Sozialgerichte sind bei Klagen gegen Arzneimittel- rabattverträge zuständig
Die klagenden Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKn) schrieben Mitte 2007 Arzneimittelrabattverträge aus, um Einsparungen zu erzielen. Sie erhielten Angebote für 83 Arzneimittel-Wirkstoffe und wählten intern Pharmaunter- nehmen aus, mit denen sie später die Rabattverträge abschließen wollten. Sie informierten sämtliche an der Ausschreibung teilnehmenden Pharmaunternehmen Anfang September 2007 darüber, in 14 Tagen die Rabattverträge abschließen zu wollen.
Auf Antrag der T. GmbH, einem Pharmaunternehmen, Verstöße gegen das Vergaberecht nachzuprüfen, verbot die bei der Bezirksregierung Düsseldorf errichtete Vergabe- kammer den Klägerinnen daraufhin, Zuschläge auf die Angebote zu erteilen. Die Klägerinnen konnten daher in der Folgezeit keine Rabattverträge schließen. Sie schätzen den wirtschaftlichen Schaden für 2008 und 2009 auf etwa 500 bis 800 Millionen Euro und riefen das Sozialgericht Stuttgart an.
Wie das Bundessozialgericht am 22. April 2008 - B 1 SF 1/08 R - entschieden hat, haben Sozial- und Landessozialgericht zutreffend vorab den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für zulässig erklärt.
Die Rechtswegzuweisung zu den Gerichten der Sozial- gerichtsbarkeit hat ihren Grund in erster Linie in der Systementscheidung des Gesetzgebers zu Gunsten der Sozialgerichts- barkeit, die in § 130a Abs 9 und § 51 Sozialgerichtsgesetz unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Sollte Vergaberecht - worüber hier nicht zu entscheiden war - bei Rabattverträgen zur Anwendung kommen, bildet dieses nur einen Teilaspekt derjenigen Gesichtspunkte, die vom Gericht bei der Überprüfung von Vergabeentscheidungen zu berücksichtigen sind. Ebenso gewichtig wie vergabetechnische und vergaberechtliche Gesichtspunkte sind die systematischen Zusammenhänge der beabsichtigten Rabattverträge mit den Funktions- und Wirkungszusammenhängen des Vertrags- und Leistungssystems der GKV.
Arzneimittelrabattverträge sind sonstigen Verträgen zur Beschaffung von Heilmitteln oder Hilfsmitteln ähnlich. Sie dienen nämlich dazu, unmittelbar den gesetzlichen Auftrag der Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten zu erfüllen. Sie unterscheiden sich dadurch ganz maßgeblich von gewöhnlichen fiskalischen Hilfsgeschäften der öffentlichen Hand und auch der Krankenkassen, die nur mittelbar deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit erhalten sollen (z.B. Kauf von Büromaterial, Büroeinrichtungen, Gebäuden, Fahrzeugen, Telekommunikation usw).
Arzneimittelrabattverträge sind selbst unmittelbarer Bestandteil der den Krankenkassen zugewiesenen Aufgaben. Nur durch und nach Abschluss derartiger Leistungsbe- schaffungsverträge sind die Krankenkassen in der Lage, ihre unaufschiebbare Pflicht zu erfüllen, die ihren über 70 Millionen Versicherten gesetzlich zustehenden Sachleis- tungsansprüche zu befriedigen. Das Leistungserbringerrecht der GKV hat damit zentrale Bedeutung für die Funktions- und Steuerungsfähigkeit der GKV und der Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen. Das Gesetz weist daher das Leistungserbringerrecht aus Gründen des Sachzusammenhangs und der Konzentration der jeweiligen -öffentlich-rechtlichen - Gerichtsbarkeit zu, die auch ansonsten über die im Rahmen der GKV entstehenden Streitigkeiten entscheidet. Insoweit gilt für das Vergaberecht nichts anderes als für das Kartell- und Wettbewerbsrecht.
