[Foto: Prof. Dr. rer. pol. Eberhard Wille (Vors.), Prof. Dr. med. Ferdinand M. Gerlach (Stv. Vors.), Prof. Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner, Prof. Dr. med. Marion Haubitz, Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M.(Harvard), Prof. Dr. phil. Doris Schaeffer, Prof. Dr. med. Petra A. Thürmann -Quelle: SVR Gesundheit] - Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen unter dem Vorsitz von Prof. Dr. rer. pol. Eberhard Wille, hat die Aufgabe, im Abstand von zwei Jahren Gutachten zu erstellen und in diesem Rahmen (1.) die Entwicklung in der gesundheitlichen Versorgung mit ihren medizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu analysieren, (2.) unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen und vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven Prioritäten für den Abbau von Versorgungsdefiziten und bestehenden Überversorgungen zu entwickeln, (3.) Vorschläge für medizinische und ökonomische Orientierungsdaten vorzulegen, sowie (4.) Möglichkeiten und Wege zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens aufzuzeigen. - Die Gutachten werden dem Bundesministerium für Gesundheit oder - im Falle des Sondergutachtens 1995 - dem Bundespräsidenten übergeben und den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes vorgelegt. Bisher sind 16 Gutachten erschienen. Eine Reihe von Vorschlägen und Empfehlungen sind von der Gesundheitspolitik aufgegriffen worden, z.B. die Kassenwahlfreiheit, die Einführung eines Risikostrukturausgleichs, die Förderung der ambulanten Pflege durch die Steigerung der Leistungsstufen und eine Dynamisierung der Leistungen, die Verbesserung der Versorgung Dementer oder der Ausbau von Präventions- und Rehabilitationsleistungen. - Der Sachverständigenrat wurde 1985 als "Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen" geschaffen, um die Konzertierte Aktion, ein Gremium aus Vertretern der an der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung Beteiligten, in ihrer Arbeit zu unterstützen und ihr neue Impulse zu verleihen. Berufen wurde der Sachverständigenrat erstmals am 19. Dezember 1985 durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dessen Ressort seinerzeit auch den Gesundheitsbereich umfaßte, unter Beteiligung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen. Seit dem Jahre 1991 werden die Mitglieder des Rates vom Bundesminister für Gesundheit für eine begrenzte Dauer berufen. Der Rat ist interdisziplinär besetzt. Mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 1. Januar 2004 und der damit verbundenen Abschaffung der Konzertierten Aktion wurde der "Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen" umbenannt in "Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen". Der jetzige Sachverständigenrat wurde von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler berufen und am 13.07.2010 offiziell ernannt. Das Gremium umfaßt sieben Mitglieder. - Näheres zur Verfahrensweise für die Arbeit des Sachverständigenrates regelt der "Erlass über die Errichtung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen". [Gesetzeslage seit 01. Januar 2004 s. § 142 SGB V - Fünftes Kapitel -] - Quelle: SVR Gesundheit

Freitag, 29. Juni 2012

SVR-Gutachten: "Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung"

Von: Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen

Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR Gesundheit) hat am 20. Juni 2012 sein Sondergtachten 2012 "Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung" an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr übergeben. Das Gutachten wird im Rahmen eines Symposiums am 18. September 2012 vorgestellt.

Das Gutachten untersucht, ob und inwieweit eine Stärkung des Wettbewerbs an der Schnittstelle zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor zu einer Verbesserung von Effizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung beizutragen vermag. Teil I gibt zunächst einen Überblick über mögliche Ansatzpunkte und Erscheinungsformen des Wettbewerbs und stellt seine instrumentale Funktion zur Erreichung höherrangiger Gesundheitsziele in den Vordergrund. Ferner gehören zu den notwendigen Voraussetzungen für einen zielführenden Wettbewerb im Gesundheitswesen wettbewerbliche Optionen von Krankenkassen und Leistungserbringern, ein in quantitativer und qualitativer Hinsicht ausreichendes personelles Angebotspotential sowie die Kompetenz der Nutzer, entsprechende Wahlentscheidungen treffen zu können.

