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Dienstag, 14. Oktober 2008

Ulla Schmidt fordert weitere Kassen-Fusionen: "Eine Bundes-AOK wäre der richtige Schritt"

Von: Bundesministerium für Gesundheit / Pressemitteilung

Am 7. Oktober legte die Bundesregierung dem Bundestag ihren Entwurf zum allgemeinen Beitragssatz für das Jahr 2009 vor. In diesem Zusammenhang gab die Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt ein Interview mit der Pas- sauer Neuen Presse über Kassenfusionen und den allge- meinen Beitragssatz:

Frage: Eine Erhöhung auf 15,5 Prozent Krankenversicher- ungsbeitrag ab Januar – sind Sie sicher, dass man damit hinkommt?

Antwort: Damit stehen nach einvernehmlicher Schätzung den Kassen im nächsten Jahr über 10 Mrd. Euro mehr zur Verfügung. Das muss reichen. In den letzten sechs Jahren sind insgesamt 17 Milliarden Euro mehr ins System gegeben worden. Die Kassen haben mit diesem Geld alle Leistungen bezahlt, gleichzeitig noch 6 Milliarden Euro Schulden abgebaut, und 3,5 Mrd. Euro Vermögen aufgebaut. Jetzt starten sie schuldenfrei in den Fonds. Über 10 Mrd. Euro mehr ist eine Operation, die man nicht jedes Jahr machen kann, sonst ist das System überfordert. Die Menschen sagen sonst in drei, vier Jahren: Das bezahlen wir nicht mehr. Das Geld ist gut bemessen, es gibt auch neue Leistungen – Geld für bessere Bezahlung der Arbeit im Krankenhaus und der Ärzte.

Frage: Die Kassen hielten allerdings erst 15,8 Prozent Beitragssatz für ausreichend. Müssen jetzt also doch bereits im ersten Jahr Zusatzbeiträge erhoben werden?

Antwort: Der Fonds ist so ausgestattet, dass 100 Prozent der Ausgaben abgedeckt sind. Es besteht daher keinerlei Anlass, dass die Kassen Zusatzbeiträge von ihren Versicherten verlangen. AOK, Barmer, die Techniker und andere große Kassen haben bereits gesagt, dass sie keine Zusatzbeiträge benötigen. Dass die Kassen im Moment versuchen, so viel Geld wie möglich herauszuholen, ist zwar verständlich. Aber ich kann dem nicht nachgeben. Kassen sind keine Sparkassen, die Kapital bunkern, um es zu verleihen. Das Geld der Versicherten muss effizient und sparsam eingesetzt werden. Das ist die Pflicht der Kassenmanager, dafür werden sie von den Versicherten bezahlt.

Frage: Die Finanzkrise bedroht die Wirtschaftsentwicklung und damit die Beitragseinnahmen. Reichen die 15,5 Prozent womöglich im nächsten Jahr doch nicht?

Antwort: Im Schätzerkreis wurden die Einnahmen und Ausgaben für das Jahr 2008 einvernehmlich festgelegt, auch die Einnahmen für nächstes Jahr. Die vorausichtliche Rentenentwicklung, die bereits vereinbarte oder absehbare Lohnsteigerung sowie der höhere Bundeszuschuss führen allein zu rund 5 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Streit gab es im Schätzerkreis nur über die Höhe der Ausgaben im kommenden Jahr. Da halte ich deren Schätzungen für unrealistisch.

Frage: Also keine neue Grundlage für 2009?

Antwort: Die Krankenversichewrung ist konjunkturunabhängiger als andere Bereiche. Wir haben 16,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner, deren Rentenerhöhung zur Mitte des Jahres erfolgt. Für das kommende Jahr ist bereits klar, dass sie es eine Erhöhung geben wird, denn die Rentenhöhe bemisst sich an der vergleichsweise gute Lohnentwicklung in diesem Jahr. Wenn es tatsächlich zu wirtschaftlichen Einbrüchen käme, werden die bei der Krankenversicherung erst verzögert wirksam werden. Im Übrigen: Im November wissen die Kassen bereits haargenau, wieviel Geld sie für das nächste Jahr bekommen. Sie bekommen es vom Fonds in 12 gleichen Monatsraten zugewiesen. Kommt es im Laufe des Jahres zu Einnahmeschwankungen, trägt dieses Risiko der Bundeshaushalt. Die Kassen können sehr viel stabiler planen als je zuvor.

Frage: Jetzt gibt es einen Fonds, einen Einheitsbeitragssatz, aber weit über 200 Krankenkassen. Benötigt man die alle?

Antwort: Sicherlich nicht, rund 50 Kassen reichen längerfristig auch. Aber es tut sich einiges. In der Vorbereitung des Fonds hat es schon Fusionen gegeben. Wir werden weitere Zusammenschlüsse erleben. Es wäre eine Überlegung wert, wenn die verschiedenen Allgemeinen Ortskrankenkassen sich zu einer Bundes-AOK zusammen schließen würden. Das dauert noch lange, wäre aber der richtige Schritt, um die regionale Risikoverteilung zu verbessern. Und es spart Verwaltungskosten. Bessere Risikoverteilung und eine größere Verhandlungsmacht gegenüber Krankenhäusern, Pharmaindustrie und Ärzten sind die positiven Folgen von Zusammenschlüssen.

Frage: Was erwarten Sie von den Kassen jetzt?

Antwort: Ich erwarte etwas mehr Respekt davor, dass die Versicherten eine Menge Beiträge bezahlen. Die Kassen sollten nicht immer mehr verlangen, sondern sich Gedanken machen, wie sie eine gute Versorgung für ihre Kunden organisieren. Davon hätte man mehr als vom Versuch, in den nächsten Wochen noch zu versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen, bis der Beitragssatz unwiderruflich beschlossen ist. Ich erwarte, dass man aufhört, den kranken Menschen Angst zu machen. Es gibt keinen Grund, so zu tun als könnten Leistungen nicht bezahlt werden. Ich kann Versicherten nur sagen: wenn Ihre Kasse das macht, wechseln Sie. Es gibt genügend andere.

Frage: Ärzte und Kassen kritisieren, dass bei diesem Beitragssatz doch bald wieder Leistungen gekappt werden müssten.

Antwort: Es gibt über zehn Milliarden Euro mehr nächstes Jahr, der Löwenanteil für die Versorgung. Irgendwann muss einmal Schluss damit sein, dass geklagt wird, egal wie viel es mehr gibt. Was ausgegeben wird, muss von den Menschen in diesem Land hart erarbeitet werden. Die Kassen sollen in ihren Verträgen Qualitätsmaßstäbe vereinbaren und z.B. dafür sorgen, dass gesetzlich Versicherte nicht länger als Privatversicherte warten müssen. Statt Jammern also anpacken!

Frage: Es gibt mehr Geld für die Ärzte, doch auf dem Land fehlen weiterhin Ärzte.

Antwort: Es gibt jetzt ein neues Honorarsystem mit mehr Transparenz. Ab 2010 gibt es auch die Möglichkeit, Honorarzuschläge für diejenigen zu geben, die in unterversorgte Gegenden gehen. Wer sich in überversorgten Gebieten niederlässt, kann Honorarabschläge bekommen. Damit lässt sich eine Lenkungswirkung ausüben, um die Versorgung flächendeckend zu gewährleisten.

Christoph Slangen von der Passauer Neuen Presse

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