Die Bundesregierung hält Schadensschätzungen infolge falscher Krankenhausrechnungen für problematisch. Die Regierung erläutert, nach verschiedenen Quellen könne von einer jährlichen Prüfquote durch MDK von zehn bis zwölf Prozent der stationären Behandlungsfälle ausgegangen werden. Nach Auskunft des GKV-Spitzenverbandes habe sich der Anteil der als falsch festgestellten Krankenhausabrechnungen an den geprüften Abrechnungen in den vergangenen Jahren wie folgt entwickelt: 34,8 Prozent im Jahr 2006, 35,4 Prozent im Jahr 2007, 39,2 Prozent im Jahr 2008 und 42,6 Prozent im Jahr 2009. Für das Jahr 2010 liege mit einer Falschabrechnungsquote von 44,2 Prozent nur ein vorläufiger Wert vor. (Foto: AOK)

Montag, 06. Juni 2011

Bundesrechnungshof: "Falsche Krankenhausrechnungen belasten die GKV mit 875 Mio. EUR"

Von: Bundesrechnungshof / Wirtschaftlichkeitsbericht 2010

Die Gesetzlichen Krankenkassen zahlen jährlich an die Krankenhäuser über 50 Mrd. Euro für Krankenhausleistungen. Die Abrechnungen der Krankenhausleistungen sind häufig fehlerhaft. Der Bundesrechnungshof schätzt die von den Krankenhäusern an die Krankenkassen wegen fehlerhafter Abrechnungen zu erstattenden Beträge auf 875 Mio. Euro. Einfachere Abrechnungen, Anreize für ein korrektes Abrechnungsverhalten und effektive Prüfverfahren könnten Fehler vermeiden und bürokratischen Aufwand verringern.

Abrechnung mit Fallpauschalen

Die Leistungen rechnen die Krankenhäuser auf der Grundlage der diagnosebezogenen Fallpauschalen ab, den sogenannten Diagnosis Related Groups (DRGs). Dieses Abrechnungssystem wurde im Jahr 2003 mit rund 660 DRGs eingeführt; bis zum Jahr 2009 hat sich ihre Zahl auf 1 200 DRGs erhöht. Eine DRG bestimmt sich nach den Haupt- und Nebendiagnosen (Befunde über Erkrankungen) sowie den notwendigen Prozeduren (Operationen und Untersuchungen) und berücksichtigt den medizinischen Schweregrad der Behandlung. Für eine DRG sind verschiedene Regelwerke zu beachten wie Kodierrichtlinien, Abrechnungsregeln, Fallpauschalenkatalog, Zusatzentgeltekatalog, ein Katalog mit 13.275 Diagnosen und ein weiterer mit 25.500 Prozeduren.

Um eine DRG zu bestimmen, müssen die Diagnosen und Prozeduren genau angegeben werden. Werden diese nur geringfügig verändert oder Haupt- und Nebendiagnosen vertauscht, kann sich eine andere DRG und damit auch ein anderer Abrechnungsbetrag ergeben. Die Krankenhäuser können solche Veränderungen in IT-Programmen simulieren und damit ihre Abrechnung optimieren. Für jede DRG gibt es eine festgelegte Fallpauschale, mit der die Behandlung der Versicherten im Krankenhaus abgerechnet wird. Die DRG richtet sich u. a. daran aus, wie lange eine Behandlung durchschnittlich dauert. Für jede DRG ist ein Zeitkorridor festgelegt, wie lange eine Krankenhausbehandlung im Normalfall mindestens und längstens dauern soll (Regelverweildauer). Ist der Krankenhausaufenthalt tatsächlich länger oder kürzer als die Regelverweildauer, erhält das Krankenhaus Zu- bzw. Abschläge auf die Fallpauschale. Die Krankenhäuser haben aufgrund der pauschalen Abrechnung ein wirtschaftliches Interesse, die Patientinnen und Patienten möglichst am unteren Ende der Regelverweildauer aus dem Krankenhaus zu entlassen.

