Im Bundestag notiert: frühzeitige Krankenhaus- entlassung und Fallpauschalen
Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass mit dem Fallpauschalensystem im Krankenhauswesen eine Versor- gungsverschlechterung einhergeht. "Belastbare Hinweise auf Verschlechterungen der Versorgungsqualität oder eine Zu- nahme von medizinisch nicht indizierten und verfrühten Entlassungen gibt es bislang nicht", schreibt die Regierung in ihrer Antwort (16/6184) auf eine Kleine Anfrage der Links- fraktion (16/6083).
Allerdings stehe eine systematische Aufarbeitung der Ein- führung der Fallpauschalen im Jahr 2003 auf die Qualität der Versorgung noch aus. Beim Fallpauschalensystem erfolgt die Vergütung von medizinischen Leistungen pro Behandlungsfall im Krankenhaus, etwa für eine Blinddarmoperation. Die Linke hatte darauf hingewiesen, dass die Verweildauer von Patienten in Krankenhäusern seit Jahren zurückgehe.
Im Jahr 1991 habe die durchschnittliche Liegezeit im Krankenhaus noch 14 Tage betragen. Im Jahr 2005 habe das Statistische Bundesamt nur noch 8,6 Tage pro Fall ver- zeichnet. Wie die Regierung schreibt, liegen bislang keine aussagefähigen Daten etwa über eine mutmaßliche Mehr- belastung im ambulanten Bereich durch frühzeitige Kranken- hausentlassungen vor. Auch gebe es "keine objektiven Anhaltspunkte für Drehtür-Effekte, schon gar nicht für "blutige Entlassungen'".
Lesen Sie dazu die Kleine Anfrage der Linksfraktion
Mit frühzeitiger Krankenhausentlassung beschäftigt sich eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (16/6083): Die Verweil- dauern von Patienten in Krankenhäusern sinken seit vielen Jahren immer weiter. 1991 betrugen die durchschnittlichen Liegezeiten im Krankenhaus noch 14 Tage, während im Jahr 2005 das statistische Bundesamt nur noch 8,6 Tage pro Fall verzeichnete. Dies ist eine Entwicklung, die sich nicht nur nicht nur in Deutschland beobachten lässt, sondern in den meisten Industriestaaten.
Die weitere Verkürzung der Liegezeiten war ein erklärtes Ziel der Bundesregierung bei der in den letzten Jahren vollzogenen Einführung der Diagnosis Related Groups (DRG; Fallpauschalen). In der Begründung dieser Neuregelung im Zuge des "Gesundheitsreformgesetzes", das im Jahr 2000 in Kraft getreten ist, war von "verweildauersenkenden Anreizen" die Rede.
Vor 2004/2005 wurde über Tagessätze abgerechnet. Diese Abrechnungsart begünstigt unnötig lange Liegezeiten. Die DRGs hingegen setzen Anreize für zu kurze Liegezeiten. Daher mussten auch "untere Grenzverweildauern" eingeführt werden, die wirtschaftliche Anreize setzen, Patienten nicht zu früh zu entlassen. Das Senken der Verweildauer ist indes kein Selbstzweck. Ziel hierbei war es, Ressourcen einsparen zu können. Nach der aktuellen REDIA-Studie der Deutschen Rentenversicherung gelingt dies jedoch nicht wie geplant:
Das Deutsche Ärzteblatt (14/2007; S. A923-A926) berichtet von einer Verschlechterung des Zustandes der Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung aus der akuten stationären Versorgung durch die Einführung der DRGs. In den unter- suchten Medizinbereichen (Orthopädie und Kardiologie) mehren sich die Komplikationen in der auf die Akutbe- handlung folgende stationäre Rehabilitationsbehandlung.
Es treten beispielsweise nach der Akutversorgung vermehrt auf: Wundheilungsstörungen, Perikard- und Pleuraergüssen, Herzinsuffizienz nach Herzinfarkten und vermehrtes Auf- treten von Antibiotika-resistenten Krankenhausinfektionen (MRSA). Der Allgemeinzustand der in die Reha-Kliniken eingewiesenen Patienten habe sich verschlechtert.
Die allgemein gebräuchliche Bezeichnung "blutige Entlas- sungen", die oft statt des neutralen Begriffs "frühzeitige Krankenhausentlassungen" gebraucht wird, wird durch ein weiteres Beispiel aus dem Artikel des Ärzteblattes unter- mauert: In einer kardiologischen Reha-Klinik waren nur gut 15 Prozent der eingelieferten Patienten nach OP ohne Wundnachsorgebedarf.
Diese Reha-Klinik hat sich mittlerweile organisatorisch auf diese veränderte Situation eingerichtet und mehr Pflege- kräfte eingesetzt. Dies erzeugt natürlich höhere Kosten, ebenso wie der höhere Medikamenten- und Laborbedarf.
Wir fragen die Bundesregierung:
- Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Verschlechterung des Zustandes von aus dem stationären Akutbereich kommenden Patienten in den letzten Jahren vor und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
- Teilt die Bundesregierung die Erkenntnisse der REDIA-Studie und gibt es ihrer Auffassung nach Handlungsbedarf?
- Hat die Bundesregierung – neben den untersuchten Mehrbelastungen des Reha-Bereiches – auch Erkenntnisse über Mehrbelastungen im ambulanten Sektor durch frühzeitige Krankenhausentlassungen?
- Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über einen Drehtür-Effekt in Folge einer so genannten "blutigen Entlassung" vor, also eines sekundären Krankenhaus- aufenthalts, er aufgrund der zu schnellen Entlassung bei der primären stationären Versorgung notwendig wurde?
- Gab es durch Verkürzungen der Liegezeiten im Akut- bereich Kostensteigerungen für die Reha-Kliniken, also Verschiebungen der Aufgaben der Akut in die Rehaversorgung, und werden diese Mehrkosten vollständig von den Krankenkassen übernommen?
- Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über ähnliche Sachverhalte in anderen medizinischen Fachgebieten als die in der REDIA-Studie untersuchte Kardiologie und Orthopädie und wenn ja welche?
- Gab oder gibt es einen gesetzlichen oder untergesetz- lichen Auftrag zur Evaluation der DRG- Einführung?
- Welche Evaluationen über die finanziellen Auswirk- ungen der DRG-Einführung auf die gesamte (Akut und Reha) Behandlung eines Patienten in den verschie- denen medizinischen Fachbereichen liegen der Bundesregierung vor?
- Welche Evaluationen liegen der Bundesregierung bezüglich der unteren Grenzverweildauern vor und darüber ob mit diesem Instrument "blutige Entlas- sungen" vermieden werden können?
Berlin, den 11. Juli 2007
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion