Gesundheitsfonds: Rürup/Wille-Gutachten schafft Klarheit
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt betrachtet Befürchtungen von Bundesländern zu negativen finanziellen Auswirkungen des Gesundheitsfonds als unbegründet. Dies zeige das heute von Bert Rürup und Eberhard Wille vor- gelegte wissenschaftliche Gutachten, das im Auftrag des Gesundheitsministeriums erstellt worden ist.
Es komme zu Ergebnissen, "die den bereits im September 2006 allen Verhandlungspartnern übermittelten Berechnungen des Bundesversicherungsamtes sehr nahe sind. Nun müsste der Streit um Zahlen über die Fonds-Wirkungen beendet sein", so Schmidt.
Gesamtdeutsche Solidarität gefordert
Die Ministerin verwies auch darauf, dass eine regionale Betrachtung der sozialen Sicherung nicht angemessen sei. Es gehe um die gesamtdeutsche Solidarität, um faire Bedingungen in allen Teilen Deutschlands.
"Das Bundesverfassungsgericht hat im Sommer 2005 nachdrücklich vor einer regionalen oder länderbezogenen Sicht gewarnt und betont, dass der gesamtdeutsche Risikostrukturausgleich den Solidargedanken länderübergreifend verwirkliche", sagte die Ministerin.
Ergebnisse des Gutachtens
Das Gutachten hatte die Aufgabe, länderspezifische Verteilungswirkungen des Gesundheitsfonds zu berechnen, der planmäßig zum 01.Januar 2009 in Funktion treten soll.
Die Studie kommt zu folgenden jährlichen Belastungseffekten:
- Baden-Württemberg zwischen 50 Millionen Euro bis 92 Millionen Euro,
- Bayern zwischen 62 Millionen Euro bis 98 Millionen Euro und
- Hessen zwischen 59 Millionen Euro bis 64 Millionen Euro.
Nach einer Studie des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse wurden diese Länder deutlich höher belastet. Dies hatte zu Kritik dieser Länder an dem geplanten Gesundheitsfonds geführt.
Zusammenfassung des Gutachtens Rürup/Wille:
(1) Aufgabenstellung des Gutachtens war die Quantifizierung der länderspezifischen Verteilungswirkungen des Gesundheitsfonds, der planmäßig zum 01.01.2009 in Funktion treten soll. Hintergrund der Auftragsvergabe war die aktuelle politische Diskussion im Zusammenhang mit einer Studie des Kieler Instituts für Mikrodatenanalyse. Dieser Untersuchung zu Folge würden insbesondere die Länder
- Baden-Württemberg mit 0,89 Mrd. ¤ bis 1,72 Mrd. ¤
- Bayern mit 0,05 Mrd. ¤ bis 1,4 Mrd. ¤ und
- Hessen mit 0,7 bis 0,89 Mrd. ¤
pro Jahr als Folge des Gesundheitsfonds belastet.
Demgegenüber kommt unsere Studie zu folgenden jährlichen Belastungseffekten für
- Baden-Württemberg zwischen 50 Mio. ¤ bis 92 Mio. ¤
- Bayern zwischen 62 Mio. ¤ bis 98 Mio. ¤ und
- Hessen zwischen 59 Mio. ¤ bis 64 Mio. ¤
(2) Wir halten den „regionalen Denkansatz“ der hinter den namentlich von Baden-Württemberg, Bayern aber auch Hessen vorgetragenen Argumenten liegt, für verfehlt. Das Regionalprinzip ist dem Sozialversicherungsrecht fremd. Jenseits der Tatsache, dass die gesetzlichen Krankenkassen keine Einrichtungen der Bundesländer sind, ist die hinter der Frage nach den länderspezifischen Verteilungswirkungen des Gesundheitsfonds liegende implizite Annahme, dass die Sozialversicherungsbeiträge, die in einem Land entstehen auch dort wieder verausgabt werden sollten, abwegig. Denn immer wenn ein einheitlicher Beitragssatz in einer Sozialversicherung erhoben wird, muss es nach Maßgabe der unterschiedlichen und sich im Zeitverlauf ändernden sozioökonomischen Bedingungen zu regionalen Umverteilungen zwischen den einzelnen Ländern kommen. Wer diese Verteilungswirkungen nicht akzeptiert, müsste auch auf eine Regionalisierung der Renten- und Arbeitslosenversicherung oder entsprechende Konvergenzklauseln drängen.
(3) Mit Inkrafttreten des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 soll der RSA an direkten Morbiditätsindikatoren ausgerichtet werden. Da sich zudem die Morbiditätsstrukturen wie auch die Beschäftigung und die beitragspflichtigen Einnahmen in den einzelnen Ländern in den nächsten zwei Jahren verändern werden; ist es nicht möglich, bereits heute die vom Gesundheitsfonds 2009 und in den Folgejahren generierten regionalen Verteilungswirkungen exakt zu ermitteln. Heute kann man nur eine kontrafaktische Situation simulieren, in der der Gesundheitsfonds bereits im Jahre 2005 in Funktion wäre. Diese hypothetische Situation lässt sich dann mit dem Status quo vergleichen. Aus der Differenz lassen sich dann die regionalen Effekte des Gesundheitsfonds isolieren.
