
Nach monatelangem Streit und siebenstündigen Verhandlungen in der Nacht auf Donnerstag geben die Parteispitzen der große Koalition ihre Einigung auf eine Gesundheitsreform bekannt: (v.l.n.r.) Kurt Beck, Angela Merkel, Edmund Stoiber (Foto: dpa)
Regierungskoalition einigt sich bei der Gesundheits- reform
Die Bundesregierung gibt bekannt: Die Koalitionsparteien haben sich auf die Ausgestaltung und den Zeitplan der Gesundheitsreform geeinigt. Die Zusatzbeiträge der Kassen sollen ein Prozent nicht übersteigen. Der Start des Gesundheitsfonds wird auf den 1. Januar 2009 verschoben.
Die Koalition habe sich auf eine weitreichende Gesund- heitsreform geeinigt, die das deutsche Gesundheitssystem strukturell umgestalten werde. Dies erklärte Bundes- kanzlerin Angela Merkel nach siebenstündiger Verhandlung in der Nacht zum 5. Oktober.
Die gemeinsame Pressemitteilung der CDU-Vor- sitzenden Angela Merkel, des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und des CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber zur Gesundheitsreform im Wortlaut:
Heute hat sich die große Koalition auf eine weitreichende Gesundheitsreform geeinigt. Damit wird das deutsche Gesundheitswesen zukunftsweisend umgestaltet – in den Strukturen, in der Organsation, in den Finanzen und im Bereich der Privatversicherung. Alle Maßnahmen haben das Ziel, die Qualität der Versorgung zu verbessern, Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Versicherten zu erhöhen und insgesamt durch Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Wettbewerb und Bürokratieabbau die Finanzierbarkeit der gesundheitlichen Versorgung zu sichern.
Mehr Sicherheit im Krankheitsfall durch solidarische Finanzierung
Die Gesetzliche Krankenversicherung wird auf ein solides finanzielles Fundament gestellt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen anteilig einen festen, für alle Krankenkassen gleich hohen Beitragssatz in den Gesundheitsfonds ein, der zum 1. Januar 2009 eingeführt wird. Die Finanzierung der Ausgaben für die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder in der Krankenversicherung wird zunehmend durch Steuermittel gesamtgesellschaftlich aufgebracht. Dieser Steuerzuschuss und die Beiträge decken zum Startzeitpunkt 100 Prozent der Gesundheitsausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung ab, auch künftig mindestens 95 Prozent. Dies führt zu mehr Solidarität und Generationengerechtigkeit.
Alle Bürgerinnen und Bürger haben zukünftig die Möglichkeit, sich für den Krankheitsfall abzusichern. Derzeit nicht Versicherte müssen von ihrer früheren Krankenversicherung wieder aufgenommen werden. Dies gilt gleichermaßen für die private wie für die gesetzliche Krankenversicherung.
Mehr Transparenz für die Versicherten schaffen
Jede Krankenkasse erhält für jeden Versicherten eine pauschale Zuweisung. Diese wird nach Alter, Geschlecht und bestimmten Krankheitsfaktoren modifiziert. Der hierzu notwendige Risikostrukturausgleich wird an 50 bis 80 Krankheiten orientiert, bei denen die durchschnittlichen Leistungsausgaben je Versicherten die GKV-weiten durchschnittlichen Leistungsausgaben je Versicherten um mindestens 50 Prozent übersteigen. Der Risikostrukturausgleich wird ebenfalls zum 1. Januar 2009 eingeführt.
Kommt eine Krankenkasse mit den zugewiesenen Mitteln nicht aus, erhebt sie von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag. Dieser Zusatzbeitrag darf 1 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens nicht übersteigen. Feste oder prozentuale Zusatzbeiträge in einer Höhe bis zu 8 Euro werden – falls für die Kasse erforderlich – ohne Einkommensprüfung erhoben. Wird ein Zusatzbeitrag erforderlich, muss die Krankenkasse ihre Mitglieder auf die Möglichkeit eines Kassenwechsels hinweisen.
Gut wirtschaftende Kassen werden ihren Versicherten überschüssige Mittel auszahlen können. Damit können Versicherte auf einen Blick erkennen, wie gut ihre Kasse arbeitet. Dies schafft mehr Transparenz und Wettbewerb.
Leistungen an den Präferenzen der Versicherten ausrichten
Auch in Zukunft wird jeder Versicherte die medizinische Versorgung erhalten, die er braucht. Darüber hinaus bietet die Gesetzliche Krankenversicherung zukünftig mehr Wahlmöglichkeiten. Versicherte können zwischen verschiedenen Behandlungsmodellen (integrierte Versorgung, Hausarzttarife, etc.) und Tarifen der Krankenkassen (Selbstbehalte, Kostenerstattung) wählen, ohne dass die Solidarität innerhalb der Versichertengemeinschaft in Frage gestellt wird.
