Kanzlerin Merkel spricht sich für das Modell des Gesundheitsfonds aus
Vor ihrem Beratungsgespräch mit den Spitzenvertretern der Koalition über die Einführung eines Gesundheitsfonds sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in der ZDF-Sendung "Berlin direkt" für das Fonds-Modell aus. Die Widerstände gegen die Pläne wachsen: So rief Finanzminister Peer Steinbrück hierbei zu größeren Einsparungen auf.
Das Interview im Wortlaut:
Berlin Direkt: Das Vertrauen, dass der große Reformwurf kommt, ist ein bisschen verschwunden. Wann kommt er denn?
Merkel: Die Ziele sind ja vollkommen klar. Wir müssen wieder unseren Haushalt in Ordnung bringen. Wir müssen was gegen die Arbeitslosigkeit tun. Wir müssen unsere sozialen Sicherungssysteme für die Zukunft fest machen.
Und genau an diesen Dingen arbeiten wir seit sieben Monaten. Manche Sachen haben wir geschafft. Ganz wichtige Bausteine werden wir noch vor der Sommerpause abhaken.
Und auch für den Herbst wird es noch etwas zu tun geben, um Deutschland wieder fit zu machen. Aber ich glaube, wir sind im Augenblick - um im Bild zu bleiben - auf einer Baustelle, das ist richtig. Aber ich glaube, dass das Bauwerk gelingen wird.
Berlin Direkt: Ein Teil der Baustelle wird die Gesundheitsreform sein. Den Gesundheitsfonds - wenn er kommt - empfinden die Leute als ungerecht. Wir erklären Sie ihn den Bürgern?
Merkel: Ich glaube, wir müssen uns bei der Gesundheitsreform erst einmal fragen, was wollen wir. Wir wollen erstens, dass die Menschen auch in 10, 15 Jahren - egal, wie viel sie verdienen, egal, wie alt sie sind - Anteil haben, an dem, was medizinisch möglich ist.
Wir wollen denen, die Ärzte sind, Krankenschwestern sind, in medizinischen Berufen arbeiten, sagen, dass sie eine tolle Arbeit machen und dass das Berufe sind, wo junge Leute sich auch entscheiden, in diese Berufe hinein zu gehen.
Und wir wollen dort, wo man den Eindruck hat, da versickert das Geld, da wissen die Leute nicht, wo bleibt es, ist das nicht zu bürokratisch, etwas verändern, etwas durchsichtiger machen und überschaubarer.
Und wir glauben, dass der Fonds eine Möglichkeit ist - der Fonds ist nicht die Lösung, aber er ist so etwas, wie ein Mittel zum Zweck, um das Geld, was reingeht ins Gesundheitssystem, und das Geld, was ausgegeben wird, genau zu verfolgen und zu sagen, wird es gut ausgegeben oder weniger gut.
Und deshalb kann es sein, dass wir uns für diese Variante entscheiden.
Berlin Direkt: Müssen sich neue Mitglieder auf ein neues System einstellen?
Merkel: Die Gesundheitsfragen, die Frage der medizinischen Versorgung ist sicherlich die komplizierteste, die wir haben für die Zukunft, weil auf der einen Seite die Menschen glücklicherweise älter werden, auf der anderen Seite die Möglichkeiten der Medizin wachsen.
Und die PKV, die privaten Krankenkassen sind ein System, bei dem sich die Menschen, die dort versichert sind, selber mit all ihren Risiken absichern, auch für das Alter. Es ist also in soweit ein funktionierendes System -
Berlin Direkt: Sie möchten das beibehalten?
Merkel: Ja, ich möchte das beibehalten. Ich möchte nur, dass wir darüber nachdenken, ob wir die Solidarität in der Gesellschaft auf breitere Füße stellen müssen.
Zum Beispiel, wenn wir darüber nachdenken, ob wir die Finanzierung der Gesundheit der Kinder über alle Steuerzahler bezahlen und nicht nur von denen, die in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind.
Über diese Fragen müssen wir noch reden. Dazu werden wir Entscheidungen fällen. Es wird auch Lösungen geben, die werden nicht am 1.1.2007 in Kraft treten, sondern da muss man einfach auch mal überlegen, ob man das für einen längeren Zeitraum ins Visier nimmt und sagt, da wollen wir hin.
Weil ich glaube, genau wie bei der Rente mit 67, wir müssen die Menschen doch auch auf die Zukunft vorbereiten. Und die große Koalition hat die große Chance, solche zum Teil auch neuen Entscheidungen, manchmal für die Menschen auch schwierigen Entscheidungen mutig zu fällen und dann sich darüber nicht mehr zu streiten.
Ehegattensplitting
Berlin Direkt: Ihr CDU-Generalsekretär Pofalla hat das Familiensplitting statt Ehegattensplitting ins Gespräch gebracht. Wird das kommen?
Merkel: Das ist ein Vorschlag, den hat die CDU in ihrem Grundsatzprogramm schon früher gemacht. Und es geht jetzt auch um eine Programmdebatte für die nächsten 10, 15 Jahre.
Und da wissen wir: Wir wollen die Ehe in der Verfassung weiter unter den besonderen Schutz des Grundgesetzes stellen. Wir wollen die Familien schützen.
Und wir müssen überlegen, was können wir noch mehr für Familien machen, also Ehen mit Kindern. Und hier ist gerade ein interessanter Punkt: Wenn ich ein solches Familiensplitting mache, dann habe ich die Möglichkeit, auch für Eltern, wo ein Elternteil zu Hause bleibt - zum Beispiel die Mutter -, in der Zeit, wo nur einer verdient, die Kinder steuerlich mit geltend zu machen.
Das hießt, diese Familie besser zu stellen, als Ehen ohne Kinder. Das heißt aber nicht, dass ich das Ehegattensplitting abschaffe, das ist nicht der Punkt. Aber wer sich zusätzlich für Kinder entscheidet, der muss in unserer Gesellschaft gefördert werden.
Berlin Direkt: Werden Sie den Koalitionspartner noch davon überzeugen, oder warten Sie auf eine neue politische Konstellation?
Antwort : Nein, das ist jetzt erst einmal eine Debatte, die wir im Rahmen unseres Grundsatzprogrammes führen.
Das liegt jetzt nicht auf der aktuellen politischen Agenda. Da heißt es: Bessere Steuern für die Unternehmen, ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem, die Föderalismusreform, Bürokratieabbau und auch die Arbeitslosigkeit vor allen Dingen bekämpfen.
Unternehmenssteuerreform
Berlin Direkt: Bei der Unternehmenssteuerreform sagt aber gerade Ihre klassische CDU-Klientel, der Mittelstand, das ist uns zu wenig.
Merkel: Ja, es geht weniger um zu wenig und um zu viel. Sondern es geht um die Frage: Sind unsere Unternehmen in der Lage, in einer zusammenwachsenden Welt als Unternehmen konkurrenzfähig, wettbewerbsfähig zu sein.
Und das müssen wir ihnen sichern. Das heißt, wir müssen sowohl denen, die als Familie ein Unternehmen führen, als auch denen, die als Körperschaften ein Unternehmen führen, solche Bedingungen geben, dass sie nicht nach Österreich, nach Holland oder sonst wohin auswandern müssen.
Daran arbeiten wir. Wir wollen etwas tun bei der Erbschaftssteuer, weil wir sagen wollen, die, die ihr Vermögen nicht ausgeben oder irgendwo auf der Welt anlegen, sondern hier in Deutschland weiter Arbeitsplätze schaffen, die sollen eine Zukunft haben.
Und all das unbürokratisch und trotzdem nach unserem Grundgesetz entsprechend umzusetzen, das ist gar nicht so einfach. Aber das wollen wir unbedingt schaffen.
Lohnnebenkosten
Berlin Direkt: Die Senkung der Lohnnebenkosten ist ein Hauptpunkt. Wie niedrig müssen die sein, dass Sie am Ziel sind?
Merkel: Wir haben uns vorgenommen, dass sie unter 40 Prozent sind im Laufe dieser Legislaturperiode.