Hinsichtlich der gesundheitspolitischen Empfehlungen stehen in Teil II die Kapitel 4 bis 7 im Zentrum des Gutachtens. Dabei thematisieren die Ausführungen zum Schnittstellenmanagement, zum Qualitätswettbewerb und zu den wettbewerblichen Bedingungen an der Sektorengrenze Konzepte und Vorschläge, die auf Effizienzund Effektivitätsverbesserungen sowohl im kollektiven als auch im selektivvertraglichen System abzielen. Zudem fragt ein Kapitel zu den selektiven Verträgen, ob die hier bestehenden Rahmenbedingungen mit einem funktionsfähigen Wettbewerb harmonieren oder einer Korrektur bedürfen und welche Leistungsbereiche sich zusätzlich für das selektivvertragliche System anbieten. Das letzte Kapitel behandelt in einem aktuellen Ausblick die Wechselwirkungen zwischen dem Verhältnis von Preis- und Qualitätswettbewerb im Leistungsbereich auf der einen und dem Zusatzbeitrag im Versicherungsbereich auf der anderen Seite.

Wettbewerb mit dem Ziel einer bedarfsgerechten Versorgung

Der Wettbewerb bildet, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität, ein Element verschiedener Koordinations- bzw. Allokationsmechanismen, d.h. er beschränkt sich nicht auf den Markt- und Preismechanismus, denn auch die öffentliche Planung und die korporative Koordination beinhalten wettbewerbliche Prozesse. Eine Darstellung von Zielen und Leitbildern der Gesundheitsversorgung bezweckt, einer inputorientierten Betrachtung vorzubeugen und zugleich einen stärkeren Zielbezug der Gesundheitspolitik anzumahnen. Hinsichtlich der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen lassen sich im Gesundheitswesen vier Wettbewerbsfelder unterscheiden, die jeweils verschiedene Vertragsebenen, -partner sowie -inhalte aufweisen.

  • Das erste Feld stellt der private Gesundheitsmarkt dar, in dem die Leistungserbringer um die private Nachfrage der Patienten bzw. Bürger konkurrieren.
  • Im zweiten Wettbewerbsfeld, dem kollektivvertraglichen System bzw. Leistungsbereich, besteht zwar kein Wettbewerb der Krankenkassen, die ihre Verträge gemeinsam und einheitlich schließen, gleichwohl stehen auch hier die Leistungserbringer in Konkurrenz um die Nachfrage der Versicherten und Patienten.
  • Das dritte Wettbewerbsfeld beinhaltet den Versicherungsbereich, in dem die Krankenkassen im Wettbewerb um die Attrahierung von Versicherten stehen.
  • Im vierten Wettbewerbsfeld, dem selektivvertraglichen System, das neben dem zweiten im Zentrum dieses Gutachtens steht, können die einzelnen Krankenkassen mit den Leistungserbringern dezentrale Verträge über die Preise und Qualitäten der Leistungen schließen.

In diesem Kontext bedarf ein funktionsfähiger Preis- und Qualitätswettbewerb einer rechtlichen Rahmenordnung, was Ausführungen zu grundlegenden Aspekten des Wettbewerbs- und Kartellrechts sowie Vergaberechts thematisieren. Hinsichtlich der Voraussetzungen für einen zielführenden Wettbewerb im Gesundheitswesen zeigt ein kursorischer Überblick über die derzeit bestehenden Wettbewerbsparameter der Krankenkassen deren noch recht bescheidene Möglichkeiten, sich wettbewerblich zu differenzieren. Vor dem Hintergrund der absehbaren demographischen Entwicklung und der damit einhergehenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen stellt sich zudem die Frage, ob Umfang und qualitative Struktur der im Gesundheitswesen Beschäftigten ausreichen, um einen funktionsfähigen Preis- und Qualitätswettbewerb zu gewährleisten. Als Lösungsmöglichkeiten im ärztlichen Bereich bieten sich hier u.a. eine Um- und Neuverteilung ärztlicher Aufgaben, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine Erhöhung der Attraktivität der ärztlic en Tätigkeit in der Patientenversorgung, insbesondere des Berufsbildes des Hausarztes, eine stärkere Verzahnung der Patientenversorgung an der Schnittstelle ambulanter und stationärer Versorgung sowie ein Abbau des Ungleichgewichtes zwischen über- und unterversorgten Gebieten an. Insgesamt gesehen sollte im Fach Humanmedizin zukünftig eine Kapazitätsanpassung an die Veränderungen des Bedarfs unter Berücksichtigung der Effizienzreserven erfolgen. Im pflegerischen Bereich stellen sich diese Probleme in noch verschärfter Form. Um künftig einen ausgeprägten Mangel an Fachkräften zu vermeiden, bedarf es zusätzlich einer Professionalisierung und Akademisierung mit differenzierten Ausbildungskonzepten, einer bundesweit einheitlichen und international anschlussfähigen Studiengangstruktur sowie einer professionsinternen und -übergreifenden Kooperation im Zusammenhang mit einem Ausbau multiprofessioneller Teamstrukturen.

Angesichts der Informationsasymmetrien auf den einzelnen Leistungsmärkten bildet die Kompetenz der Nutzer von Gesundheitsleistungen eine weitere zentrale Voraussetzung für einen zielführenden Wettbewerb. Es geht hier insofern darum, die Patienten bzw. Nutzer zu befähigen, ihre Rolle als Mit-Produzenten von Gesundheit wahrzunehmen und die eröffneten Wahlmöglichkeiten ausschöpfen zu können. Für wettbewerbliche Reaktionen bei Krankenkassen und Leistungserbringern reicht es zwar zumeist aus, wenn nur ein vergleichsweise geringer Teil der Versicherten eine informierte Auswahl trifft. Die übrigen Versicherten und Patienten und hierunter vor allem solche mit niedrigem Gesundheitswissen ziehen aber aus diesen Angebotsoptionen keinen unmittelbaren Nutzen. Es ist daher begrüßenswert, dass in den vergangenen Jahren ein bemerkenswerter Ausbau der Angebote zur Patienten-/ Nutzerinformation und –beratung erfolgte. Dies betrifft auch die so genannte "unabhängige" Patienten- und Nutzerberatung sowie den bundesweiten Ausbau der Beratung über Pflegefragen in Gestalt von Pflegestützpunkten. Gleichwohl bestehen noch Schwachstellen hinsichtlich der Kenntnis der Patientenrechte und Beschwerdemöglichkeiten bei Behandlungsfehlern, der Qualitäts- und Kostentransparenz, der Entwicklung von passgenauen Angeboten für bestimmte Bevölkerungsgruppen, dem Ausbau der "Beratungs- und Informationsforschung", der Schaffung bundesweit einheitlicher Strukturen bei der Beratung in Pflegefragen sowie der fachlichen Qualität der Gesundheits-, insbesondere der Internetinformationen.

Grundlegende Probleme und Lösungsansätze an der Schnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Sektor

Die zahlreichen Schnittstellen in der deutschen Gesundheitsversorgung bergen ein großes Risikopotential für ineffiziente oder sogar unnötige Behandlungen und vermeidbare Wohlfahrtsverluste der Patienten. Strukturelle Veränderungen in der Krankenhausversorgung und der mit der demographischen Entwicklung einhergehende Wandel der Patientenstruktur konfrontieren insbesondere das Schnittstellenmanagement zwischen akutstationärer und ambulanter Versorgung mit neuen Herausforderungen. Konsequenterweise umfasst die Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 SGB V nun auch ein Entlassungsmanagement beim Übergang in andere Versorgungsbereiche. Im Sinne der Versorgungskontinuität spielt vor allem die sektorenübergreifende Arzneimitteltherapie eine herausgehobene Rolle. Zur Überwindung dieser und anderer Schnittstellenprobleme können moderne Informations- und Kommunikationstechnologien beitragen. Da es sich bei personenbezogenen Gesundheitsdaten aber um besonders sensible Informationen handelt, mahnen die vor allem mit einerzentralen Speicherung der Daten verbundenen Risiken zu einem besonnenen Umgang mit diesen Technologien.

