


Oben: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Bundestag (Foto: dpa) Darunter: Aktuelle Umfrage des ZDF-Politbarometers vom 7. April
Gesundheitsreform als Bewährungsprobe für Merkel und die Koalitionsregierung
Die ZDF-heute Redaktion berichtet: Sofort nach den Landtagswahlen vom 26. März hat die große Koalition die Gesundheitsreform angepackt. Neben Rente und Arbeitsmarkt ist sie das Schlüsselthema der Regierung - und eine Bewährungsprobe für die Kanzlerin. Ob die große Koalition sehr erfolgreich ist, ja ob sie sich als Ausnahmekonstellation in der Bundespolitik rechtfertigt, wird sich vor allem bei diesem Thema zeigen. Zwei Spitzenrunden auf höchster politischer Ebene hat es schon gegeben, die Arbeitsgruppe ist eingesetzt, die im Auftrag der Koalitionsspitzen konkrete Instrumente und ihre wechselseitige Wirkung im Gesundheitssystem berechnen wird.
Solidarisches System
Die Koalition packt die Gesundheitspolitik an - und nimmt sich vor, das Thema politisch bis zum Sommer über die Bühne zu bringen. Ein ambitionierter Zeitplan - die Experten werden auch über die Osterferien durcharbeiten müssen, um bis Anfang Mai eine Entscheidungsgrundlage anzubieten. Bislang dringen aus dem Kanzleramt nur allgemeine Vorgaben: Das System müsse solidarisch bleiben, was heißt, dass der (immer teurere) Fortschritt in der Medizin auch weiterhin allen zu Gute kommen muss. Matthias Platzeck mit seinen Worten "Reich lebt länger - das soll nicht Wirklichkeit werden" lässt schön grüßen. Was gut klingt, wird viel kosten.
Mehr Transparenz
Immer wirksamere Therapien und Medikamente werden nicht nur Leben verlängern und Heilungschancen vergrößern - sie werden dem System immer mehr Geld abverlangen. Experten rechnen schon jetzt mit einem bis zu zweistelligen Milliardenbetrag für die nächsten Jahre. Woher soll das Geld kommen? Strukturell betrachtet: durch mehr Wettbewerb im System, zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern, Apotheken und Ärzten. Transparenz ist ein wichtiges Stichwort - bis heute wissen die Patienten ja gar nicht, was eine Behandlung sie kostet. Einsparmöglichkeiten liegen auch in der Beseitigung von Doppelstrukturen, wenn Patienten von einem Arzt zum anderen gereicht werden und am Ende im Krankenhaus landen - und die Behandlung, einschließlich teurer Diagnoseverfahren, immer wieder von vorne beginnt.
Der "dritte Weg"
Deshalb erhoffen sich Fachleute viel von der flächendeckenden Einführung so genannter Gesundheitszentren, wo mehrere Ärzte unter einem Dach zusammenarbeiten und sich nicht nur Verwaltungsstrukturen, sondern auch teure Geräte teilen. Aber wird das reichen, um die Teuerungseffekte auszugleichen? Fachleute sind da skeptisch. Nicht umsonst haben die einen auf die Bürgerversicherung gesetzt und die anderen auf die Kopfpauschale, um das Gesundheitssystem auf eine andere Finanzierungsbasis zu heben. Da in einer großen Koalition weder das eine noch das andere, weder rein sozialdemokratische noch christdemokratische Vorstellungen umgesetzt werden können, ist die Suche nach dem "dritten Weg" (Peter Struck) eröffnet.
