
Wolfram F. Richter lehrt seit 1981 Öffentliche Finanzen an der Universität Dortmund. Der 1948 in Mühlheim/Mosel geborene Professor begann seine akade- mische Laufbahn 1972 an der Universität Karlsruhe, wo er eben- falls promovierte und auch habilitierte. Richter ist seit 1994 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Finanzen und seit 2004 "Fellow of the European Economic Association". Sein Gesundheits- fonds-Modell fand auf eher unkonventionelle Art den Weg in die Politik - er schickte einfach eine E- Mail an den zuständigen Referenten im Bundesgesundheits- ministerium. Dort fand sie zunächst lange Zeit keine Beachtung, bis sie ein Expertengremium entdeckte.
Gesundheitsfonds-Erfinder Richter: "Viele Kassen werden den Wettbewerb nicht überleben"
Spiegel-online berichtet: Professor Dr. Wolfram F. Richter hat den Gesundheitsfonds erfunden - und damit eine Riesen- debatte in der Großen Koalition initiiert. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt der Dortmunder Finanzexperte, wie viel Schwarz-Rot von seinem Konzept übrig ließ und warum er seine Idee nach wie vor gut findet.
SPIEGEL ONLINE: Die Hartz-Reform hat ihrem Erfinder wenig Ruhm beschert. Dem Steuerrechtler Paul Kirchhof hat sein radikales Reformmodell Schimpf und Schande eingetragen. Sind Sie froh, dass Ihr Name nicht mit dem Gesundheitsfonds in Verbindung gebracht wird?
Richter: Ich habe mich gefreut, dass die Politik meine Idee aufgegriffen hat - vor allem, weil ich sie nach wie vor für den besten Weg halte. Grundsätzlich glaube ich aber, dass die Fokussierung auf einen Namen der Sache nicht dient. Die genannten Beispiele zeigen das. Deshalb würde ich meinen Namen auch in Zukunft gerne aus der Diskussion heraushalten.
SPIEGEL ONLINE: Hätten Sie erwartet, dass die Politik Ihr Konzept so sehr fleddert?
Richter: Sie hat gar nicht so wenig von meinem Konzept übrig gelassen - auch wenn das im Moment in der Öffentlichkeit so dargestellt wird. Ich bin sogar überrascht über den Erfolg, weil diese Idee neu ist und nicht schon ausführlich in der Wissenschaft diskutiert wurde.
SPIEGEL ONLINE: Aber wichtige Elemente Ihres Konzepts blieben außen vor. Und der Fonds selbst kommt erst 2009.
Richter: Die Koalitionspartner haben einen abgewandelten Weg gewählt. Die Kernelemente sind aber umgesetzt. Der Zeitpunkt der Einführung ist eine politische Frage, die die Reform im Grundsatz nicht antastet.
SPIEGEL ONLINE: Was erkennen Sie denn von Ihren Plänen noch wieder?
Richter: In meinem ursprünglichen Vorschlag sollten die Krankenkassenbeiträge künftig in einen Fonds fließen, aus dem jeder Versicherungspflichtige einen bestimmten Festbetrag ausgezahlt bekommt - in bar oder als Wertgutschein. Dann sucht er sich eine Krankenkasse im freien Wettbewerb. Der Kompromiss der Großen Koalition jetzt sieht vor, dass das Geld direkt zu den Kassen fließt, die bei guter Kassenlage gegebenenfalls den Versicherten Geld erstatten. Kassen, die mit dem Betrag nicht auskommen, dürfen Zusatzprämien erheben. Die Regelung ist damit natürlich anders - aber rein ökonomisch besteht letztlich kein großer Unterschied.
SPIEGEL ONLINE: Kritiker bezeichnen das Fonds-Modell als Bürokratie-Monster.