Im Detail unterbreitet der Rat zur Sicherung einer sektorenübergreifenden Versorgungskontinuität u.a. folgende Empfehlungen

  • Harmonisierung sozialrechtlicher Regelungen in SGB V und XI, auch zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und umfassender Pflegeberatung nach § 7a SGB XI,
  • verbindliche gesetzliche Vorgaben zur Ausgestaltung des Entlassungsmanagements nach Nationalen Expertenstandards mit Entwicklung einer nationalen Leitlinie,
  • Erweiterung der nachstationären Behandlungsmöglichkeiten des Krankenhauses im Sinne von Transitional Care-Modellen und Weiterentwicklung um rehabilitative Anforderungen,
  • Dokumentation von ungeplanten Rehospitalisierungen und deren Aufnahme in die Qualitätsberichterstattung,
  • Vorgabe von Mindeststandards für die multidisziplinäre Informationsübermittlung bei der Krankenhausentlassung,
  • Festlegung von Rahmenbedingungen zur Förderung der sektorenübergreifenden Interoperabilität von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie
  • vollständige Übermittlung des Medikamentenplans einschließlich Begründungen für erfolgte Umstellungen.

Der Qualitätswettbewerb fristet in der deutschen Gesundheitsversorgung auch im Verhältnis zum Preiswettbewerb noch immer ein Schattendasein. Dies liegt zum einen an methodischen Problemen, denn es gilt hier valide Indikatoren der Prozessund Ergebnisqualität zu finden und zudem die kausalen Beziehungen zu den jeweiligen medizinischen Behandlungen zu analysieren. Auf dieser Grundlage kann Transparenz entstehen, die eine Voraussetzung für einen funktionsfähigen Qualitätswettbewerb bildet. Es gibt grundsätzlich zwei Wege, wie Transparenz zu Qualitätsverbesserungen führen kann. Der erste Weg führt über das professionseigene Streben nach Qualität und über kontinuierliches, gegenseitiges Lernen. Beim zweiten Weg entscheiden sich im Zuge einer Selektion Patienten, Einweiser oder Krankenkassen, die Selektivverträge schließen, für die erfolgreicheren Ärzte und Krankenhäuser. Der erste Weg besitzt dabei den Vorzug, dass er die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Einrichtungen und Professionen sowie den offenen Umgang mit Fehlern nicht gefährdet.

In diesem Kontext bieten sich im Sinne eines zielorientierten Qualitätswettbewerbs u.a. folgende Entwicklungsschritte an:• eine stärkere Fokussierung auf patientenrelevante Ergebnisse mit Hilfe risikoadjustierter Ergebnisindikatoren,

  • neben einem einrichtungsinternen Qualitätsmanagement Weiterentwicklung einer einheitlichen, sektorenübergreifenden externen Qualitätssicherung mit möglichst geringer Dokumentationslast,
  • eine Verbesserung der Validität und Reliabilität der Indikatoren bei den Pflegenoten in Pflegeeinrichtungen,
  • die Konzentration auf populationsorientierte und sektorenübergreifende Qualitätsindikatoren, wie z.B. potentiell verringerbare Sterbefälle und vermeidbare Krankenhauseinweisungen für ambulant zu behandelnde Krankheiten,
  • im ländlichen Raum mit geringen Angebotskapazitäten ein Qualitätsvergleich mit anderen Regionen sowie
  • die Einbeziehung auch der Zahnärzte in die sektorenübergreifende Versorgung.

