Institut für Gesundheits- und Sozialforschung legt "Arzneimittel-Atlas 2007" vor
Im Jahr 2006 betrugen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel 25,9 Mrd. Euro und sind mit 2,0 Prozent (rund 516 Mio. Euro) weit weniger stark gestiegen als im Vorjahr (16,3 Prozent). Wichtigster Faktor für die Umsatzsteigerungen ist neben dem erhöhten Verbrauch die strukturelle Verschiebung zu Gunsten innovativer Arzneimittel. Das zeigt der neue Arzneimittel- Atlas 2007, der am 26. Juli im Rahmen einer Pressekon- ferenz in Berlin vorgestellt wurde. Der Atlas analysiert die Ursachen der Ausgabensteigerung und zeigt die dahinter stehenden Marktveränderungen auf.
Hauptursache der Ausgabensteigerung ist danach ein medizinisch begründbarer Verbrauchsanstieg, der Mehrauf- wand in Höhe von rund 1,2 Mrd. Euro verursacht hat. Der überwiegende Teil der verbrauchsbezogenen Mehrumsätze fließt dabei in die Behandlung weit verbreiteter chronisch somatischer Erkrankungen (ca. 70 Prozent). Dazu gehören insbesondere die Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren (Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen), weitere schwere Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose, schwere Schmerzen und neurologisch-psychiatrische Erkrankungen.
Die Verordnung neuer, innovativer Medikamente hat einen weiteren Mehraufwand von etwa 500 Mio. Euro verursacht. Auch hier sind medizinische und epidemiologische Faktoren ausschlaggebend. Mehr als zwei Drittel dieser Umsatz- steigerungen entfallen auf Arzneimittelgruppen, die zur Behandlung von Krebskrankheiten, psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen sowie zur Behandlung von häufigen chronischen Erkrankungen (Asthma/COPD, Fettstoffwechselstörungen) eingesetzt werden. Die Ausgabensteigerungen für Innovationen sind im dritten Jahr hintereinander rückläufig.
Dagegen haben "technische" Einsparungen, z.B. Wahl preisgünstigerer Arzneimittel, u. a. mit Wirkstoffen, die 2006 ihren Patentschutz verloren haben, oder größere Packungen die Aufwendungen reduziert. Darüber hinaus haben erhebliche Preissenkungen die Kosten gesenkt. Diese Einsparungen summieren sich auf insgesamt fast 1,2 Milliarden Euro.
Für einen detaillierten Vergleich der Arzneimittelumsätze betrachtet der Arzneimittel-Atlas 2007 außerdem gesondert die Versorgungssegmente Grund-, Spezial-, Supportiv- und HIV-Versorgung. In der Supportiv-Versorgung werden Schwerkranke mit Arzneimitteln versorgt, die ihr Verbleiben im ambulanten Versorgungssektor ermöglichen (z.B. Infusionen und schwere Schmerzmittel). Zahlreiche neuere Entwicklungen in der Medizin machen eine stationäre Versorgung überflüssig bzw. ermöglichen vermehrt ambulante Versorgungsleistungen. Im Arzneimittel-Atlas 2007 werden erste Ansätze vorgestellt, diese Verlagerungseffekte zu quantifizieren.
Auch eine regionale Differenzierung zeichnet den Arzneimittel-Atlas aus. Der Umsatz einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist im Durchschnitt zu gut 70 Prozent durch die Grundversorgung bestimmt, die durchschnittlich ca. 268 Euro pro Versichertem beträgt. Der durchschnittliche Umsatz in der Spezialversorgung beträgt ca. 79 Euro bzw. gut 20 Prozent, in der Supportiv-Versorgung etwa 23 Euro (6 Prozent) und in der HIV-Versorgung ca. 6 Euro (knapp 2 Prozent). Die Pro-Kopf-Umsätze in den einzelnen Kassenärztlichen Vereinigung variieren bis zu 100 ¤ pro Versichertem. Die Analysen im Arzneimittel-Atlas zeigen, dass der überwiegende Teil der Abweichungen durch krankheitsbestimmende Faktoren (z.B. Fettleibigkeit), demographische Faktoren (z.B. Anteil von Personen über 65) und das Ärzteangebot (Anteil der Fachärzte) erklärt werden kann. Das individuelle Verschreibungsverhalten der Ärzte ist dagegen von geringerer Bedeutung.
Hintergrundinformationen zum Arzneimittel-Atlas
Valide Informationen über den Verbrauch von Arzneimitteln sind für gesundheits- und wirtschaftspolitische Entscheidungen unabdingbar. Die nunmehr vorliegende zweite Fassung des Arzneimittel-Atlas 2007 wurde vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) erstellt und vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) e.V. beauftragt. Der Atlas liefert für 23 Indikationsgruppen transparente und strukturierte Informationen über die Entwicklung der Verordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) des Jahres 2006.
Alle Analysen basieren auf dem Konzept der Tagesdosen. Für das Jahr 2006 werden im Vergleich zu 2005 die Änderungen von Verbrauch, Preis und strukturellen Verschiebungen betrachtet, wobei erstmals auch eine monatliche Betrachtung der Umsatzveränderungen stattfindet. Neu ist auch eine Übersicht der wesentlichen Einflussfaktoren auf den Arzneimittelumsatz. Schließlich wird der Arzneimittelverbrauch in Beziehung zur Prävalenz der jeweiligen Indikation gesetzt. Abgerundet wird der Arzneimittel-Atlas 2007 durch die Betrachtung der Arzneimittelausgaben auf regionaler Ebene.
Der ermittelte Ausgabenanstieg für Arzneimittel auf 25,9 Mrd. Euro liegt mit 2 % weit unter dem des Vorjahres (16,3 %). Wichtigster Faktor für die Umsatzsteigerungen ist dabei neben dem erhöhten Verbrauch die strukturelle Verschiebung zu Gunsten innovativer Arzneimittel.
Das Ergebnis des Jahres 2006 weicht sehr stark ab von der Prognose, die die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung bei der Anpassung der Einflussfaktoren auf das Ausgabenvolumen für das Jahr 2006 ausgegeben haben.
Kritik wird von den Autoren vor allem daran geübt, dass das Sozialgesetzbuch V morbiditätsbezogene Einflussfaktoren bisher nur mangelhaft berücksichtigt und die realen Umsatzsteigerungen somit nur unzureichend erklärt werden können. Mit Ausnahme des Faktors „Zahl und Alter der Versicherten“ hat der Gesetzgeber keine nachfragebezogenen Anpassungsfaktoren formuliert.
"Eine morbiditätsbezogene Anpassung im SGB V ist geradezu zwingend, weil verbrauchsbezogene Umsatzsteigerungen derzeit die wichtigste Komponente von Umsatzsteigerungen überhaupt sind", so Prof. Dr. Bertram Häussler, Direktor des IGES Instituts, bei der Vorstellung des Arzneimittel-Atlas 2007 am 26. Juli 2007 in Berlin.
Die Autoren:
Prof. Dr. Bertram Häussler
Dr. Ariane Höer
Elke Hempel
Philipp Storz
Der Arzneimittel-Atlas 2007 ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.
ISBN 978-3-89935-241-2, Verlag Urban & Vogel
- Weiterführende Links
- www.iges.de