Pressekonferenz zur Vorstellung der Eckpunkte für neue Strukturen im Arzneimittelmarkt am 26.03.2010 (Foto: BMG)

Donnerstag, 01. April 2010

Gesundheitsminister Rösler stellt Sparkonzept im Arzneimittelmarkt vor

Von: Bundesministerium für Gesundheit / Pressemitteilung

Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler hat am 26. März die mit den Koalitionsfraktionen abgestimmten Eckpunkte zur nachhaltigen Neuordnung des Arzneimittel- marktes vorgestellt. "Erstmals können die Pharmaunter- nehmen die Preise für neue Arzneimittel nicht mehr einseitig bestimmen", sagte er am 26. März in Berlin. "Wir sorgen dafür, dass alle neuen und innovativen Arzneimittel sofort für die Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sorgen wir auch dafür, dass die Arzneimittel in Zukunft für die Menschen bezahlbar bleiben. Damit haben wir die notwendige Balance gefunden zwischen Innovationsfähigkeit und Bezahlbarkeit."

Künftig müssen die Pharmaunternehmen mit eigenen Studien den Nutzen für alle neuen innovativen Arzneimittel nachweisen. Dies wird von Gemeinsamer Bundesausschuss und IQWIG geprüft. Damit haben die Krankenkassen eine solide Grundlage für Preisverhandlungen. Sie können die Preise der Arzneimittel für ihre Versicherten auch eigenständig mit den Unternehmen verhandeln. Das ist ein weiterer bedeutender Schritt zu einem dezentralen und patientenorientierten Gesundheitsmanagement der Krankenkassen für ihre Versicherten.

Mit den Eckpunkten legt der Minister insgesamt ein Maßnahmenbündel vor, das den Arzneimittelmarkt neu strukturiert. Davon betroffen ist der gesamte Markt, also patentgeschützte Arzneimittel und Generika. Zu dem Paket gehören zeitlich befristete Sparmaßnahmen sowie langfristige Strukturveränderungen. U.a. werden Rabattverträge für Generika wettbewerblicher und patientenfreundlicher gestaltet. Patienten erhalten z.B. die Möglichkeit, im Rahmen einer Mehrkostenregelungen auch nicht rabattierte Arzneimittel auszuwählen.

Das Gesamtpaket soll möglichst zum 1.1.2011 in Kraft treten. In den nächsten Wochen wird das Ministerium auf der Grundlage der Eckpunkte einen Gesetzentwurf erarbeiten.

Eckpunkte zur Umsetzung des Koalitionsvertrags für die Arzneimittelversorgung

1. Handlungsbedarf

Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sind im Jahre 2009 um 5,3 % je Versicherten gestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs von rd. 1,5 Mrd. Euro. Die hohen Ausgabenzuwächse der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass im Jahr 2009 einschließlich der Zuzahlungen der Versicherten mehr als 32 Mrd. Euro für Arznei-mittel ausgegeben wurden. Der Kostenzuwachs wird durch Arzneimittel ohne Festbetrag verursacht (2009: + 8,9%), während die GKV-Umsätze mit Festbetragsarzneimitteln sinken (2009: minus 2%).Wachstumsträger sind kostenintensive Spezialpräparate mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten. Ihr Anteil am GKV-Arzneimittelumsatz erreicht bereits rd. 26 %, obwohl ihr Verordnungsanteil nur 2,5 % beträgt.

2. Ziele

Eine Neuordnung des Arzneimittelmarktes muss drei Ziele verfolgen

  1. Den Menschen müssen im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen.
  2. Die Preise und Verordnungen von Arzneimitteln müssen wirtschaftlich und kosteneffizient sein.
  3. Es müssen verlässliche Rahmenbedingungen für Innovationen, die Versorgung der Versicherten und die Sicherung von Arbeitsplätzen geschaffen werden.

Zur Weiterentwicklung des Arzneimittelbereiches schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, das Deregulierung, kurzfristig wirksame Sparbeiträge und langfristig wirkende strukturelle Veränderungen beinhaltet.

3. Erstattung innovativer Arzneimittel

Der freie Marktzugang bleibt erhalten. Die Unternehmen können im ersten Jahr der Markteinführung ihr Produkt zum geforderten Preis vermarkten.

