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Freitag, 05. April 2019

Entwurf zum GKV-FKG (Faire-Kassenwahl-Gesetz) vorgelegt

Von: Deutscher Bundestag

Das Bundesminisetrium für Gesundheit hat den „Entwurf eines Gesetzes für eine faire Kassenwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung (Faire-Kassenwahl-Gesetz – GKV-FKG)“ in den Bundestag eingebracht. Der so genannte Referentenentwurf hat bereits kritische Reaktionen seitens der Kostenträger ausgelöst.

Zur Ausgangslage im Sinne einer Darstellung von „Problem und Ziel“ heisst es:

Mit der Umsetzung der Lahnsteiner Beschlüsse durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 wurde die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) grundlegend modernisiert. Durch einen solidarischen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ist die Gesundheitsversorgung seitdem auf einen Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Zugleich wurde die freie Wahl der Krankenkasse für die Mitglieder der GKV ermöglicht. Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen war dabei die Einführung eines Risikostrukturausgleichs (RSA), der die unterschiedlichen Risikostrukturen zwischen den Krankenkassen ausgleichen und einen auf Risikoselektion ausgerichteten Wettbewerb zulasten der Versicherten vermeiden sollte. Mit der Einführung der direkten Morbiditätsorientierung des RSA zum 1. Januar 2009 wurden die Zielgenauigkeit des RSA erhöht und Wettbewerbsverzerrungen reduziert.

Parallel dazu wurden mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 und dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV von 2009 die historisch gewachsenen Organisationsformen der Krankenkassen und ihrer Verbände an die neuen wettbewerblichen Rahmenbedingungen angepasst. Mit der Ermöglichung kassenarten-übergreifender Fusionen, der Gründung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) sowie der Schaffung einheitlicher Regelungen zur Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen wurde der abnehmenden Bedeutung von Kassenarten und den Anforderungen an einen fairen Wettbewerbsrahmen auch im Organisationsrecht der Kran-kenkassen Rechnung getragen.

Ungeachtet dieser wichtigen Schritte bestehen jedoch weiterhin Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen. So sind einige Versichertengruppen (wie multimorbide, ältere Versicherte sowie Versicherte ohne diagnostizierte Krankheiten) überdeckt (d.h. die Zuweisungen für diese Versicherten übersteigen die Ausgaben) und andere Gruppen (wie unter anderem Versicherte mit hohen Leistungsausgaben) unterdeckt (Ausgaben übersteigen die Zuweisungen). Finden sich in der Versichertenstruktur einer Krankenkasse überdurchschnittlich viele Versicherte aus einer dieser Gruppen, kann dies zu Wettbewerbsver-zerrungen führen. Durch regional unterschiedliche Ausgabenstrukturen entstehen ebenfalls erhebliche Über- bzw. Unterdeckungen, die in einem bundesweit einheitlichen Finanzie-rungssystem zu Ungleichgewichten zwischen regional begrenzten und bundesweit geöff-neten Krankenkassen führen können. Darüber hinaus können Maßnahmen zur Kodierbe-einflussung die Zuweisungen an die Krankenkassen beeinflussen und im Ergebnis zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen ergeben sich auch durch das bestehende Organisationsrecht der Krankenkassen. So kann die regionale Begrenzung von Krankenkassen zu Vorteilen im Wettbewerb führen, da Versicherten aus Regionen mit überdurchschnittlichen Ausgabenstrukturen der Beitritt zu diesen günstigeren Krankenkassen ver-wehrt wird. Diese finanziellen Vorteile regional begrenzter Krankenkassen können regionale Marktkonzentration fördern, die wiederum den Wettbewerb weiter schwächt. Zudem kann sich unterschiedliches Aufsichtshandeln der Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Vertrags- und Versorgungsmanagement der Krankenkassen auswirken. So kann unterschiedliches Aufsichtshandeln im Bereich der Haushalts- und Finanzaufsicht Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben.