Ist der Krankenhausaufenthalt kürzer als die Regelverweildauer und dauert er nur ein oder zwei Tage, kommt es vielfach zu Meinungsverschiedenheiten, weil die Krankenkassen bezweifeln, ob überhaupt eine stationäre Behandlung notwendig war oder ob eine ambulante – günstigere – Behandlung genügt hätte.

Prüfung der Abrechnungen

Die Krankenkassen sind verpflichtet, die Krankenhausabrechnungen zu prüfen. Zur Auswahl stehen die Einzelfallund die Stichprobenprüfung. Bei der Einzelfallprüfung lässt die zur Zahlung verpflichtete Krankenkasse die Abrechnung für einen Patienten prüfen, wenn sie diese für unplausibel hält. Hingegen wird bei der Stichprobenprüfung verdachtsunabhängig aus allen Abrechnungen eines Krankenhauses eine Stichprobe gezogen. Bei der Stichprobenprüfung sind alle Krankenkassen, die mit dem Krankenhaus abrechnen, gemeinsam Auftraggeber. In beiden Fällen beauftragen die Krankenkassen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) mit der Prüfung. Der Medizinische Dienst ist der Beratungs- und Begutachtungsdienst der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Führt die Einzelfallprüfung zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages, muss das Krankenhaus die Differenz erstatten. Führt sie dagegen nicht zu einer Minderung, hat die Krankenkasse an das Krankenhaus eine Aufwandspauschale von 300 Euro zu zahlen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung die Anzahl der Einzelfallprüfungen beschränken und die Krankenkassen veranlassen, eher in Stichproben zu prüfen.

Der Bundesrechnungshof prüfte bei mehreren Krankenkassen, wie und mit welchem Ergebnis sie Krankenhausrechnungen kontrollieren. Nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofes enthielten bei den Einzelfallprüfungen 30 % der von den Krankenkassen geprüften Krankenhausabrechnungen Fehler und wurden zugunsten der Krankenkassen korrigiert.

Die geprüften Krankenkassen erhielten im Jahr 2007 aufgrund von Rechnungskorrekturen nach Einzelfallprüfungen 1,75 % ihrer gesamten Krankenhausausgaben zurück, zusammen 234 Mio. Euro. Überträgt man dies auf die Gesamtausgaben aller Krankenkassen für Krankenhausleistungen im Jahr 2007 von über 50 Mrd. Euro, ergibt sich ein rechnerischer Rückzahlungsbetrag von 875 Mio. Euro. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) schätzte für das Jahr 2010, dass die Krankenhäuser den Krankenkassen bei einem gesamten Abrechnungsvolumen von 58,5 Mrd. Euro etwa 1,5 Mrd. Euro zu viel in Rechnung stellten.

Nur in 14 von 2.087 Krankenhäusern prüften die Krankenkassen im Jahr 2009 in Stichproben. Ein Grund für die geringe Zahl der Stichprobenprüfungen ist, dass in der Regel nur regionale Krankenkassen mit einer hohen Belegungsquote in einem Krankenhaus ein Interesse an diesem Prüfungstyp haben, kleine oder bundesweit agierende Krankenkassen mit wenigen Belegungen in diesem Krankenhaus hingegen kaum. Die Krankenkassen erhalten nämlich je nach Ergebnis der Stichprobenprüfung eine pauschalierte Rückerstattung entsprechend dem Anteil der sie betreffenden Abrechnungen. Hiervon profitieren die regionalen Krankenkassen mit ihrem hohen Belegungsanteil in besonderem Maße. Über dieses Ausgleichsverfahren müssen sich alle Krankenkassen mit Belegungsfällen verständigen. Da die in der Stichprobe festgestellten Fehler nicht auf alle Abrechnungen des Krankenhauses hochgerechnet werden dürfen, sind die Erstattungen an Krankenkassen mit wenigen Belegungen gering.

