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Sonntag, 16. Juli 2006

GKV-Spitzenverbände warnen vor ungelösten Finanzierungsproblemen

Von: Arbeitsgemeinschaft der Bundesverbände der Krankenkassen / Pressemitteilung

Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen geben in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekannt: Eine zukunftsorientierte Gesundheitspolitik muss neben der Lösung der Strukturprobleme Antworten auf die zunehmend erodierende Einnahmebasis der gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) – auf Grund hoher Arbeitslosigkeit, unstetem Wachstum und sinkender Renten – geben. Mit den nun vorgelegten Eckpunkten zur Gesundheitsreform werden diese Antworten nicht gegeben. Es gibt keine Vorschläge, wie die sich in der GKV bis 2009 aufbauende Finanzierungs- lücke in Höhe von 17 bis 20 Mrd. EUR nachhaltig geschlossen werden kann. Die für 2008 und 2009 angekündigten Steuerzuschüsse sind de facto gemessen am diesjährigen Bundeszuschuss eine Kürzung. Statt dessen sollen zunächst die Beiträge zur Krankenversicherung weiter erhöht und mit der Einführung eines Gesundheitsfonds im Jahre 2008 zusätzlich eine so genannte "kleine" Kopfprämie von den Versicherten erhoben werden.

Aus Sicht der Spitzenverbände der Krankenkassen sollte eine erfolgreiche Finanzreform insbesondere folgende Ausrichtung haben: Solidarität  im Gesundheitswesen muss gesichert bleiben. Die Höhe der Beiträge sollte sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten orientieren. Darüber hinaus sollten die zusätzlichen Finanzan- forderungen, die aus der demografischen Entwicklung und dem medizinischen Fortschritt resultieren, nachhaltig gelöst werden. Die dazu notwendigen Finanzierungsregelungen müssen unbürokratisch, manipulationssicher und für die Versicherten transparent sein. Die Verantwortung für die GKV muss auf Grundlage der gesetzlichen Rahmen- bedingungen auch weiterhin selbstverwaltet durch Versicherte und Arbeitgeber getragen werden.

Die nun vorgelegten Eckpunkte erfüllen diese Kriterien nicht. Die Einrichtung eines Gesundheitsfonds, die Wegnahme des Beitragseinzugs von den Krankenkassen, Regulierungs- behörde und Dachverband  führen zu  mehr Bürokratie, Schwächung der Selbstverwaltung und deutlicher Erhöhung des staatlichen Einflusses im Gesundheitswesen. Die Krankenkassen würden ihre Finanzautonomie verlieren und dadurch von staatlichen Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds abhängig. Der Einfluss der Beitragszahler über ihre gewählten Vertreter in der Selbstverwaltung würde deutlich geringer werden.

Mit den geplanten neuen regionalen Beitragseinzugsstellen wird das bewährte Verfahren aufgegeben, mit dem heute die Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Pflege- und Krankenversicherung mit einem Gesamtvolumen von ca. 450 Mrd. EUR gemeinsam eingezogen werden. Das Verfahren hat im internationalen Vergleich extrem geringe Kosten (ca. 0,3 Prozent der Einzugssumme) und eine äußerst niedrige Fehlerquote (ca. 1 Prozent). Das neue Verfahren über regionalisierte Einzugsstellen ist mit extrem hohem zusätzlichen Bürokratieaufwand verbunden, u. a. wegen des notwendigen Datenaustauschs zwischen neuen Einzugsstellen, Krankenkassen, Versicherten und Arbeitgebern. Dies erhöht die Verwaltungskosten und die Fehleranfälligkeit des Systems. Außerdem müssen bis zu 30.000 qualifizierte Arbeitsplätze im Beitragseinzug bei den Krankenkassen abgebaut werden.