Az.: B 1 SF 1/08 R
AOK Baden-Württemberg und weitere 14 AOKn ./. Bezirksregierung Düsseldorf
32 beigeladene Unternehmen der pharmazeutischen Industrie
Lesen Sie auch die Zusatzinformationen der AOK Baden-Würtemberg zu den AOK-Rabattverträgen
Ausgangssituation
Strukturelle- und Wettbewerbsdefizite im Generikamarkt (patentfreier Arzneimittelmarkt) machten einen Preiswettbewerb unmöglich. Auf Grund der oligopolartigen Anbieter-struktur konnten AOK-Versicherte überwiegend nur mit hochpreisigen Generika versorgt werden. Dies wurden zudem durch mangelnde Motivation und fehlende Anreizsysteme für Apotheker und Ärzte unterstützt.
Potentielle Einsparmöglichkeiten zu Gunsten der AOK und ihrer Versicherten konnten somit nicht genutzt werden. Dem Grunde nach vermeidbare Kosten-/Ausgaben-entwicklungen waren die Folge. Zur Eindämmung der Ausgabendynamik waren regelmäßige gesetzliche Eingriffe erforderlich.
Der Ausgabenanstieg im Bereich der Arzneimittel betrug 2007 GKV-weit rd. 7 % (ohne Impfstoffe) (AOK-System 6,3 %).
Maßnahme des Gesetzgebers
Mit Wirkung zum 01.01.2003 eröffnete der Gesetzgeber den Krankenkassen die Möglichkeit, mit pharmazeutischen Unternehmen Rabatte zu verhandeln. Mit diesem Instrument sollte der Aufbau neuer Wettbewerbsformen ermöglicht werden mit dem Ziel, die Verantwortung zur Ausgabensteuerung verstärkt in die Hände der Krankenkassen zu legen und direkte Interventionen des Gesetzgebers zurück zu drängen.
Erfolgreiche Umsetzung von Arznei-Rabattverträgen für das Jahr 2007 durch die AOKs
Die AOKs haben die gesetzliche Möglichkeit mit großem Erfolg umgesetzt. Der erhoffte Wettbewerb unter den pharmazeutischen Unternehmen setzte ein. Die Ausschreibung von 89 Wirkstoffen für das Jahr 2007 führte auch zur Stärkung, d.h. zu Markterfolgen der mittelständischer Unternehmen, die im Niedrigpreissegment zu finden waren. Bei wichtigen Wirkstoffen konnten diese Unternehmen innerhalb kurzer Zeit die Marktführerschaft übernehmen. Die großen Konzerne hingegen mussten Umsatzein-brüche hinnehmen. Insgesamt konnten die AOKs 2007 rd. 100 Mio. Euro an Versicher-tengeldern einsparen.
Pharmazeutische Verbände und einzelne Pharmaunternehmen scheiterten 2007 bei ihren Bemühungen, die Verträge zu Fall zu bringen, da die angerufene Vergabekammer
Baden-Württemberg ihre Zuständigkeit verneinte und die angegangenen Sozialgerichte Freiburg und Köln das Auswahlverfahren als rechtmäßig beurteilten.
Arznei-Rabattverträge für die Jahre 2008/2009
Aufbauend auf den Erfahrungen aus 2007 wurde der von den AOKs eingeschlagene Weg fortgeführt und eine Ausschreibung für 83 Wirkstoffe durchgeführt, wobei auch hier wieder der bestmögliche Schutz mittelständischer Unternehmen im Fokus stand. Verstärkt versuchten pharmazeutische Unternehmen durch Instrumentalisierung des Vergaberechts, die vom Gesetzgeber geschaffenen wettbewerblichen Möglichkeiten zu blockieren. Aufgrund der rechtlichen Auseinandersetzungen konnten nur für 22 Wirkstoffe Arznei-Rabattverträge abgeschlossen werden. Durch deren Umsetzung wird in 2008 und 2009 insgesamt ein Einsparpotenzial in Höhe von rd. 175 Mio. Euro erzielt. Die von pharmazeutischen Unternehmen verursachte rechtliche Blockierung, verhindert somit das ursprünglich erwartete Einsparpotenzial (also potentielle Einsparungen von Beitragsgeldern) für den Rabattzeitraum in Höhe von bis zu 1 Milliarde Euro zu realisieren. Damit wurden auch AOK-Versicherte um mögliche Zuzahlungsbefreiungen von rund 100 Mio. Euro gebracht.
Stuttgart, den 22.04.2008
AOK Baden-Württemberg
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