KBV: "Wir schützen Ärzte vor Regressen und Patienten vor Rationierung"
"Mit der Rahmenvereinbarung zur Verordnung von Arz- neimitteln schützen wir die niedergelassenen Ärzte vor Regressen und haben das unselige Bonus-Malus-System abgelöst. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) behauptet fälschlicherweise in seinem offenen Brief das Gegenteil. Es ist auch nicht richtig, dass eine Rationierung in der Versorgung drohen würde. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die getroffene Vereinbarung gewährt den verschreibenden Ärzten genügend Spielraum für eine patientenorientierte und indikationsgerechte Arzneimittelverordnung. Dieser Brief ist ein durchsichtiger Versuch, die niedergelassenen Ärzte für Industrieinteressen zu instrumentalisieren. Schlimm ist dabei, dass Begriffe wie die ärztliche Therapiefreiheit und freiberufliches Handeln missbraucht sowie Tatsachen verdreht werden. Das ist ein einmaliger Vorgang, der Konsequenzen haben wird." Mit diesen deutlichen Worten hat Dr. Carl-Heinz Müller, Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stellung zu einem offenen Brief des BPI bezogen, der heute als Beilage in der "Ärzte Zeitung" erschienen ist.
In seiner Erklärung stellte der KBV-Vorstand weiterhin richtig: "Die Vereinbarung von Höchst- und Mindestquoten bei der Verordnung bestimmter Arzneimittel ist keine neue Erfindung, wie dies der BPI suggeriert. Die KBV, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Krankenkassen arbeiten schon seit Jahren mit Quoten, um die Arzneimittelausgaben zu steuern. Der Vorwurf, diese Regelung negiere die tatsächliche Versorgungssituation, ist absurd. Tatsächlich wurde das reale Verordnungsverhalten der Ärzte aufgegriffen. Die getroffene Vereinbarung versetzt Vertragsärzte in die Lage, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung aktiv zu vermeiden. Damit setzt sie positive Anreize. Selbstverständlich behält der Arzt die Therapiehoheit. Nur er legt den Wirkstoff nach Indikation fest. Der BPI erweckt außerdem den Eindruck, es gebe keine Möglichkeiten mehr für regionale Anpassungen. Auch das ist nicht richtig. Vielmehr können durch regionale Zielquoten die Ärzte von der Wirtschaftlichkeitsprüfung befreit werden."
Abschließend erklärte Müller: "Offenbar steht der BPI so unter dem Druck seiner Mitglieder, dass er glaubt, in laufende Verhandlungen der KVen mit den Krankenkassen vor Ort einzugreifen. Was muss man von einem solchen Verband noch erwarten? Wir haben durch das Engagement von KBV und KVen die Chance, dass das Damoklesschwert drohender Richtgrößenprüfungen endlich von den Ärzten genommen wird. Die neue Regierungskoalition will genau dies laut Koalitionsvertrag prüfen. Der BPI gefährdet diese Chance durch sein unverantwortliches Handeln."
Lesen Sie dazu den Offenen Brief des "Bundesver- band der Pharmazeutischen Industrie"
An die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte in Deutschland
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband haben vor kurzem die neue Rahmenvereinbarung zur vertragsärztlichen Verordnung von Arzneimitteln verabschiedet. Mit dieser Vereinbarung werden jährlich die Kriterien für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen festgelegt. Für das Jahr 2010 haben KBV und Kassen – nahezu geräuschlos und ohne jede fachliche Debatte – ein neues Kriterium in die Vereinbarung aufgenommen: Bundesweite Höchst- und Mindestquoten zur Verordnung bestimmter Arzneimittel. Dies bedeutet: Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, die wegen eines regionalen Versorgungsbedarfes außerhalb dieser Quoten liegen, werden mit Regress bedroht.
Die pharmazeutischen Unternehmen halten diese Neuerung für völlig verfehlt. Die Androhung eines Regresses ist kein probates Mittel zur Steuerung freiberuflichen Handelns. Dieses an sich bereits fragwürdige Mittel ärztlicher Selbstverwaltung wird durch die aktuelle Rahmenvereinbarung massiv verschärft. Die Einführung bundesweiter Quoten als Grundlage persönlicher Regresse erscheint uns als unerträglich. Die deutsche Einheit war ein Glücksfall der Geschichte. Die deutsche Wirklichkeit bleibt aber höchst unterschiedlich. Dies gilt auch für den regionalen Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten. So unterschiedlich die Lebensverhältnisse in Deutschland sind, so unterschiedlich ist auch der konkrete Bedarf an Arzneimitteln. Bundesweite Quoten mögen die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen vereinfachen. Mit der Realität der ambulanten Versorgung haben sie nichts gemein.
Viele Therapiefelder sind von den neuen Quoten betroffen. So wird zum Beispiel in der Schmerztherapie für transdermale Darreichungsformen von Opioiden (Schmerzpflaster) eine Höchstquote von 50% der Verordnungen festgelegt. In den meisten KVen liegt der Anteil dieser Therapieform jedoch weit über 50% der Opioidverordnungen. Die Zahl der „Auffälligkeiten“, die zu einer Wirtschaftlichkeitsprüfung führen können, könnte damit sprunghaft ansteigen. Dies ist grotesk, wurde doch gerade die Schmerztherapie in Deutschland jahrelang als unzureichend und unterversorgt kritisiert. Viele Ärztinnen und Ärzte haben diese Kritik angenommen und nutzen heute pharmazeutische Produkte in ihrer ganzen therapeutischen Breite.
Diese Bemühungen drohen durch die Rahmenvereinbarung zunichte gemacht zu werden. Die Quoten in den anderen Therapiefeldern sind ebenso fragwürdig. Doch es fehlt nicht nur eine medizinische Begründung dieser Maßnahme. Auch aus wirtschaftlicher Sicht gibt es keinen Anlass für eine Intervention. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel liegen in diesem Jahr deutlich unter den Zielwerten, die für das Jahr 2009 vereinbart worden waren. Vertragsärztinnen und Vertragsärzte verordnen bereits sparsam und wirtschaftlich. Es ist daher unverständlich, warum KBV und Krankenkassen – ohne jede Not – die Rationierung in der Arzneimitteltherapie durch eine Verschärfung der Regressandrohung voran treiben wollen.
Es ist noch Zeit, das Schlimmste zu verhindern. Die Rahmenvereinbarung der Bundesebene entfaltet ihre Rechtswirkung erst, wenn sie von den einzelnen KVen aktiv übernommen wird. Das Sozialgesetzbuch nennt hierfür als Termin den 30. November. Wenn Sie mit mir der Meinung sind, dass bundesweite Quoten ein verfehltes Kriterium zur Überprüfung regionaler Pharmakotherapie sind, dann bitte ich Sie: Erheben Sie Ihre Stimme. Wenden Sie sich noch in diesem Monat an die Vertreter Ihrer KV: Höchst- und Mindestquoten bei der Verordnung von Arzneimitteln dürfen nicht als Prüfkriterien für die Wirtschaftlichkeitsprüfung dienen. Der Vorstoß der Bundesebene muss sofort gestoppt werden. Die Therapiefreiheit in der vertragsärztlichen Versorgung ist in Gefahr.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und grüße Sie im Namen der pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland.
Ihr Dr. med. vet. Bernd Wegener (Vorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e.V.)
- Weiterführende Links
- www.kbv.de
- www.bpi.de