Eine ordnungspolitische Analyse der Wettbewerbsbedingungen an der Sektorengrenze zwischen ambulant und stationär deutet darauf hin, dass im Rahmen der deutschen Gesundheitsversorgung relevante Potentiale ambulanter Leistungserbringung bisher unausgeschöpft blieben. Ursache für diese ungenutzten Substitutions- bzw. Verlagerungspotentiale bildeten vor allem unterschiedliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen, die u.a. Leistungsdefinitionen, Qualitätssicherung, Einkaufsoptionen, Zulassung und Budgetierung sowie Vergütung und Investitionsfinanzierung betreffen. Das Versorgungsstrukturgesetz machte mit dem neu konzipierten Bereich der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung einen im Prinzip sehr begrüßenswerten Ansatz, die bislang zersplitterte Versorgung an der Schnittstelle ambulant-stationär in einen einheitlichen Rechtsrahmen zu überführen. Der Umfang dieses Versorgungsbereiches beschränkt sich derzeit allerdings noch auf ein schmales Leistungsspektrum und bleibt durch die Limitierung auf seltene Erkrankungen, solche mit schweren bzw. besonderen Krankheitsverläufen sowie hochspezialisierte Leistungen noch hinter der früheren Rechtslage zurück. Ordnungspolitische Aspekte sprechen insofern dafür, diesen Bereich u.a. um ambulante Operationen, stationsersetzende Eingriffe und stationäre Kurzzeitfälle zu erweitern und so einen funktionsfähigen Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung auf eine inhaltlich breitere Basis zu stellen.

Folgende Reformmaßnahmen können einen zielorientierten Wettbewerb an der Schnittstelle ambulant-stationär noch unterstützen bzw. fördern

  • eine geringere Regulierung der Eigentumsverhältnisse, was insbesondere für Medizinische Versorgungszentren gilt, denn die Rechtsform der Leistungsanbieter besitzt für die Versorgungsqualität und -sicherheit keine Relevanz,
  • eine selektivvertragliche Gestaltung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung sowie
  • eine Angleichung der Honorierungssystematik von stationären Kurzzeitfällen und vergleichbaren ambulanten Behandlungen, um einen Anreiz zur Auslastung und zum Erhalt stationärer Überkapazitäten zu beseitigen.

Die besonderen Versorgungsformen ermöglichen grundsätzlich selektive Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern und teilweise auch die Implementierung innovativer, sektorenübergreifender Konzepte. Die hierzu bestehenden gesetzlichen Regelungen zeugen jedoch von einem Misstrauen in die Vertragsfreiheit sowie das Effizienz- und Effektivitätspotential, das sich mit Hilfe selektiver Verträge und wettbewerblicher Prozesse heben lässt. So zwingt der Gesetzgeber die Krankenkassen zum Angebot einer hausarztzentrierten Versorgung und unterwirft diese ebenso wie die besondere ambulante ärztliche Versorgung und die integrierten Versorgungsformen nach § 140 a-d SGB V der Beitragssatzstabilität. Die Forderung, etwaige Mehraufwendungen durch vertraglich abgesicherte Einsparungen und Effizienzsteigerungen zu finanzieren, wirkt angesichts der Unsicherheit künftiger Erträge für innovative Versorgungskonzepte nahezu prohibitiv.

Auf eine Weiterentwicklung und Erweiterung der selektiven Vertragsoptionen zielen die folgenden Empfehlungen ab

  • Eine sektorenübergreifende Orientierung sollte eine notwendige Bedingung der integrierten Versorgungsformen darstellen.
  • Die strukturierten Behandlungsprogramme nach §§ 137 f-g SGB V sind als Elemente in die integrierten Versorgungsformen einzubeziehen.
  • Eine Unterstellung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung unter die selektive Vertragsgestaltung würde zum einen unerwünschten Leistungsausweitungen vorbeugen und zum anderen diesem Bereich insofern Modellcharakter verleihen, als die selektive Vertragsgestaltung dann hier nicht parallel zu Kollektivverträgen, sondern als alleiniger Allokationsmechanismus fungiert.
  • Für ein bestimmtes Spektrum ausgewählter Krankenhausleistungen sollte für die Vertragspartner die Option zu selektiven Verträgen mit speziellen Preisund Qualitätsvereinbarungen bestehen.
  • Da nach einer vom Rat durchgeführten Befragung der Krankenkassen zu den integrierten Versorgungsformen die Bereinigung der ambulanten ärztlichen Vergütung ein schwerwiegendes Hindernis darstellt, unterbreitet er hierzu Verbesserungsvorschläge sowie ein alternatives Verfahren.

