Alternativen zum Numerus clausus als einziges Auswahlkriterium zu finden. Ein Einser-Abitur sagt noch nichts darüber aus, ob jemand ein guter Arzt in der Versorgung sein wird. Ich wünsche mir neue Ideen, wie Eignung, aber auch Motivation und Begeisterung für den Arztberuf neu bewertet werden können.
Allgemeinmedizin in Aus- und Weiterbildung stärken
Speziell bei der Stärkung der hausärztlichen Versorgung müssen wir beim Nachwuchs ansetzen. Wenn die Allgemeinmedizin in der Aus- und Weiterbildung auch nur annährend den Stellenwert hätte, den sie in der Versorgung besitzt, hätten wir erheblich weniger Sorgen. Auch hier hat der Sachverständigenrat Vorschläge gemacht, über die es sich zu diskutieren lohnt, z.B. die Allgemeinmedizin als Pflichtfach im praktischen Jahr. Ich weiß, dass das von Studierenden kritisch gesehen wird, aber ich finde, wir dürfen keinen einzigen dieser Vorschläge einfach beiseite tun. Wir müssen uns mit allen auseinandersetzen.
Mitfinanzierungspflicht der Krankenkassen
Vor allem aber müssen die Spielräume ausgeschöpft werden, die es bereits gibt. Wir haben bereits während der Rot-Grünen Koalition eine Mitfinanzierungspflicht der Krankenkassen für die Kosten der allgemeinmedizinischen Weiterbildung in den Praxen niedergelassener Vertragsärzte und in den Krankenhäusern eingeführt.
Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV haben wir den Vertragsparteien - GKV-Spitzenverband, KBV und Deutsche Krankenhausgesellschaft - den Auftrag gegeben, die Höhe der finanziellen Förderung in der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin künftig so zu bemessen, dass die Weiterzubildenden in allen Weiterbildungseinrichtungen eine angemessene Vergütung erhalten.
Zudem wurden mehr Möglichkeiten geschaffen, um das bestehende System der Förderung flexibler und bedarfsgerechter zu gestalten.
Obwohl die gesetzliche Regelung bereits seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt, konnte bis heute keine Einigung über die Neugestaltung der Weiterbildung erzielt werden. Das ist nicht hinnehmbar. Noch kurzsichtiger kann man gar nicht agieren. Statt zu jammern, müssen die Funktionäre in der Selbstverwaltung endlich handeln.
Ich erwarte, dass sich die Vertragspartner zügig auf eine Regelung einigen und die derzeit bestehenden Unsicherheiten für die betroffenen Weiterbildungsassistenten beseitigen. Viele Universitäten haben gemeinsam mit Arztpraxen Verbünde gegründet, um eine strukturierte Weiterbildung für angehende Hausärzte zu sichern. Sie sind auf stabile finanzielle Grundlagen angewiesen.
Hausarztzentrierte Versorgung
Es ist insgesamt nicht zu tolerieren, dass manche Akteure im Gesundheitswesen immer noch glauben, die Bestimmungen des Sozialgesetzbuches würden für sie nicht gelten.
Das gilt auch bei den Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung. Sie sind nicht irgendeine spleenige Idee, sondern beruhen auf Gesetzen, die von Bundestag und Bundesrat verabschiedet und vom Bundespräsidenten unterschrieben wurden.
Es ist ein Skandal, dass obwohl die Krankenkassen dazu seit 30. Juni diesen Jahres zu solchen Verträgen gesetzlich verpflichtet sind, der überwiegende Teil seinen Versicherten immer noch keine hausarztzentrierte Versorgung anbietet.
Dahinter steht bei manchen Kassen die dreiste Annahme, die gesetzliche Regelung würde bei einem möglichen Regierungswechsel ohnehin geändert. Ein Kassenvertreter hat wörtlich gesagt, er warte, bis sich der Gesetzgeber (!) eines besseren besonnen habe. Was ist das für eine Haltung in einem Rechtsstaat? Wo leben wir eigentlich? Manche Kassenvertreter wünschen sich offenbar das Chaos.
Neben den AOK-Verträgen in Bayern und Baden-Württemberg ist eine Reihe von Verträgen mit BKKen zustande genommen oder es laufen noch entsprechende Verhandlungen. In den anderen Fällen sind Schiedsverfahrenverfahren eingeleitet oder in Vorbereitung. Dabei ich nach den mir vorliegenden Berichten davon aus, dass der Hausärzteverband überall das erforderliche Quorum von 50 % der Allgemeinmediziner erreicht hat. Dies gilt auch für bisher als kritisch bewertete Regionen wie Nordrhein, Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein. Hier zeigt sich, wie viel den Hausärztinnen und Hausärzten am Zustandekommen dieser Verträge liegt. Und ich sage auch hier: mich freut dies sehr! Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf den ersten Schiedsspruch, der für Ende Oktober für die BKKen in Bayern erwartet wird.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass in naher Zukunft allen Versicherten in Deutschland eine hausarztzentrierte Versorgung ermöglicht wird.
Schweinegrippe
Zum Schluss möchte ich ein aktuelles Thema ansprechen, das für die Hausärztinnen und Hausärzte in unserem Land von großer Bedeutung ist.
Erstmals nach 41 Jahren befinden wir uns wieder in einer Grippepandemie. Trotz guter Vorbereitung und den bisher glücklicherweise weitgehend harmlosen Verläufen muss mit einer weiteren Ausbreitung des Virus und vielleicht auch mit schwereren Krankheitsverläufen gerechnet werden.
Hausärzte sind unverzichtbare Partner, wenn es um die Vorbeugung und Bekämpfung der Schweinegrippe geht.
Die Bundesländer, die für die Impfung zuständig sind, haben zum Teil bereits angekündigt, sie unter Beteiligung der Hausärzte durchzuführen. Spätestens aber bei der Behandlung wird der Hausarzt zur ersten Anlaufstelle für viele Patientinnen und Patienten.
Ich merke immer wieder auf Veranstaltungen, dass die Menschen einen großen Informationsbedarf haben. Wie kann ich mich schützen? Wie erkenne ich, ob ich erkrankt bin? Wie gefährlich ist die Grippe?
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Deutschland diese neue Grippe gut übersteht. Mit sachgerechter Aufklärung – ohne Panikmache, aber auch ohne Verharmlosung – können Sie enorm viel dazu beitragen.
Schluss / Dank
Das alles zeigt einmal mehr: Ohne die Hausärztinnen und Hausärzte geht es nicht. Sie sind Vertrauenspersonen und langjähriger Begleiter für viele Menschen und Familien.
Wir brauchen Sie, damit auch künftig alle Menschen Zugang zu medizinischen Leistungen haben, und damit Priorisierungslisten, wie der Präsident der Ärztekammer sie heute wieder einmal gefordert hat, auch künftig in Deutschland keinen Platz haben. Wir brauchen Sie, um eine hochwertige medizinische Versorgung für alle – um die uns viele in der Welt beneiden - auch in Zukunft aufrecht zu erhalten, und zwar solidarisch finanziert, Menschen stehen für Menschen ein!, und nicht von den Widrigkeiten der Kapitalmärkte abhängig! Ich wünsche mir, dass ich noch lange mit ihnen dafür streiten kann.
Vielen Dank."
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Deutscher Hausärzteverband
Manfred King
Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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