Das pharmazeutische Unternehmen ist verpflichtet, zur Markteinführung ein Dossier zu Nutzen und Kosten einzureichen. Basis hierfür sind insbesondere die Phase III-Studien des Zulassungsverfahrens, die ggf. in Abstimmung mit dem IQWiG/ G-BA um weitere Studien ergänzt werden. Grundsätzlich soll im Sinne einer größeren Planungssicherheit und eines frühen Dialogs das IQWiG/ der G-BA dem pharmazeuti-schen Unternehmen bei Bedarf frühzeitig beratend zur Seite stehen.

Mit einem Dossier werden folgende Nachweise erbracht

  • zugelassene Anwendungsgebiete,
  • medizinischer Nutzen,
  • medizinischer Zusatznutzen im Vergleich zum Therapiestandard bzw. zu Therapiealternativen,
  • Therapiekosten,
  • Quantifizierung der Anzahl der Patienten bzw. Abgrenzung für die Behandlung in Frage kommender Patientengruppen,
  • Beschreibung der Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung.

Auf Grundlage des eingereichten Dossiers veranlasst der G-BA in kurzer Frist eine Nutzenbewertung, die in der Regel spätestens drei Monate nach Zulassung vorliegen soll. Er kann das IQWiG damit beauftragen. In der Bewertung wird insbesondere festgestellt, für welche Patienten und Erkrankungen ein Zusatznutzen besteht, was die Vergleichsprodukte sind und ob das Arzneimittel "Solist" ist oder ob Wettbewerb mit ähnlichen Arzneimitteln besteht (= kein "Solist").

Arzneimittel ohne Zusatznutzen

Arzneimittel, für die in dieser Nutzenbewertung kein Zusatznutzen festgestellt wird, sollen künftig direkt in das Festbetragssystem überführt werden. Grundsätzlich soll es darüber hinaus bei Analogarzneimitteln eine Umkehr der Beweislast geben. Eine the-rapeutische Verbesserung wird nur auf Antrag des Unternehmens anerkannt. Dieses ist verpflichtet, die notwendigen Belege dazu selbst vorzulegen. Dabei ordnet der G-BA Molekülvariationen automatisch der entsprechenden pharmakologischen Vergleichsgruppe zu. Der G-BA entscheidet bei neu zugelassenen Arzneimitteln innerhalb von 90 Tagen nach Vorliegen der Nutzenbewertung. Eine Klage hat keine aufschiebende Wirkung.

Arzneimittel mit Zusatznutzen

  • Das pharmazeutische Unternehmen vereinbart mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen innerhalb eines Jahres nach Zulassung in Direktverhandlungen einen Rabatt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) mit Wirkung für alle Krankenkassen. Der Listenpreis des Unternehmens bleibt unverändert. Der Vertrag soll auch Vereinbarungen zu Versorgung und Qualität sowie zur Ablösung der Richtgrößenprüfung beinhalten.
  • Erfolgt keine Einigung, entscheidet eine zentrale Schiedsstelle innerhalb von drei Monaten. Die Schiedsstelle setzt den Rabatt z.B. auf Basis internationaler Vergleichspreise fest. Der Rahmen für Schiedsentscheidungen wird durch Gesetz vorgegeben. Durch einheitliche Verfahrensvorschriften wird der Aufwand begrenzt. Eine Klage gegen den Schiedsspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Während dieser Bewertung gilt der Schiedsspruch fort.
  • Beide Seiten können nach einem Schiedsspruch auch eine Kosten-Nutzenbewertung verlangen. Zur Vorbereitung von Kosten-Nutzen-Bewertungen vereinbaren der Gemeinsame Bundesausschuss und der pharmazeutische Hersteller eine angemessene Frist zur Vorlage von Versorgungsstudien und die darin zu behandelnden Schwerpunkte. Diese sind bevorzugt in Deutschland durchzuführen; die Ergebnisse sind zusammen mit klinischen Studien Basis einer anschließenden Kosten-Nutzen-Bewertung durch das IQWiG oder für Direktverhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen. Die Frist bemisst sich nach der Indikation des Arzneimittels und dem nötigen Zeitraum zur Bereitstellung valider Daten durch Studien. Sie beträgt maximal drei Jahre.
  • Abweichend vom zwischen Spitzenverband Bund und pharmazeutischen Unternehmen geschlossenen Vertrag bzw. von der Entscheidung der Schiedsstelle oder einem festgesetzten Höchstbetrag können Kassen einzeln oder im Verbund davon abweichende vertragliche Vereinbarungen mit dem pharmazeutischen Unternehmen treffen, z.B. so genannte Mehrwert- und Versorgungsverträge oder eine Beteiligung an Verträgen der Integrierten Versorgung. Der Abschluss dezentraler Verträge wird durch gesetzliche Rahmenbedingungen erleichtert.
  • Für den Bestandsmarkt von patentgeschützten, nicht festbetragsfähigen Arzneimitteln kann das Vertragsverhandlungsverfahren auf Initiative der Beteiligen in Gang gesetzt werden.

