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Dienstag, 16. Mai 2006

Korruption im Gesundheitswesen - Transparency International legt Jahrbuch vor

Von: Trancparency International Deutschland e.V. / Pressemitteilung vom 16.05.06

Die Unterhändler beider Regierungsparteien verhandeln derzeit auf Regierungs- und Parlamentsebene die neueste Gesundheitsreform. Sie soll für etliche Jahre Bestand haben. Zur gleichen Zeit legt Transparency International Deutschland die deutsche Fassung des "Global Corruption Report" mit dem Titel "Jahrbuch Korruption – Schwerpunkt: Korruption im Gesundheitswesen" vor. Diese Fassung ist angereichert durch einen analytischen Einführungstext
zur Situation des Gesundheitswesens in Deutschland mit Vergleichen zur Situation in den deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz.

Die drei Autoren dieses Textes erklären dazu: "Deutschland ist nach den USA und der Schweiz das drittteuerste Land, was die Kosten seines Gesundheitswesens angeht. Die Leistungen für die Versicherten und der Gesundheitszustand der Menschen in Deutschland liegen im internationalen Vergleich aber nur im Mittelfeld. Wir fragen uns und die Öffentlichkeit seit nunmehr mehr als fünf Jahren: Welchen Anteil an dieser Diskrepanz haben Misswirtschaft, Betrug und Korruption im Gesundheitsbereich? Eine Antwort auf unsere diesbezüglichen Fragen sind uns Bundes- und
Landesregierungen seit unserer ersten Untersuchung 2001 immer noch schuldig."

Mit dem jetzt vorliegenden Text möchte Transparency Deutschland einen neuen Anlauf unternehmen, nach sachgerechten Antworten zu suchen. "Die Strukturprobleme im Gesundheitswesen liegen im Überangebot an Waren und Dienstleistungen und der  Reaktion von Bund und Ländern auf diese Situation des Überflusses. Die Überalterung der Gesellschaft spielt eine geringere Rolle, und die Kostensteigerungen für Behandlungen sind durch strukturelle Mängel, darunter auch Korruption, hausgemacht. Wie kämen sonst andere Länder mit weniger Geld aus, bei denen die Menschen nicht kränker sind als bei uns und genauso lange leben?", fragt die neue Themenführerin der TI-Arbeitsgruppe "Korruption im Gesundheitswesen", Dr. Gabriele Bojunga.

Die drei Autoren heben hervor, dass es kein neuerliches Herumkurieren an Symptomen geben darf: "Die Behebung der strukturellen Mängel unseres Gesundheitssystems muss an erster Stelle stehen. Wir als Transparency Deutschland konzentrieren uns dabei auf die Bekämpfung der Korruption. Für uns ist es nicht akzeptabel, nur durch immer neue Lasten für die Versicherten auf der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite oder für alle Steuerzahler zu reagieren. Wir fordern weitestmögliche Transparenz für Beitrags- und  Steuerzahler."

1.) Betrug, Verschwendung und Korruption im Gesundheitswesen haben sich in Deutschland im Laufe der Jahrzehnte kontinuierlichen Wirtschaftswachstums in die Strukturen unseres auf Länderebene organisierten Gesundheitswesens regelrecht eingefressen. Der einzelne Arzt, Zahnarzt oder Apotheker, der einzelne Versicherte, der einzelne kleine Anbieter von Waren oder Dienstleistungen kann sie – auch bei großer Anstrengung - angesichts der Marktmacht der einschlägigen Industrie und ihrer Verbände und angesichts der intransparenten, verkrusteten Strukturen von Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht kaum durchschauen, geschweige denn verändern. Die dadurch jährlich entstehenden Verluste werden auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Zu lange hat die Politik der Wirtschaft nachgegeben, statt ihr einen Rahmen zuzuweisen, und zu lange hat sie die öffentlich-rechtlichen Körperschaften des Gesundheitswesens auf der Länderebene sich selbst überlassen, statt nach einem für alle verbindlichen Kontrollinstrumentarium zu suchen. Zu den Kernelementen eines  Anti-Korruptionsprogramms, das sich in der Neuregelung des Gesundheitswesens wiederfinden muss, um künftige Fehlleitungen der knappen Ressourcen zu unterbinden, gehören vor allem folgende Punkte:Durchgreifende Professionalisierung der Körperschaften öffentlichen Rechts (Krankenkassen, kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen und Kammern des Gesundheitswesens): Ziel ist die Transparenz der Entscheidungsprozesse und des Geschäftsgebarens.