Die kassenindividuellen Zusatzbeiträge, mit denen die Krankenkassen ihre Ausgaben finanzieren müssen, die nicht durch die Zuweisungen aus dem Fonds gedeckt sind, setzen im Zusammenhang mit den anderen Wirkungen des Gesundheitsfonds falsche Anreize für den Wettbewerb und werden folglich zu Wettbewerbsverwerfungen führen. Zwar soll jede Krankenkasse wählen können, ob sie den Zusatzbeitrag einkommensbezogen erhebt oder als "kleine" Kopfprämie, in der Praxis wird aber die "kleine" Kopfprämie die Regel sein, weil Krankenkassen mit einkommensbezogenen Zusatzbeiträgen Gefahr laufen, ihre Versicherten mit höheren Einkommen an die Krankenkassen mit Kopfprämien zu verlieren. Da die Kopfprämien allein durch den Versicherten getragen werden, werden sich die Wettbewerbsabstände zwischen den Krankenkassen vergrößern und mit jeder notwendig werdenden Erhöhung weiter auseinander driften. Dem zunehmenden Wettbewerbsdruck kann nicht – wie von der Politik gewünscht – durch die Nutzung der vorhandenen und neuen Vertragsfreiheiten und/oder durch Wahl- und Selbstbehalttarife begegnet werden. Durch den Übergang der Vertragskompetenzen bei den Kollektivverträgen auf die  Dachverbände auf Landesebene wird zudem der Wettbewerb gegenüber der heutigen Situation erheblich eingeschränkt. Deshalb werden die Krankenkassen gezwungen sein, Satzungs- und Ermessensleistungen einzuschränken und Geschäftsstellen und Serviceangebote für die Versicherten abzubauen. Der Wettbewerb wird sich auf gesunde Versicherte konzentrieren. Das ist kontraproduktiv. Der Wettbewerb muss vielmehr Anreize zur Erhöhung von Qualität und zum Aufbau neuer, produktiverer Versorgungsformen und -strukturen setzen.

Nach den Plänen der Politik sollen die Entscheidungsgremien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) künftig nicht mehr mit gewählten Vertretern der Selbstverwaltung, sondern mit Hauptamtlichen besetzt werden. Der G-BA würde so letztlich zur staatlichen Regulierungsbehörde. Der G-BA setzt insbesondere untergesetzliche Normen, wie etwa zur Konkretisierung des Leistungskatalogs und dies ist verfassungsrechtlich nur durch eine auf Wahlen beruhenden Legitimationskette (Selbstverwaltung) oder eben durch eine dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nachgelagerte Behörde möglich.

Heute geht den von den Krankenkassen einheitlich und gemeinsam zu treffenden Entscheidungen eine Meinungsbildung in ihren Verbänden voraus. Dabei findet eine Vermittlung zwischen den legitimen unterschiedlichen Interessen der Krankenkassen statt. In den geplanten Dachverbänden der Krankenkassen werden diese Interessen unvermittelt aufeinander prallen. Es besteht die Gefahr, dass der Dachverband deshalb häufig nicht entscheidungs- und handlungsfähig sein wird. Müßte die GKV dann damit rechnen, dass für diese Fälle das BMG zur Ersatzvornahme ermächtigt würde?

Im Ergebnis hätte der Staat mit der Beitragsfestsetzung, der Zuteilung der Finanzmittel an die Krankenkassen, dem G-BA als Regulierungsbehörde und massivem Einfluss auf den Dachverband der Krankenkassen alle relevanten Steuerungsinstrumente der GKV in der Hand. Die Spitzenverbände der Krankenkassen bezweifeln, dass eine derart umfangreiche staatliche Steuerung zu besseren Ergebnissen führt als die heutige Selbstverwaltung. Vielmehr ist auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit zu befürchten, dass bei staatlichen Entscheidungen auch sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen, allen voran  finanzpolitische Motive. Außerdem sind staatliche Entscheidungen in der Regel einem höheren Druck der Lobbyisten ausgesetzt als die Selbstverwaltung.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen plädieren deshalb für die  Beibehaltung der Finanzhoheit der Krankenkassen. Für versicherungsfremde Leistungen, Verschiebebahnhöfe zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und gesamtgesellschaftliche Aufgaben soll der Staat die finanzielle Verantwortung übernehmen. Weder der heutige Bundeszuschuss aus der Tabaksteuer noch die für 2008 und 2009 geplanten Steuerzuschüsse reichen hierfür aus. Die bewährte staatsferne Steuerung durch die Selbstverwaltung soll durch geeignete Reformen gestärkt werden. Alle Maßnahmen, die in Richtung mehr Staat in der Gesundheitsversorgung hinaus laufen, werden abgelehnt.

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