Darüber hinaus führt die regionale Begrenzung von Krankenkassen zu einer erheblichen Einschränkung der Wahlfreiheit der Versicherten. Beispielsweise stehen unter den zehn größten Krankenkassen derzeit lediglich vier Krankenkassen bundesweit zum Beitritt offen. Der Zugang zu den übrigen sechs größten Krankenkassen ist den Versicherten aufgrund deren regionaler Begrenzung nur eingeschränkt möglich. Wettbewerb findet daher nur in begrenztem Umfang statt. Die geringe Wettbewerbsintensität trägt auch dazu bei, dass viele Krankenkassen höhere Zusatzbeiträge erheben als sie zur Deckung ihrer Ausgaben benötigen. Die überhöhten Zusatzbeiträge und der daraus resultierende Aufbau von über-mäßigen Finanzreserven bei vielen Krankenkassen in den letzten Jahren ist demzufolge auch das Ergebnis eines eingeschränkten Wettbewerbs, der sich aus begrenzten Wahlfrei-heiten der Versicherten ergibt.

Auch die Strukturen des GKV-Spitzenverbandes bedürfen der Weiterentwicklung, um eine engere und transparentere Anbindung an das operative Geschäft der Krankenkassen zu unterstützen. Zudem sind Regelungen notwendig, um eine angemessene Repräsentanz von Frauen bei der Zusammensetzung der Entscheidungsgremien des GKV-Spitzenver-bandes auf Dauer sicherzustellen.

Darauf biete der Gesetzentwurf die „Lösung“:


Um die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen dauerhaft zu beseitigen und die Wahlfreiheiten der Versicherten zu stärken, ist es notwendig, den mit dem Gesundheitsstrukturgesetz und dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen und die wettbewerblichen Rahmenbedingungen im RSA sowie im Organisations-recht zu modernisieren und an die Erfordernisse einer solidarischen und fairen Wettbewerbsordnung anzupassen.

Der RSA ist als „lernendes System“ ausgestaltet, um die Verstetigung möglicher Fehlanreize, die in einem Ausgleichssystem auftreten können, zu vermeiden. Unter Berücksichti-gung des Sondergutachtens zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostruktur-ausgleichs (November 2017) und des Gutachtens zu den regionalen Verteilungswirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Juni 2018), die der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des RSA beim Bundesversicherungsamt (BVA) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vorgelegt hat, wird der RSA mit dem Ziel gleicher Wettbewerbsbedingungen und der Stärkung der Manipulationsresistenz sowie der Präventionsorientierung weiterentwickelt. Dabei stehen systematische Verbesserungen des RSA im Fokus, die insbesondere die Reduzierung struktureller Fehldeckungen auf der Ebene von einzelnen Versichertengruppen und im Hinblick auf die regionale Verteilung der Versicherten ermöglichen. Zugleich werden dadurch Risikoselektionsanreize verringert. Dazu werden unter anderem folgende Änderungen in der RSA-Systematik umgesetzt:

• Einführung einer Regionalkomponente
• Einführung eines Krankheits-Vollmodells
• Einführung eines Risikopools
• Versichertenindividuelle Berücksichtigung von Arzneimittelrabatten im RSA
• Streichung des Kriteriums der Erwerbsminderung
• Streichung der DMP-Programmkostenpauschale

Zur Stärkung der Manipulationsresistenz wird eine Manipulationsbremse im RSA-Jahresabschluss eingeführt, nach der hierarchisierte Morbiditätsgruppen von den Zuweisungen ausgeschlossen werden, wenn ihre Steigerungsrate statistisch auffällig ist.

Entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats in seinem Gutachten von 2017 wird das bisherige Verbot der Diagnosevergütung neu formuliert, um Umgehungsstra-tegien zu eliminieren. Zusätzlich werden mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) bereits verschiedene vom Wissenschaftlichen Beirat empfohlene Maßnahmen umgesetzt, die die Manipulationsresistenz des RSA stärken. Dazu gehören

• die Einführung von verbindlichen Regelungen zur Vergabe und Übermittlung der Diagnosen- und Prozedurenschlüssel im ambulanten Bereich zur Sicherstellung von Qualität und Einheitlichkeit der Diagnosekodierung, um der Beeinflussung des ärztlichen Kodierverhaltens durch die Krankenkassen entgegenzuwirken und

• die Zertifizierung sämtlicher Praxisverwaltungssoftware durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), um krankenkassenindividuelle Module zur Beeinflussung des Kodierverhaltens zu verhindern.Die Prüfung nach § 273 SGB V zur Sicherung der Datengrundlage für den RSA wird vereinfacht und in Bezug auf die Kompetenzen des BVA verstärkt. Unter anderem erhält das BVA als RSA-Durchführungsbehörde ein eigenständiges anlassbezogenes Prüfrecht für Selektivverträge im Hinblick auf RSA-relevante Verstöße. Die Beweislast für rechtswidriges Verhalten wird umgekehrt.

Die Präventionsorientierung des RSA wird gestärkt, indem eine Vorsorge-Pauschale in den RSA eingeführt wird. Damit wird der Anreiz für die Krankenkassen gestärkt, die Inanspruch-nahme von Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen ihrer Versicherten zu fördern.

Durch die bundesweite Öffnung bislang regional begrenzter Krankenkassen wird der mit dem Gesundheitsstrukturgesetz begonnene Reformprozess konsequent weitergeführt und die vollständige Wahlfreiheit für alle Mitglieder der GKV hergestellt. Zukünftig können die Versicherten unter allen gesetzlichen Krankenkassen frei wählen. Der Zugang zu einer günstigen regionalen Krankenkasse kann Versicherten aus Regionen mit überdurchschnittlichen Ausgaben zukünftig nicht mehr verwehrt werden. Dadurch werden zugleich Wettbe-werbsverzerrungen verringert, die durch bundesweit einheitliche Zuweisungen bei regional unterschiedlichen Ausgabenstrukturen entstehen. Aus der Öffnung der Krankenkassen ergibt sich zudem eine bundesweit einheitliche Aufsicht, wodurch Wettbewerbsverzerrungen aufgrund unterschiedlichen Aufsichtshandelns beseitigt werden. Weiterhin werden die Verwerfungen im Wettbewerb beseitigt, die durch die historisch entstandenen Haftungsregelungen verursacht werden. Dazu wird die vorrangige Haftungsverpflichtung der Krankenkassen derselben Kassenart abgeschafft und eine Kostentragung aller Krankenkassen auf Grundlage eines fairen Verteilungsschlüssels eingeführt. Zugleich werden die Regelungen für die Bildung, Fusion und Schließung von Krankenkassen soweit wie möglich vereinheitlicht. Darüber hinaus werden die Rechtsschutzmöglichkeiten der Krankenkassen unterei-nander bei wettbewerbswidrigem Verhalten ausgeweitet und die Verhaltensregeln zum Bei-spiel für Werbemaßnahmen klarer definiert.

Mit der Weiterentwicklung der wettbewerblichen Rahmenbedingungen werden auch die Strukturen des GKV-Spitzenverbandes an aktuelle Erfordernisse angepasst. Um eine Professionalisierung des Verwaltungsrats zu erreichen und die organisatorische Verbindung von operativem Geschäft auf der Ebene der Mitgliedskassen und Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben des GKV-Spitzenverbandes zu stärken, wird der Verwaltungsrat künftig nicht mehr aus ehrenamtlichen Vertretern der Verwaltungsräte der Krankenkassen son-dern aus Vorstandsmitgliedern der Mitgliedskassen gebildet. Darüber hinaus werden Regelungen geschaffen, mit denen eine angemessene Repräsentanz von Frauen im Vorstand und im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes unterstützt wird.

Die Regelungen zum Organisationsrecht und zum RSA sind einer Rechtsbereinigung un-terzogen worden, da hier zum Teil veraltete Regelungen enthalten waren. Aufgrund des aufgestauten Rechtsbereinigungsbedarfs ist diese umfangreich und hat Neustrukturierun-gen notwendig gemacht.

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