Da, wo es notwendig ist, werden Leistungen ausgebaut. Das gilt zum Beispiel für eine bessere Gesundheitsvorsorge durch Impfungen sowie für Mutter-Vater-Kind-Kuren. Die Leistungen für Schwer- und Schwerstkranke in der Palliativmedizin werden verbessert. Auch ältere und pflegebedürftige Menschen sollen Anspruch auf Rehabilitation haben.
Die Chancen des Wettbewerbs nutzen
Leistungserbringer konkurrieren in Zukunft durch gute Qualität und bezahlbare Preise um Verträge mit den Krankenkassen. Dies gilt sowohl für Ärzte und Krankenhäuser wie für die Versorgung mit Arzneimitteln und Hilfsmitteln.
Gleichzeitig erhalten viele Leistungserbringer mehr Sicherheit über die Vergütung ihrer Leistungen. Am 1. Januar 2009 wird eine neue Gebührenordnung mit Euro- und Cent-Beträgen für die ambulante vertragsärztliche Versorgung eingeführt, so dass jeder Arzt weiß, was er für seine Leistungen bekommt. Das Risiko zunehmender Behandlungsbedürftigkeit der Patienten tragen zukünftig die gesetzlichen Krankenkassen und nicht mehr die Ärzteschaft.
Mehr Wettbewerb auch im Bereich der Privaten Krankenversicherung
Unabhängig vom individuellen Krankheitsrisiko können zukünftig freiwillig Versicherte und ehemals privat Versicherte in die private Krankenversicherung wechseln. Hierzu wird ein Basistarif eingeführt, der nur nach dem Eintrittsalter und Geschlecht differenzierte Beiträge erhebt. Darüber hinaus können die Versicherten in Zukunft leichter zwischen den Versicherungsunternehmen wechseln; dazu werden ihre Alterungsrückstellungen bei Wechsel der Versicherung im Umfang des Basistarifs anrechnungsfähig gestaltet.
Um die Bezahlbarkeit des Basistarifs zu gewährleisten, darf dieser den GKV-Höchstbeitrag nicht überschreiten. Würde durch die Bezahlung einer solchen Prämie Hilfebedürftigkeit ausgelöst, reduziert sich dieser Tarif auf die Hälfte. Würde auch bei dieser halbierten Prämienzahlung Hilfebedürftigkeit ausgelöst, muss sich der zuständige Träger nach SGB XII oder SGB II im notwendigen Umfang, maximal aber mit dem heute an GKV-Versicherte bezahlten Satz von 125 Euro an den Kosten beteiligen.
Portabilität der Altersrückstellungen zwischen PKV und GKV findet nicht statt.
Weniger Bürokratie
Leistungserbringer und Krankenkassen werden von unnötiger Bürokratie entlastet. Abrechnungsverfahren werden vereinfacht, überflüssige Kontrollen abgebaut, teure, historische Zwangsverbünde von Kassen abgeschafft, Prüfverfahren entschlackt und vereinfacht, Verbands- und Organisationsstrukturen werden durchgängig der modernen Zeit angepasst und verschlankt.
Alle Bürgerinnen und Bürger haben zukünftig die Möglichkeit, sich für den Krankheitsfall abzusichern. Derzeit nicht Versicherte müssen von ihrer früheren Krankenversicherung wieder aufgenommen werden. Dies gilt gleichermaßen für die private wie für die gesetzliche Krankenversicherung.
Konvergenzklausel
Um unverhältnismäßige regionale Belastungssprünge aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds zu vermeiden, wird eine Konvergenzphase eingeführt, binnen derer unterschiedliche Einnahmen– und Ausgabenstrukturen der Kassen angeglichen werden.
In dieser Konvergenzphase werden unterschiedliche Be- und Entlastungen durch die Verteilungsmechanismen des Fonds in jährlichen Schritten von maximal 100 Millionen Euro (bezogen auf alle im Bereich eines Landes tätigen Kassen) angeglichen. Dieser Höchstangleichungsbetrag von 100 Millionen Euro wird jeweils auf das Land mit der höchsten absoluten Belastung bzw. Entlastung (Referenzland) bezogen, hiervon abgeleitet werden die Ausgleichsbeträge der anderen Länder jeweils im Verhältnis der Be-/Entlastungen zum absoluten Wert des Referenzlandes ermittelt.
Die zugrunde zu legenden länderspezifischen Be-/Entlastungenswirkungen werden durch ein Gutachten ermittelt.