4. Festbetragsmarkt

  • Das Festbetragssystem bleibt erhalten. Bei der jährlichen Anpassung der Festbetragshöhe sollen die Zuzahlungsfreistellungsgrenzen (30 % unter Festbetrag) berücksichtigt werden. Dadurch wird eine Preisspirale nach unten (Kellertreppeneffekt) vermieden.
  • Die Rabattverträge werden weiterentwickelt. Die Vertragsbedingungen werden verstetigt. Die Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit für das Vergaberecht wird hergestellt. Es werden flankierende Regelungen getroffen zum Erhalt des Wettbewerbs. Damit wird sichergestellt, dass genügend Anbieter im Markt bleiben und der Preiswettbewerb nicht mittelfristig durch Oligopolisierung eingeschränkt wird.
  • Versicherte können ein anderes als das Rabatt-Präparat ihrer Krankenkasse wählen und erhalten dafür Kostenerstattung im Rahmen einer Mehrkostenregelung.
  • Die vollständige Anwendbarkeit des Kartellrechts für Rabattverträge einschließlich der Rechtswegzuweisung zu den Zivilgerichten wird angestrebt.

5. Deregulierung

Die Instrumente im Bereich der Arzneimittelregulierung sollen auf ihre weitere Notwendigkeit hin überprüft werden, insbesondere: Verschlankung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Bonus-Malus-Regelung, Zweitmeinung, Importarzneimittel. Das bestehende und unüber-sichtliche System an Therapiehinweisen und Verordnungsausschlüssen wird klarer geregelt.

6. Arbeit des IQWIG

  • Das IQWIG wird in seiner wissenschaftlichen Arbeit gestärkt. Die Verfahrensabläufe werden gestrafft.
  • Das IQWIG erstellt den Berichtsplan nach Anhörung der Fachkreise (Scoping).

7. Vertriebsweg

Die flächendeckende und sichere Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch die Apotheken wird dadurch gestärkt, dass der Missbrauch des Versandhandels durch sogenannte Pick-up-Stellen unterbunden wird.

8. Kurzfristig wirksame Entlastungen

  • Der Abschlag für Arzneimittel ohne Festbetrag wird von derzeit 6 % auf 16 % angehoben. Er kann durch Verträge, die einem Abschlag mindestens in Höhe dieses gesetzlichen Abschlages entsprechen, abgelöst werden.
  • Für die Geltungsdauer des erhöhten Abschlags gilt ein Preisstopp. Preiserhöhungen werden durch einen Zusatzrabatt in gleicher Höhe für die GKV neutralisiert. Preisbasis ist der 1. August 2009. Der Preistopp gilt bis zum 31.12.2013. Bei Änderungen der Packungsgröße oder der Wirkstärke je Applikationseinheit gilt der Preis je Tagesdosis der jeweiligen größten Packung mit dem gleichen Packungsgrößenkennzeichen zum Stichtag als Vergleichsbetrag.
  • Der Großhandel erhält eine leistungsgerechte Vergütung. Der Großhandelszuschlag wird auf einen preisunabhängigen Fixzuschlag und einen prozentualen Zuschlag umgestellt. Dabei werden Funktionsrabatte an Apotheken berücksichtigt.
  • Die mit der 15. AMG-Novelle geänderten Regeln zur Zytostatikaversorgung sollen dahingehend überprüft werden, ob die angestrebten Verbesserungen zur wirtschaftlichen Versorgung tatsächlich erreicht wurden. 
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