Überhöhte Forderungen von rund 875 Mio. EUR

Der Bundesrechnungshof hat gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium kritisiert, dass viele Krankenhausabrechnungen fehlerhaft sind und zu überhöhten Forderungen an die Krankenkassen von schätzungsweise 875 Mio. Euro führen.

Durch stetige Ausdifferenzierung ist das DRG-Abrechnungssystem inzwischen sehr komplex. Damit wird es zunehmend schwieriger, die zutreffende DRG zu bestimmen.

Der Bundesrechnungshof hat deshalb das Bundesgesundheitsministerium aufgefordert zu prüfen, ob und wie das Abrechnungssystem so vereinfacht werden kann, dass Fehler bei der DRG-Ermittlung weitgehend vermieden werden. Auch bei den naturgemäß unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen von Krankenkassen auf der einen und Krankenhäusern auf der anderen Seite sollte das Bundesgesundheitsministerium die Auswirkungen dieses Interessenkonfliktes abmildern und die Kontroversen über die Abrechnungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern entschärfen. Es sollte alle Möglichkeiten nutzen, um die Zahl der Streitfälle über die Notwendigkeit einer stationären Behandlung und über die Angemessenheit der Verweildauer zu reduzieren. Dies würde auch den Prüfaufwand bei den Krankenkassen, Krankenhäusern und dem Medizinischen Dienst verringern.

Aus Sicht des Bundesrechnungshofes fehlen insbesondere Anreize für Krankenhäuser, korrekt abzurechnen. Derzeit muss das fehlerhaft abrechnende Krankenhaus keine Sanktionen befürchten, sondern lediglich den überzahlten Betrag der Krankenkasse erstatten. Das Bundesgesundheitsministerium sollte deshalb prüfen, ob nicht auch für Krankenhäuser zusätzlich zur Rückzahlung eine weitere pauschale Zahlung eingeführt werden soll, wenn sich der Abrechnungsbetrag nach der Prüfung verringert.

Im Jahr 2007 prüften die Krankenkassen bundesweit nur 14 Mal im Stichprobenverfahren. Dies zeigt, dass sich das Verfahren in der Praxis bisher nicht durchgesetzt hat. Es ist im Vergleich zur Einzelfallprüfung gegenwärtig für die Krankenkassen nicht vorteilhaft. Da die Fehler nicht auf alle Abrechnungen des Krankenhauses hochgerechnet werden können, werden nur Fälle erstattet, die in die Stichprobe fallen. Die Stichprobenprüfung setzt weiterhin eine aufwendige Abstimmung der Krankenkassen untereinander untereinander voraus. Das Bundesgesundheitsministerium sollte deshalb das geltende Verfahren für Stichprobenprüfungen vereinfachen und es ermöglichen, die Ergebnisse hochzurechnen.

Vereinfachtes Abrechnungssystem gefordert

Das Bundesgesundheitsministerium hat die Grundlage des hochgerechneten Betrages von 875 Mio. Euro in Frage gestellt, die hohen Fehlerquoten unter Verweis auf eine Veröffentlichung des Medizinischen Dienstes aber bestätigt. Diese seien allerdings sehr unterschiedlich und lägen bei den einzelnen Krankenhäusern zwischen 10 und 65 % der geprüften Rechnungen.

Die Komplexität des DRG-Systems sei nicht der Kern des Problems, da an einer patientenindividuellen Verschlüsselung unabhängig vom DRG-System kein Weg vorbeiführe. Ein geringerer Differenzierungsgrad der DRGs würde die gesetzlich vorgeschriebene leistungsorientierte Vergütung gefährden. Größere Bedeutung als die DRGs hätten weitere Abrechnungsbestandteile, wie die Kodierrichtlinien und die Abrechnungsregelungen.

Der Medizinische Dienst prüfe vor allem, ob die Verweildauer der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus angemessen und ob eine stationäre Behandlung überhaupt notwendig sei. Hier würden die Interessengegensätze von Krankenkassen und Krankenhäusern sichtbar. Kein Prüfungsschwerpunkt sei dagegen die richtige DRG-Ermittlung, zumal die Komplexität des Systems Auslegungsunterschiede zulasse.

