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Mittwoch, 23. Januar 2008

Streit um die langfristige Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung

Von: Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag / Pressemitteilung

Die langfristige Sicherung der Pflegefinanzierung ist nicht nur in der Koalition, sondern auch unter Experten umstritten. Während der dritten von vier öffentlichen Anhörungen zur geplanten Reform der Pflegeversicherung im Gesundheits- ausschuss am 23. Januar bestätigten die meisten Sachver- ständigen zwar, dass mit der vorgesehenen Beitragssatz- anhebung die Finanzierung der solidarischen Pflegever- sicherung bis etwa 2015 gesichert werden könne. Gleichwohl plädierten nahezu alle Experten für einen Systemwechsel.

Der Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen sprach sich für eine solidarische Bürger- versicherung aus. Wenn eine Integration der solidarischen und privaten Pflegeversicherung nicht möglich sei, müsse zumindest ein Finanzausgleich zwischen beiden Systemen stattfinden. Rothgang sagte, realistisch sei ein Transfer von 1 Milliarde Euro von der privaten an die solidarische Pflege- versicherung. Dagegen plädierte der Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht, Professor Helge Sodan, für den Aufbau eines Kapitalstocks als Demografiereserve. Dies habe im Übrigen auch der Koalitionsvertrag vorgesehen, erinnerte Sodan.

Der Freiburger Finanzwissenschaftler Professor Bernd Raffelhüschen sagte, er halte den Aufbau eines Kapitalstocks "für keine gute Idee". Raffelhüschen betonte, das Sinnvollste sei, die Pflegeversicherung auslaufen zu lassen. Für die arme Bevölkerung müsse die Pflege über Steuermittel finanziert werden. Ansonsten müsse private Vorsorge betrieben werden. "Das Vernünftigste wäre einzusehen, dass die Pflegeversicherung ein groß angelegtes Erbschaftsbe- wahrungsprogramm für den Mittelstand ist", sagte der Pflegeexperte und unterstützte damit den Antrag der FDP (16/7491).

Die langfristige Finanzierung der Pflege ist in dem Gesetz- entwurf der Bundesregierung (16/7439) allerdings ohnehin weitgehend ausgespart. Dem Entwurf zufolge soll der Pflegebeitrag zum 1. Juli 2008 um 0,25 Punkte auf 1,95 Prozent für Versicherte mit und auf 2,2 Prozent für Versicherte ohne Kinder erhöht werden. Das soll zu jährlichen Mehreinnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro führen. Erstmals seit Einführung der Versicherung im Jahr 1995 sollen die Pflegesätze erhöht werden. Im ambulanten Bereich sollen die Leistungen in Pflegestufe eins bis zum Jahr 2012 schrittweise von monatlich 384 auf 450 Euro steigen, in Pflegestufe zwei von monatlich 921 auf 1.100 Euro und in der Pflegestufe drei von 1.432 auf 1.550 Euro. Bei den stationären Pflegesätzen soll die Stufe drei angehoben werden: von 1.432 auf 1.550 Euro und von 1.688 auf 1.918 Euro in Härtefällen.

Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich in ihren Anträgen (16/7472, 16/7136) für eine Bürgerpflegever- sicherung aus. Für die Volkssolidarität bedauerte Alfred Spieler mit Blick auf ähnliche Überlegungen in der SPD, dass die "strukturelle Mehrheit" für eine Bürgerversicherung nicht realisiert werden könne. Rothgang verwies darauf, dass sowohl die solidarische als auch die private Pflegever- sicherung obligatorisch seien und dieselben Leistungen gewährten. Aufgrund der "schlechteren Risiken" der Versicherten in der solidarischen Pflegeversicherung seien die Leistungsausgaben pro Versichertem hier aber um das Zweieinhalbfache höher als in der privaten Pflegeversicherung.

Der Verbandsdirektor der privaten Krankenversicherung, Volker Leienbach, lehnte einen Finanzausgleich strikt ab. Damit würde lediglich das System gestärkt, das nicht nachhaltig und generationengerecht sei. Außerdem gebe es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Bei den beiden Versicherungszweigen handele es sich um zwei Solidarge- meinschaften, die nach unterschiedlichen Prinzipien funktionierten und nicht vermischt werden dürften.