Mehr Geld ins System
Die einfachste Lösung, mit der längst nicht nur CDU/CSU, sondern auch Sozialdemokraten liebäugeln, wäre ein Steuerzuschlag zur Finanzierung des Gesundheitswesens - ein "Gesundheits-Soli", oder welchen schönen Namen man für das Kind auch findet. Aber die Finanzpolitiker winken ab: Was wird es für Konjunktur und Konsum bedeuten, wenn im Jahr 2007 gleich drei Steuern erhöht oder ganz neu erhoben werden? Schon jetzt stellt sich mit dem Mehrwertsteuersprung um drei Punkte ernste Sorge um den Aufschwung ein. Aber gibt es andere Möglichkeiten, die notwendige Summe aufzubringen? Die Fachpolitiker haben die Auswahl aus einem ganzen "Instrumentenkasten" - sowohl zur Verbesserung der Einnahmen als auch zur Reduzierung von Ausgaben. Möglichkeiten, mehr Geld ins System zu bringen, gibt es reichlich: Neben Steuererhöhungen sind es die Einbeziehung von Einnahmen aus Mieten, Pachten, Kapitalvermögen zum Krankenversicherungsbeitrag sowie die Ausdehnung des Kreises der Versicherten, also die Rezepte der Bürgerversicherung.
Neue Aufgabenteilung
Einnahmeerhöhungen sind aber auch möglich durch höhere Eigenbeteiligung der Patienten, sei es bei den Medikamenten oder beim Arztbesuch. Das hätte zudem Steuerungseffekte, ist aber - denkt man an die Empörungswelle bei der Einführung der Praxisgebühr - politisch ein riskanter Weg. Strukturelle Einnahmeverbesserungen könnten auch durch einen weiteren Strukturausgleich zwischen privaten und gesetzlichen Kassen herbeigeführt werden. Die jetzt erklärte Bereitschaft der Privaten, aus dem System Herausgefallene wieder aufzunehmen, ist ein Vorbote einer solchen neuen Aufgabenverteilung, die Privatkassen be- und gesetzliche Kassen entlastet.
Anreize zur Eigenvorsorge
Zu Maßnahmen, die Ausgaben zu begrenzen, zählen vermehrte Anreize zur Eigenvorsorge, aber auch neue Modelle - beispielsweise bestimmte Gesundheitsrisiken, wie Sportunfälle, auszugliedern und nach dem Modell des Zahnersatzes eigens abzusichern. Politisch heikel, aber finanziell wirksam wären Einschränkungen des Leistungskatalogs für Bagatell-Erkrankungen. Das heißt: Um komplizierte und langwierige Krebsbehandlungen für alle auch in Zukunft zu ermöglichen, müssen auch alle damit leben, die Behandlung eines Schnupfens aus der eigenen Tasche zu zahlen.
Systemwechsel als Ziel?
Möglichkeiten gibt es viele, Entscheidungen im einzelnen sind noch nicht gefallen. Die Kernfrage ist, ob die absehbaren Mehrkosten im Milliardenbereich wirklich durch einen Mix vieler kleiner Einschnitte und Maßnahmen zu erbringen sind. Für die Parteien der großen Koalition wird bei den politischen Entscheidungen am Ende immer auch eine Rolle spielen, wie bestimmte Gruppen betroffen sind - Rentner, Arbeitnehmer, Selbständige - und was das für künftige Wahlchancen bedeutet. Die große Koalition hat sich auf den Weg gemacht, nach schmerzhaften Diskussionen innerhalb der Parteien die Diskussion um die Sicherung unseres Gesundheitswesens noch einmal ganz von vorne begonnen. Ob das Ziel wirklich ein großer Systemwechsel ist oder doch eher ein mittelfristig angelegtes Sicherungsprogramm für das bestehende - das ist die Hauptentscheidung. Die Methode Merkel wäre es jedenfalls, auch hier "viele kleine Schritte" zu gehen.
Testfall für Merkel
Für die Kanzlerin ist die Gesundheitspolitik der Testfall, ob ihr ein zentrales Reformanliegen gelingt. Sie ist jetzt in erster Linie als Moderatorin gefordert. Dass sie als ausgesprochene Expertin in gesundheitspolitischen Fragen gilt, wird ihr den Job erleichtern. Von "Sonnendeck" ist jedenfalls keine Rede mehr. Angela Merkel hat sich in den Maschinenraum begeben.