Der Gesetzgeber habe den GKV-Spitzenverband, den Verband der privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft beauftragt, das DRG-System weiterzuentwickeln. Diese könnten bereits heute Vereinfachungen vereinbaren. Sie hätten das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus beauftragt, Anfragen im Zusammenhang mit dem DRG-System zu beantworten, um Konflikte bereits vor der Rechnungsstellung zu vermeiden.

Die Einführung einer Aufwandspauschale für die Krankenhäuser bei fehlerhaften Abrechnungen hält das Bundesgesundheitsministerium nicht für sinnvoll, weil es sich dabei um eine pauschalierte Strafzahlung handeln würde. Da die Krankenhäuser keinen Einfluss auf den Umfang des Prüfgeschehens und den damit verbundenen Aufwand hätten, sähe das Gesetz für sie eine Pauschale nicht vor.

Die Stichprobenprüfung sei ein sinnvolles Instrument. Zusammen mit der Einzelfallprüfung könne die Stichprobenprüfung dazu beitragen, dass die Krankenhausabrechnungen korrekter und damit besser werden. Das Bundesgesundheitsministerium will mögliche Verbesserungen der Prüfverfahren im Zusammenhang mit anstehenden Gesetzgebungsvorhaben prüfen.

Bundesgesundheitsministerium bestätigt hohe Fehlerquote

Das Bundesgesundheitsministerium bestätigt die hohe Fehlerquote bei den Krankenhausabrechnungen; wirksame Gegenmaßnahmen hat es allerdings bislang nicht eingeleitet. Es hat lediglich mit dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus eine weitere Instanz in das Abrechnungsverfahren einbezogen. Ein weiteres Prüfverfahren trägt nicht dazu bei, das Abrechnungsverfahren überschaubarer zu machen und es zu vereinfachen. Nach Auffassung des Bundesrechnungshofes kommt es vielmehr darauf an, die Ursachen für die Fehler zu beseitigen. Hierzu sollte das Bundesgesundheitsministerium prüfen, ob und wie Vereinfachungen im DRG-Regelungswerk Streitfälle verhindern könnten. Ein einfacheres und damit leichter handhabbares Abrechnungssystem kann leistungsgerechter sein als ein System, das zwar jeden Fall patientenindividuell bewertet, bei dem aber bis zu 65 % der geprüften Rechnungen fehlerhaft sind.

Eine weitere Ursache für falsche Abrechnungen kann in dem ökonomischen Interesse der Krankenhäuser bestehen, ihre Leistungen mit möglichst hohen Fallpauschalen abzurechnen. Ein dem entgegenwirkender Anreiz, Fehlabrechnungen zu vermeiden, besteht hingegen nicht. Werden überhöhte Abrechnungen aufgedeckt, belastet dies die Krankenhäuser nicht mehr, als wenn sie richtig abgerechnet hätten. Diese Anreizstruktur sollte überprüft werden. Eine Möglichkeit besteht darin, bei fehlerhaften Abrechnungen wie bei den Krankenkassen eine pauschale Zahlung vorzusehen. Das Argument des Bundesgesundheitsministeriums, die Krankenkassen könnten den Prüfungsumfang nicht beeinflussen, überzeugt nicht. Die Krankenhäuser haben es durchaus in der Hand, richtig abzurechnen und für sie negative Prüfergebnisse und eine damit verbundene pauschale Zahlung zu vermeiden.

Schließlich könnten effektivere Prüfungen der Krankenkassen dazu führen, dass falsche Abrechnungen leichter entdeckt werden. Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesgesundheitsministerium das Stichprobenverfahren wirksamer ausgestalten will. Ein solcher Schritt ist notwendig, weil das vom Bundesgesundheitsministerium selbst als sinnvoll erachtete Stichprobenverfahren bisher fast nicht genutzt wird.

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