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Montag, 17. Oktober 2016

Gesundheitsausschuss: Gesundheitsexperten verlangen Änderungen an Pflegegesetz

Von: Deutscher Bundestag / Pressemitteilung

Gesundheitsexperten verlangen Nachbesserungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG III). Die Sachverständigen warnten anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 17. Oktober in Berlin vor allem vor drohenden Verschlechterungen für Behinderte. So würden pflegebedürftige Behinderte durch die geplante Leistungskonkurrenz von Pflege und Eingliederungshilfe deutlich schlechter gestellt.

Kritisiert wird, auch in den schriftlichen Stellungnahmen, zudem, dass mit der Schwerpunktsetzung auf die Kommunen gut funktionierende Strukturen ohne Not ausgehebelt werden könnten. Außerdem seien die Kommunen als Träger der Sozialhilfe mit den sich abzeichnenden deutlich höheren Kosten überfordert.

Mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz (18/9518) soll die Beratung von Pflegebedürftigen und Angehörigen in den Kommunen verbessert werden. Die Novelle basiert auf den Empfehlungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und soll Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen eine Beratung aus einer Hand ermöglichen.

Mit dem PSG III soll nun die kommunale Steuerungs- und Planungskompetenz für die regionale Pflegestruktur gestärkt werden. Konkret sollen die Kommunen für fünf Jahre das Recht bekommen, aus eigener Initiative Pflegestützpunkte einzurichten. Ferner sollen sie Gutscheine der Versicherten für eine Pflegeberatung einlösen können.

Darüber hinaus sollen in bis zu 60 Kreisen oder kreisfreien Städten für die Dauer von fünf Jahren als Modellprojekte Beratungsstellen eingerichtet werden. Den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen soll auf diese Weise eine umfassende Beratung über mögliche Hilfen gewährt werden, so etwa über Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe oder Altenhilfe. Das Gesetz schafft zudem für Kommunen die Möglichkeit, sich am Auf- und Ausbau der Angebote zur Unterstützung im Pflegealltag auch in Form von Personal- oder Sachmitteln zu beteiligen.

Dem Entwurf zufolge soll auch im Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII/Sozialhilfe) der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden, um sicherzustellen, dass finanziell Bedürftige im Pflegefall angemessen versorgt werden. Zudem sollen Abgrenzungsfragen zwischen Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung beziehungsweise Hilfe zur Pflege geregelt werden. Nach der Aufdeckung von Betrugsfällen bei Pflegediensten soll künftig außerdem insbesondere die häusliche Krankenpflege stärker kontrolliert werden. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erhält dazu ein systematisches Prüfrecht.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) erklärte, es dürfe keinen Vorrang von Pflegeleistungen gegenüber der Eingliederungshilfe für Behinderte geben. Vielmehr müssten die Leistungen wie bisher nebeneinander gewährt werden. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass Behinderten mit Verweis auf die vorrangigen Pflegeleistungen nötige Teilhabeleistungen vorenthalten würden.

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe wies darauf hin, dass sich Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung grundlegend unterschieden. So diene die Eingliederungshilfe dazu, eine Behinderung abzuwenden oder deren Folgen zu mildern. Leistungen der Eingliederungshilfe könnten daher nicht nachrangig sein. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) argumentierte ähnlich und forderte ebenfalls, die Leistungen gleichrangig beizubehalten.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) verlangte, behinderten, pflegebedürftigen Menschen müssten unabhängig davon, wo und wie sie leben, die Pflegeleistungen in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Eine Beschränkung der von den Pflegekassen zu übernehmenden Aufwendungen in der vorgesehenen Höhe von maximal 266 Euro im Monat sei abzulehnen.

Ähnlich argumentierten der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag, die in ihrer gemeinsamen Stellungnahme von einer ausgeweiteten Diskriminierung Behinderter in Einrichtungen der Behindertenhilfe sprachen. Dies sei weder mit dem Grundgesetz, noch mit der UN-Behindertenrechtskonvention in Einklang zu bringen. Pflegebedürftige Behinderte dürften nicht von Pflegeleistungen ausgeschlossen werden, nur weil sie in einem speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Umfeld lebten.