Um innovative Versorgungskonzepte zukünftig gezielt zu fördern, sind klare Auswahlkriterien erforderlich: u.a. eine Beschränkung auf sektorenübergreifende Projekte, eine verpflichtende Evaluation sowie eine Priorisierung von populationsbezogenen (indikationsübergreifenden) Versorgungskonzepten und solchen, die den bisher vernachlässigten Bereich der Pflegeleistungen einbeziehen. Als finanzielle Anreize bieten sich weniger laufende Mittel aus dem Gesundheitsfonds als zinsverbilligte Darlehen aus einem Kapitalfonds an. Diese erhalten die Krankenkassen für förderungswürdige Projekte unter Sicherungsverzicht für ihre Zusatzkosten nach Bereinigung mit der Auflage, sie spätestens nach fünf Jahren zurückzuzahlen. Sofern die Evaluation eindeutige Verbesserungen der gesundheitlichen Outcomes belegt, könnte dies einen teilweisen Rückzahlungsverzicht mit einer Finanzierung aus dem Gesundheitsfonds begründen.

Wie bereits theoretische Überlegungen nahelegen und die Ergebnisse einer Befragung des Rates zu den Wettbewerbsparametern der Krankenkassen sowie die bisherige empirische Entwicklung bestätigen, führte der Zusatzbeitrag zu einer erheblichen Intensivierung des Krankenkassenwechsels. Krankenkassen, die einen Zusatzbeitrag erhoben, vermochten diesen preislichen Nachteil im Versicherungsbereich nicht durch präferenzgerechtere Angebote oder qualitative Versorgungselemente im Leistungsbereich zu kompensieren. Gleichwohl gaben in der Befragung nur ganz wenige Krankenkassen an, aus Furcht vor der Erhebung eines Zusatzbeitrages Verträge zu den besonderen Versorgungsformen beendet oder gar nicht abgeschlossen zu haben. Grundsätzlich ermöglichen Vorteile beim Preiswettbewerb im Leistungsbereich einer Krankenkasse, ihr Angebot auf dem Versicherungsmarkt kostengünstiger, d.h. zu geringeren (Zusatz-)Beiträgen, anzubieten. Sichtbare Erfolge bei Qualitätswettbewerb oder präferenzgerechtere Satzungsleistungen im Leistungsbereich können im Prinzip ebenso dazu dienen, Versicherte zum Bleiben zu bewegen und neue zu attrahieren. Ohne die Bedeutung des Preiswettbewerbs im Versicherungsbereich in Frage zu stellen, geht es dem Rat hier darum, den Qualitätswettbewerb im Leistungsbereich als gleichgewichtige wettbewerbliche Säule zu implementieren und zu stärken. Dazu erscheint es erforderlich, einerseits den Zusatzbeitrag nicht zu stigmatisieren und andererseits den Krankenkassen zur Förderung innovativer Versorgungsprojekte größtmögliche Planungssicherheit und Entscheidungsfreiheiten im Leistungs- wie im Versicherungsbereich zu gewähren.

Das Gutachten und eine Kurzfassung stehen unter www.svr-gesundheit.de zum Download zur Verfügung.

Kontakt
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
- Geschäftsstelle -
Rochusstraße 1
53123 Bonn
Tel: 0228-99 441-2294
Fax: 0228-99 441-4915
E-Mail: svr@bmg.bund.de

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