Richter: Mich erschüttert ein wenig, dass der Fonds auch von einigen Kollegen aus der Wissenschaft so oder ähnlich diffamiert wird. In der Öffentlichkeit hat die Kritik allein schon wegen des spektakulären Begriffs ihre Wirkung entfaltet. Aber davon wird sie nicht richtiger. Wenn man es ein wenig zynisch sieht, könnte man schon den Aufschrei der Gewerkschaften als Gegenbeweis werten. Verdi hat kritisiert, der Fonds könne rund 25.000 Arbeitsplätze kosten. Das belegt doch, dass so viel zusätzliche Bürokratie nicht entstehen kann. Man kann den Fonds so gestalten, dass die Arbeitgeber weiter die Beiträge an die Krankenkassen überweisen. Diese buchen dann den Pauschalbetrag auf ihr Konto und reichen eventuell überschüssiges Geld weiter. Man kann auch mehr Bürokratie abbauen - indem man den Beitragseinzug den Finanzämtern überlässt.
SPIEGEL ONLINE: Die Koalitionäre haben die Zusatzprämie auf ein Prozent des Brutto-Haushaltseinkommens begrenzt. Das hebelt den von Ihnen angestrebten Wettbewerb der Kassen praktisch aus.
Richter: Ich bin kein Freund dieser Überforderungsklausel, denn sie behindert tatsächlich Wettbewerb. Aber sie dürfte dann kein großes Problem werden, wenn die Politik nur dafür sorgt, dass die Überforderungsklausel bei einer hinreichend großen Zahl von Kassen nicht greift. Für diesen Zweck muss immer genug Geld im Fonds sein.
SPIEGEL ONLINE: Abseits der Kritik: Welchen Vorteil bietet denn nun der Fonds?
Richter: Er beseitigt entscheidende Steuerungsdefizite in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese wurzeln darin, dass sich die Beiträge der Versicherten nach dem Lohn richten - die Leistungen dagegen nicht. Wer wenig verdient, zahlt geringe Beiträge und bekommt die Kassenleistungen preiswert. Also wird er grundsätzlich Leistungsausweitungen begrüßen. Wer ein hohes Einkommen hat, bezahlt dagegen mehr, als das Leistungspaket wert ist. Er müsste eher an Leistungseinschränkungen interessiert sein. Andererseits lehrt das Leben, dass man mit hohem Einkommen weniger genau auf den Pfennig schaut. Im Ergebnis verhalten sich die Kassen nur rational, wenn sie unterstellen, dass die Versicherten an Leistungseinschränkungen nicht wirklich interessiert sind. Mit Leistungseinschränkungen lässt sich im derzeitigen System kein Vorteil gegenüber der Konkurrenz erzielen.
SPIEGEL ONLINE: Und der Fonds löst dieses Problem?
Richter: Der Fonds wandelt die unterschiedlich hohen Beiträge der Versicherten quasi in Pauschalbeträge um. Dadurch stehen den Kassen plötzlich Kunden mit gleichgerichteten Interessen gegenüber. Wenn eine einzelne Kasse es beispielsweise durch organisatorische Maßnahmen schafft, zehn Euro pro Versichertem einzusparen, dann spart auch der Versicherte mit kleinem Beitrag volle zehn Euro. Denn die Kassen sollen ja zukünftig eingesparte Ausgaben als Einnahmeüberschüsse an ihre Mitglieder ausschütten dürfen. Durch diese Möglichkeit werden die Versicherten zukünftig öfters vor der Frage stehen: Wollen sie lieber alle Leistungen wie bisher - oder verzichten sie auf bestimmte, medizinisch nicht notwendige Extras und erhalten dafür bares Geld zurück? Der Gesundheitsfonds setzt also Anreize für die Kassen, nicht länger nur über eine Leistungsausweitung zu konkurrieren, sondern stärker als bisher zu überlegen, wie sich das medizinisch Notwendige kostensparend erbringen lässt. Und bei alledem bleibt das System der solidarischen Finanzierung unangetastet.
- Weiterführende Links
- www.wiso.uni-dortmund.de/of/de