2,1 Millionen Menschen erhalten Leistungen aus der Pflegeversicherung

Derzeit erhalten rund 2,1 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Wie aus dem Vierten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung weiter hervorgeht, den die Bundesregierung nun als Unterrichtung (16/7772) vorgelegt hat, waren davon 1,4 Millionen Empfänger von ambulanten und 700.000 Empfänger von stationären Leistungen. Die Zahl der Leistungsempfänger sei seit der Einführung der Versicherung im Jahr 1995 "deutlich gestiegen", heißt es. Allerdings habe sich der Anstieg in den vergangenen Jahren abgeschwächt. Während die Gesamtzahl der Pflegebedürftigen von Ende 1996 bis Ende 2002 noch um durchschnittlich 3,4 Prozent zugenommen habe, betrug der jahrsdurchschnittliche Anstieg von Ende 2002 bis Ende 2006 nur noch ein Prozent. Die Mehrzahl der Pflegebedürftigen sind laut Unterrichtung aufgrund der höheren Lebenserwartung Frauen. Ihr Anteil an den stationär Pflegebedürftigen ist demnach mit rund 74,8 Prozent deutlich höher als bei den ambulant Pflegebedürftigen mit rund 62,7 Prozent.

Die Bundesregierung ist verpflichtet, alle drei Jahre in einem Bericht einen umfassenden Überblick über sämtliche Daten zur Pflegeversicherung zu geben. Der 159-seitige "Vierte Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung" enthält Daten vor allem über die Jahre 2004 bis 2006, aber auch über die neuesten Entwicklungen. Danach hatte die die Pflegeversicherung Ende 2006 ein Finanzpolster von etwa 3,5 Milliarden Euro. Bei Einnahmen von 18,49 Milliarden Euro und Ausgaben von 18,03 Milliarden Euro erwirtschaftete die Pflegekasse den Angaben zufolge im Jahr 2006 einen Überschuss von 450 Millionen Euro, der im Wesentlichen auf einmalige Zusatzeinnahmen aufgrund des Vorziehens der Beitragsfälligkeit zurückgehe. Von den Gesamtausgaben entfielen der Regierung zufolge 95 Prozent auf die Leistungsausgaben und 5 Prozent auf die Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Bei der privaten Pflege-Pflichtversicherung verzeichnet der Bericht für 2006 Einnahmen in Höhe von 2,89 Milliarden Euro, Ausgaben von 2,52 Milliarden Euro und einen Überschuss von 360 Millionen Euro. Von den Leistungsausgaben 2006 seien 48 Prozent in die vollstationäre Pflege, 23,1 Prozent ins Pflegegeld und 17,3 Prozent in Pflegesachleistungen geflossen.

Weiter heißt es in der Unterrichtung, dass in Deutschland Ende 2005 rund 11.000 ambulante Pflegedienste zugelassen gewesen seien, die insgesamt 472.000 Pflegebedürftige betreuten. Die Zahl der Beschäftigten in diesem Sektor habe zu diesem Zeitpunkt bei rund 214.000 gelegen. Ende 2005 habe es gut 10.400 zugelassene voll- bzw. teilstationäre Pflegeheime gegeben. Insgesamt seien 676.000 Pflegebedürftige in den Einrichtungen betreut worden, davon 644.000 in vollstationärer Dauerpflege. Im Vergleich zu 2001 ist der Anteil der stationär versorgten Pflegebedürftigen laut Bericht um 11,9 Prozent gestiegen, die Zahl der vollstationär Dauerversorgten erhöhte sich um zwölf Prozent. In den Heimen seien insgesamt 546.000 Personen beschäftigt gewesen.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen aufgrund der demographischen Entwicklung deutlich zunehmen wird. Sie verweist auf Annahmen der "Rürup-Kommission", die davon ausgeht, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in der sozialen Pflegeversicherung von derzeit 1,97 auf 3,4 Millionen im Jahr 2040 ansteigen wird. Mit der im Rahmen der Reform der Pflegeversicherung (16/7439) vorgesehenen Beitragssatzanhebung von 0,25 Punkten auf 1,95 Prozent (bzw. 2,2 Prozent für Kinderlose) reiche die Finanzierung bis Ende 2014/Anfang 2015 aus, heißt es. Der "rechnerisch notwendige Beitragssatz könnte bis 2030 eine Größenordnung von etwa 2,3" Prozent erreichen.

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