(4) Das zentrale Problem, landesspezifische Verteilungswirkungen des Gesundheitsfonds zu ermitteln, besteht darin, dass derzeit keine flächendeckenden GKV-Regionaldaten vorliegen – weder hinsichtlich der beitragspflichtigen Einnahmen noch der Ausgaben.
In der gesetzten kurzen Frist konnte diesem Problem nur mit einer Auswertung von bereits vorliegenden Stichproben begegnet werden.
Die wichtigsten verfügbaren Stichproben sind
- das Sozioökonomische Panel (SOEP) des DIW
- die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes und
- eine vom Bundesversicherungsamt im Jahre 2004 im Zuge der Vorbereitung des Morbi-RSA gezogene 3%-Stichprobe aller GKV-Versicherten, die über die Postleitzahlen der Wohnorte der Mitglieder dieses Samples regionalisiert wurde.
(5) Die Rohdaten, auf die sich die folgenden Berechnungen stützen, sind
- für die Schätzung der beitragspflichtigen Einnahmen: eine Sonderauswertung des SOEP durch das DIW im Auftrag des Bundesversicherungsamtes und
- für die Schätzung der Ausgaben: eine GKV-weite Versichertenstichprobe, die vom Bundesversicherungsamt zur Vorbereitung eines direkt morbiditätsorientierten RSA erhoben wurde.
Die in diesen beiden Stichproben im Jahre 2004 erhobenen Daten für das Jahr 2002 wurden dann von uns nach Maßgabe der Entwicklung der Versichertenzahlen, der beitragspflichtigen Einnahmen und der Ausgaben entsprechend der amtlichen Statistik auf das Jahr 2005 hochgerechnet.
(6) Auf der Basis dieser so aktualisierten, regionalisierten Einnahme- und Ausgabendaten konnten dann die länderspezifischen Verteilungswirkungen des derzeitigen RSA in seinen beiden Dimensionen, nämlich des Finanzkraftausgleichs und des Beitragsbedarfsausgleichs berechnet werden.
Durch den geplanten Gesundheitsfonds wird nicht nur der derzeitige RSA ersetzt, sondern auch das über alle Kassen auszugleichende Ausgabenvolumen um die Verwaltungsausgaben und die Ausgaben für Satzungsleistungen – und damit von 92 v. H. der Gesamtausgaben auf 100 v. H. erhöht.
(7) Die dem Gesundheitsfonds zuzurechnenden zusätzlichen regionalen Verteilungswirkungen bestehen mithin in der Differenz zu den Verteilungswirkungen im Status quo. Diese Differenzen werden maßgeblich davon bestimmt, nach welchen Kriterien die zusätzlichen 8 v. H. für Verwaltungsausgaben und die Ausgaben für Satzungsleistungen verteilt werden.
Hierzu wurden drei Varianten berechnet, jeweils in Mio. ¤ für die einzelnen Länder wie in ¤ je Versicherten:
- Die Verwaltungskosten werden zu 30 v. H. nach der Zahl der Versicherten und zu 70 v. H. nach den Leistungsausgaben verteilt.
- Die Ausgaben für Satzungsleistungen und Verwaltung werden ausschließlich nach Maßgabe der Versichertenzahl zugeordnet.
- Die Ausgaben für Satzungsleistungen und Verwaltung werden ausschließlich nach Maßgabe der ursprünglichen Leistungsausgaben verteilt.
(8) Die so ermittelten Werte überzeichnen insofern das tatsächliche Volumen der vom Gesundheitsfonds generierten regionalen Umverteilung. Denn ein erheblicher Teil dieser Umverteilungsvolumina fällt bereits im Status quo an, da überregional oder bundesweit kalkulierende Krankenkassen schon jetzt innerhalb ihrer Versichertengemeinschaft bundesländerübergreifend das gesamte und damit auch das vom derzeitigen RSA nicht erfasste Ausgabenvolumen umverteilen müssen. Alleine im Bereich bundesweit operierenden Krankenkassen (Ersatzkassen, bundesweite Innungs- und Betriebskrankenkassen und Bundesknappschaft) finden sich mehr als die Hälfte aller Versicherten. Entsprechend fällt bereits jetzt ein Großteil der als "zusätzlich" ausgewiesenen Umverteilungswirkungen verdeckt in den bundesweit kalkulierenden Kassen an.
(9) Hinzu kommt, dass, wenn, wie perspektivisch beabsichtigt, der Finanzierungsanteil des Fonds an den Gesundheitsausgaben reduziert wird und im Gegenzug die Bedeutung der Zusatzbeiträge als Finanzierungskomponente anwächst, dies notwendigerweise zu einer Verringerung des vom Gesundheitsfonds induzierten regionalen Umverteilungsvolumens führt.
(10) Es gibt viele und gute Gründe, den Gesundheitsfonds in seiner beschlossenen Form zu kritisieren, die in diesem Fonds induzierten länderspezifischen Umverteilungswirkungen gehören nicht dazu.
In diesen regionalen Verteilungswirkungen den zentralen Defekt des Gesundheitsfonds zu sehen, dokumentiert ein verfehltes Verständnis einer Sozialversicherung.
- Weiterführende Links
- www.bundesregierung.de
- www.bmg.bund.de