Dass wir das also bis 2009 erreichen. Das wollen wir auch. Gleichzeitig müssen wir aber sehen: Gesundheitssystem, Rentensystem, Arbeitslosenversicherung sind an den Faktor Arbeit gekoppelt, das heißt, hängen mit den Lohnzusatzkosten zusammen.
Und insofern müssen wir in einer älter werdenden Gesellschaft, in einer Gesellschaft, die mehr medizinische Möglichkeiten hat, dann natürlich auf zwei Dinge achten: Erstens mehr Menschen, die einzahlen in diese Systeme, also mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Und zweitens müssen wir überlegen, ob wir an bestimmten Stellen eben auch Solidarität stärker über das Steuersystem finanzieren.
Politik und Fußball
Berlin Direkt: Solidarität, Team - das sehen wir jetzt bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Bei Ihnen, bei den Unions-Ministerpräsidenten, hat man manchmal den Eindruck, dass da einer dem anderen reingrätscht. Was lernen Sie denn von Klinsmann?
Merkel: Ich glaube, von der deutschen Fußballnationalmannschaft kann man erst einmal lernen, dass man eisern trainiert, dass man ein Ziel hat. Und dieses Ziel heißt, Deutschland wieder fit zu machen.
Und ich glaube, dieses Ziel haben alle - in der großen Koalition genauso, wie in Bund und Ländern. Denn wenn es dem Bund, unserer Bundesregierung und den Menschen in der Bundesrepublik nicht gut geht, haben die Ministerpräsidenten auch eine schwierige Regierungszeit.
Dass manchmal die Interessen unterschiedlich sind, das kann man selbst auch in einer deutschen Nationalmannschaft beobachten. Es kommt dann nur darauf an, dass im entscheidenden Moment alle wirklich auch an einer Strippe ziehen, und zwar in die gleiche Richtung.
Berlin Direkt: Ist das Machtwort dann mal gefragt?
Merkel: Was zählt, ist, dass jeder, der mitspielt, fit ist. Das ist bei Ministerpräsidenten sowieso gegeben.
Und zweitens heißt es, dass man zum Schluss das Resultat bringt. Und ich habe es am Anfang unseres Interviews gesagt, ich sage es noch einmal: Wir werden daran gemessen werden, ob wir unseren Haushalt wieder so zukunftsfähig machen, dass die Leute sagen, auch unsere jungen Leuten haben eine Chance.
Wir werden an der Frage der Arbeitslosigkeit gemessen werden und an der Frage, wie viel Wirtschaftskraft hat dieses Land, wie viel Forschungskraft hat dieses Land.
Und man sieht doch jetzt an den vielen Besuchern auch zur Fußballweltmeisterschaft: Viele wollen, dass es Deutschland gut geht. Und daran müssen wir arbeiten. Und das tut diese Bundesregierung - und im Übrigen auf allen Seiten und mit allen Ministern mit voller Kraft.
Berlin Direkt: Was kann die Bundeskanzlerin vom Bundestrainer lernen?
Merkel: Ich glaube, dass egal was man macht und ob es ganz unterschiedliche Dinge sind - und Politik und Fußball sind bei aller gegenseitigen Begeisterung immer noch unterschiedliche Dinge -, kann man lernen, dass ein Ziel vor Augen ganz wichtig ist, dass das beständige Verfolgen dieses Zieles wichtig ist, dass es schon mal passieren kann, dass die Zwischenschritte nicht jedem verständlich sind, und dass man zum Schluss natürlich Resultate abliefern muss.
Berlin Direkt: Haben Sie mit Ihrem Mann schon gewettet, wer Weltmeister wird?
Merkel: Mit meinem Mann habe ich nicht gewettet. Ich bin sowieso mit dem Wetten sehr vorsichtig. Aber nachdem ich das Spiel Deutschland - Polen gesehen habe, da finde ich, können wir erst einmal ganz beruhigt unseren Fußballspielern zusehen.
Ich denke, die geben, was sie können. Und das Publikum hier unterstützt sie auch in einer Weise - es ist einfach wunderschön.
- Ende des Interviews -