  • Funktionsträger in wissenschaftlichen oder berufsständischen Organisationen sowie ehrenamtliche Funktionäre und Entscheidungsträger der Selbstverwaltung sollen in Korruptionsfällen wie Amtsträger behandelt werden.
  • Rechtliche Klärung der Frage, inwieweit niedergelassene Ärzte allgemein in ihrem Verhältnis zu den Warenanbietern hinsichtlich Bestechlichkeit/Bestechung und Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung  juristisch anders behandelt werden müssen als Klinikärzte.
  • Offenlegungspflicht von Finanzierungen und Beziehungen zu Sponsoren, sowie die Registrierung gesponserter klinischer Studien: Ziel ist die Bekämpfung von Fehlinformationen und teuren Fehlentscheidungen im Gesundheitswesen durch "gekaufte" medizinische Sachverständige und durch so genannte "Beobachtungsstudien" des Pharmamarketings.
  • Verschärfte gesetzliche Regelungen der Straftatbestände Studienfälschung, Studienmanipulation und werbliche Falschaussagen: Ziel ist eine wirksamere Strafverfolgung durch die zuständigen Landesbehörden bei Datenmanipulationen oder falschen Werbebehauptungen.
  • Klare Richtlinien der Länder für Universitäten und staatliche Forschungsinstitute: Ziel ist eine gesetzliche Offenlegungspflicht und volle Transparenz bei Drittmitteln, Sponsoring, Nebentätigkeiten und Interessenkonflikten.
  • Einführung von fälschungssicheren Arzneimittelverpackungen: Ziel ist die Eindämmung des illegalen Handels mit Arzneimitteln.
  • Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte bietet nur einen relativen Schutz vor Versicherungsbetrug: Ziel muss die Verhinderung des massenhaften Versicherungsbetruges durch die Versicherten, durch die Arbeitgeber und durch Leistungserbringer (Auftragsvergabe) sein. Dazu gehört auch Transparenz bei allen verwendeten EDV-Systemen.
  • Gesetzliche Regelungen für die Durchführung von Regressverfahren seitens der Krankenkassen: Ziel ist die Einführung des Tatbestandes "Abrechnungsbetrug, Schädigung einer Solidargemeinschaft" im StGB und die Etablierung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für schnelle und effektive Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Herstellern von Arzneimitteln und Medizinprodukten (Entziehung der Lieferungsberechtigungen), gegenüber Organen der ärztlichen Selbstverwaltung (Entzug der Kassenzulassung) und gegenüber Versicherten bei Missbrauch.
  • Einführung eines Ombudsmann-Systems: Ziel ist eine Verbesserung der Strafverfolgung und eine Stärkung der Staatsanwaltschaften durch Unterstützung von Hinweisgebern.

2.) Der strukturellen Korruption im deutschen Gesundheitswesen ist aber allein mit neuen Gesetzen, reformerischen Maßnahmen, größeren Ermittlungsanstrengungen und besserer Strafverfolgung nicht beizukommen. Es muss eine Kultur entstehen, die Korruption im Medizinbereich ächtet. Es ist unmoralisch und unanständig, sich an einem System zu bereichern, das Menschen mit geringem Einkommen immer mehr belastet und durch Fehlallokation zunehmend Lücken lässt in einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung. Verhaltensrichtlinien mit wirkungsvollen Sanktionen sind nötig, Vergabeordnungen müssen beachtet und Interessenkonflikte transparent gemacht werden.

3.) Die deutsche Gesundheitswirtschaft hat auch international die Verpflichtung, dem Wohl der Menschen zu dienen und ethische Standards zu wahren.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

  • Dr. Gabriele Bojunga, Tel. 030-549898 0
  • Dr. Anke Martiny, Tel. 030-549898 0

Der Stern schrieb dazu bereits am 12.11.2004

Martiny forderte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihre Länderkollegen auf, sich dem Problem stellen und es gemeinsam bekämpfen. "Wir müssen eine neue Kultur schaffen, die Korruption im Medizinbereich ächtet." Nötig seien unter anderem bessere Maßnahmen gegen Chipkartenmissbrauch, Regressmöglichkeiten gegen Arzneimittelhersteller bei falschen Versprechungen, eine Professionalisierung der Selbstverwaltung und wirksamere Strafverfolgung. Auf internationaler Ebene soll ein Anti-Korruptions-Institut gegründet werden.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht nicht die Gefahr einer weit verbreiteten Anfälligkeit für Korruption im Gesundheitswesen. Die übergroße Zahl der Mitarbeiter in diesem Bereich mache einen prima Job, sagte Ministeriumssprecher Klaus Vater mit Blick auf Berichte über zweistellige Milliardenschäden im Gesundheitswesen durch Korruption. Er räumte ein, es gebe schwarze Schafe. "Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz bietet zum erstenmal ein gute, breite gesetzliche Grundlage um mit diesen Fällen klarzukommen und solche Fälle abzustellen", sagte er weiter. Die Kassenärztlichen Vereinigung würden darin aufgefordert, Stellen zu schaffen, um Korruption zu bekämpfen. Seines Wissens nach komme man gut voran. Ende des Jahres werde man einen Überblick haben.

Zulassungsstudien, wissenschaftliche Beiträge auf Kongressen und Vorgaben in Ärzteleitlinien würden zum Großteil von Wissenschaftlern erstellt, die als "Mietmäuler" die Linie des Herstellers wiedergäben. Schönhöfer sprach von einer "Korrumpierung des Wissenschaftsbetriebs" durch die Pharmaindustrie. "Marketing ist heute die stärkste Bedrohung für die therapeutische Versorgung", sagte der Mitherausgeber des "Arzneimittel-"Telegramms".

Bedenklich finden die Gesundheitsexperten auch, dass häufig Pharmafirmen hinter so genannten Patienten-Selbsthilfegruppen stecken. Die Industrie versuche, auch über diese "U-Boote" ihre Arzneien zu vermarkten, sagte Etgeton.

Zu Angaben der Antikorruptions-Organisation Transparency International, jährlich würden dem Gesundheitswesen bis zu 20 Milliarden Euro durch Betrug und Korruption entzogen, nahm Vater zunächst keine Stellung, weil ihm der Bericht nicht bekannt sei.

Eine Transparency-Sprecherin hatte zuvor erklärt: „Wir können davon ausgehen, dass drei bis zehn Prozent des Gesundheitsbudgets verloren gehen.“ Grundlage dieser Schätzung seien Studien aus den USA, die nach Ansicht von Transparency auf europäische Länder übertragbar sind. Die Betrügereien gibt es nach Einschätzung der Organisation auf allen Ebenen, vom Arzt über die Apotheken bis hin zu Anbietern von Hilfsgeräten, der Pharmaindustrie, den Krankenkassen und Patienten."

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