Auch der Gesundheitsökonom Stefan Greß von der Hochschule Fulda erklärte, die Schnittstellenproblematik sei nicht gelöst. So sei im Entwurf vorgesehen, dass die Pflegekassen künftig 15 Prozent der jeweils vereinbarten Vergütung, maximal 266 Euro, übernähmen. Die Differenz ginge zu Lasten der Träger der Eingliederungshilfe.

Greß forderte eine "sachgerechte Finanzierung dieses Ausgabenpostens durch die Pflegeversicherung". Allerdings kämen bei voller Leistung auf die Pflegeversicherung Mehrausgaben von bis zu 1,2 Milliarden Euro zu, sagte Greß in der Anhörung. Der Sachverständige Heinz Rothgang bestätigte in der Expertenrunde diese Zahl.

Die kommunalen Spitzenverbände befürchten durch die drei neuen Pflegegesetze eine erhebliche Kostenbelastung, die bisher stark unterschätzt werde. Die Annahmen des Bundes hierzu seien nicht überzeugend, es würden deutlich höhere Mehrausgaben in der Sozialhilfe erwartet. Die Rolle der Kommunen für die Pflege werde auch nur unzureichend gestärkt, hier bleibe der Entwurf weiter hinter den Erwartungen zurück.

Die Vorschläge für eine modellhafte Beratung durch die Kommunen seien zudem überbürokratisiert. Es sei auch nicht akzeptabel, dass ein Gesetz mit so erheblichen finanziellen und administrativen Auswirkungen auf die Kommunen ohne ausreichende Vorbereitungszeit beschlossen werden solle.

Auch Greß warnte, durch die kurzfristige Umsetzung des Gesetzes sei mit erheblichen Problemen bei den Sozialhilfeträgern (Kommunen) zu rechnen. Die finanziellen Folgen seien "nicht überzeugend kalkuliert".

Die Ausweitung der kommunalen Steuerungs- und Planungskompetenz in der Pflege wird vom GKV-Spitzenverband abgelehnt. Die Länder, Kommunen, Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen hätten schon jetzt darauf hinzuwirken, eine leistungsfähige, ortsnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung zu gewährleisten.

Es mangele jedoch häufig auf kommunaler Ebene an der konsequenten Umsetzung der Regelungsverantwortung, auch aufgrund fehlender Finanzförderung der Länder. Statt Kompetenzen zu verlagern, sollte das gemeinsame Handeln im Vordergrund stehen. Der Aufbau von Doppelstrukturen und Insellösungen binde unnötig Ressourcen und schaffe Bruchstellen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband erklärte, die drei Pflegestärkungsgesetze hätten hinsichtlich der nachhaltigen Dynamisierung der Pflegeleistungen keine Fortschritte gebracht. So stiegen die Kosten für Pflege ständig mit der Folge, dass Verbraucher immer mehr aus eigener Tasche bezahlen müssten.

Nötig sei eine automatisierte Angleichung der Pflegeleistungen an die tatsächliche Kostenentwicklung. Hinzu komme eine unzureichende Rechtsberatung. Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen benötigten nicht nur eine grundlegende Angebots- und Leistungsberatung, sondern auch eine unabhängige, hochwerte und flächendeckende Pflegerechtsberatung.

Ein Sprecher der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL), der selbst auf professionelle Unterstützung angewiesen ist, schilderte in der Anhörung die Nöte von pflegebedürftigen Behinderten. So sei die regelmäßige Anwesenheit von Pflegeassistenten für nicht planbare Notfälle unerlässlich. Ohne diese Hilfe wären manche Betroffenen schnell in Lebensgefahr.

Viele wichtige Hilfen fänden in den Leistungskatalogen gar nicht statt, sagte der Sprecher und fügte hinzu: "Es gibt keinen Katalog, der das wirkliche Leben mit seinen Bedarfen abbildet." Das vorrangige Ziel der Gesetzgebung müsse darin bestehen, große Versorgungslücken zu verhindern.

In der Anhörung wurden Anträge der Oppositionsfraktionen Die Linke (18/8725) und Bündnis 90/Die Grünen (18/9668) zur Pflegeversorgung mitberaten.

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