Nachtaufnahme der Bayer-Werke in Ürdingen (Foto: Müller)

Dienstag, 09. Mai 2006

Die Bonus-Malus-Vereinbarung ist nicht Bestandteil des AVWG

Von: Prof. Dr. Christian Dierks / Ärztezeitung

In der Ärzte Zeitung erklärt Prof. Dr. Christian Dierks rechtliche Bedenken zur Bonus-Malus-Regelung: Zum 1. Mai ist es in Kraft getreten: Das Arzneimittel- Versorgungs- Wirtschaftlichkeits- Gesetz, kurz AVWG. Viele Ärzte glauben, daß aufgrund der Bonus-Malus-Regelung dieses Gesetzes die Haftung für Verordnungen nun verschärft wird, Preisgrenzen für Tagestherapiekosten beachtet werden müssen oder Originalpräparate für das Kassenrezept tabu sind. In etlichen Wartezimmern liegen schon Faltblätter aus, die um Verständnis dafür werben, daß bekannte und bewährte Medikamente nicht mehr verordnet werden dürfen.

Doch nichts von alledem ist richtig. Das AVWG greift an vielen Stellen in den Arzneimittelmarkt ein. Die umstrittene Bonus-Malus-Regelung ist aber gerade nicht Bestandteil dieses Gesetzes, sondern es gibt noch gar keine solche Regelung.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Spitzenverbände der Krankenkassen haben vielmehr durch das Gesetz einen Auftrag erhalten, bis zum 30. September eine Bonus-Malus-Regelung zu vereinbaren (Paragraph 84 SGB V). Sie wird Anfang 2007 für Arztpraxen wirksam. Kassen und KBV sollen vereinbaren:

  • Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit ...
  • ... für Arzneimittel verordnungsstarker Anwendungsgebiete, zum Beispiel Betablocker ...
  • ... unter Berücksichtigung unterschiedlicher Anwendungsgebiete - bei Betablockern etwa Hypertonie und KHK.

Ein Beispiel: Für Betablocker könnten 43 Cent als Grenze für die Dosiereinheit 150 mg vereinbart werden. Liegen in einer Praxis die Durchschnittskosten der Betablocker-Verordnungen pro Quartal darüber, wird der Überschreitungsbetrag in Regreß genommen, und zwar:

  • Bei einer Überschreitung zwischen zehn und 20 Prozent sind 20 Prozent der Mehrkosten zu zahlen.
  • Bei Überschreitungen zwischen 20 und 30 Prozent sind es 30 Prozent der Mehrkosten.
  • Eine darüber hinausgehende Überschreitung wird zur Hälfte in Regreß genommen.

Für das Verfahren zum Eintreiben des Regresses werden die Grundsätze der Prüfvereinbarungen wie im Richtgrößenprüfverfahren gelten. Liegen die Durchschnittskosten in der Summe der Verordnungen aller Ärzte unter der vereinbarten Grenze, zahlen die Kassen einen Bonus an die KV, der unter den Vertragsärzten zu verteilen ist, die gemäß der Regelung wirtschaftlich verordnet haben.

Und auch eine gute Nachricht steckt im AVWG: Arzneimittel, die Bestandteil der Bonus-Malus-Vereinbarung sind, werden aus dem Richtgrößenvolumen herausgerechnet.

Falls etwa Betablokker in Bonus-Malus aufgenommen werden, läuft ein Praxisinhaber nicht mehr Gefahr, durch Verordnung von Betablockern Richtgrößen zu überschreiten. Und weil die Bonus-Malus-Vereinbarung nur Verordnungskosten im Einzelfall betrachtet, gehen Mengenausweitungen, zum Beispiel durch mehr Patienten mit der entsprechenden Erkrankung, zu Lasten der Kassen. Nicht die Zahl der Verordnungen ist relevant, entscheidend sind die Durchschnittskosten der Dosiereinheit.

In der Bonus-Malus-Vereinbarung zwischen KBV und Krankenkassen, die Anfang 2007 wirksam wird, werden für Niedergelassene folgende Punkte zu beachten sein:

  1. Die Bonus-Malus-Vereinbarung wird die Durchschnittskosten definierter Dosiereinheiten pro Quartal analysieren. Teure Verordnungen bei einem Patienten können daher mit preiswerteren Verordnungen bei anderen kompensiert werden.
  2. Zwischen Originalpräparaten und Generika wird nicht unterschieden. Beide Medikamentenformen sind weiterhin auf Kassenrezept erstattungsfähig.
  3. Bis Anfang 2007 muß sich kein Arzt an eine solche Regelung halten.
  4. Es gibt gravierende rechtliche Bedenken gegen Bonus-Malus

Von Bonus-Malus sind regionale Arzneimittel-Zielvereinbarungen mit Malus-Regelungen zu unterscheiden, die es schon in einigen KV-Bezirken gibt (etwa in Hamburg und Nordrhein). Diese Vereinbarungen können die Bonus-Malus-Regelung auf Bundesebene ersetzen, wenn sie die gleichen Effekte erzielen. Dies bleibt abzuwarten. Folgende rechtliche Bedenken werden einer Bonus-Malus-Regelung entgegenstehen:

  • Sie kann keine Begründung sein, einem Patienten eine Therapie entsprechend dem Stand der medizinischen Erkenntnis vorzuenthalten.
  • Die fehlende Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten ist möglicherweise rechtswidrig. Ärzte sollten daher teure Verordnungen auf jeden Fall gut dokumentieren, um dafür gerüstet zu sein, falls Besonderheiten später doch anerkannt werden.
  • Zu beanstanden sein wird auch, daß die Prüfung auf Basis der (vorläufigen) Schnellinformation über die Verordnungen und nicht auf Grundlage der endgültigen Daten erfolgt.

Sollte man nun schon im Jahr 2006 das Verordnungsspektrum einschränken? Selbstverständlich nicht! Denn dies würde die Festsetzung der Kosten für Dosiereinheiten im Jahr 2007 negativ beeinflussen. Eine Abwärtsspirale würde ohne Not in Gang gesetzt. Es will wohl überlegt sein, ob sich die Vertragsärzte eines der wichtigsten therapeutischen Instrumente, die Pharmakotherapie, freiwillig aus der Hand nehmen lassen und dramatische Einschränkungen der therapeutischen Freiheit akzeptieren.

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