BQS: Gutachten zu Pay-for-performance im Gesundheitswesen veröffentlicht
Das im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durch das BQS-Institut erstellte Gutachten "Pay-for-Performance im Gesundheitswesen: Sachstandsbericht zu Evidenz und Realisierung sowie Darlegung der Grundlagen für eine künftige Weiterentwicklung" wurde am 17. August durch das BMG veröffentlicht und steht www.bqs-institut.de und www.bmg.bund.de nunmehr allen Interessierten zur Verfügung.
Das Gutachten gibt einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der praktischen Erfahrungen mit P4P im Gesundheitswesen und stellt die nationalen und internationalen Entwicklungen in diesem Bereich dar. Ziel war es, eine Diskussionsgrundlage zu schaffen für mögliche und notwendige Weiterentwicklungen im Hinblick auf eine leistungsorientierte Vergütung. Daher enthält das Gutachten verschiedene Instrumente und Konzepte für eine ziel- und erfolgsorientierte Umsetzung künftiger P4P-Projekte.
Staatssekretär Thomas Ilka sagte zu Veröffentlichung des Gutachtens: „Das Gutachten bietet einen guten Überblick über die nationalen und internationalen Entwicklungen im Bereich Pay-for-Performance und stellt eine wichtige Diskussionsgrundlage für Weiterentwicklungen in diesem Bereich dar. Es macht aber auch deutlich, dass vor einer breiteren Einführung solcher Verfahren noch Forschungsbedarf besteht.“
So betonen die Wissenschaftler, dass das komplexe Pay-for-Performance-Instrument erst dann gewählt werden soll, wenn die Möglichkeiten der vorhandenen anderen Steuerungsinstrumente ausgeschöpft sind und zweifelsfrei die Wirksamkeit von Pay-for-Performance-Projekten nachgewiesen wurde.
Im deutschen Gesundheitswesen gibt es bisher erste Ansätze von P4P-Elementen beispielsweise in Selektivverträgen oder Chronikerprogrammen, um Anreize zu einer Qualitätsverbesserung zu setzen. Wenngleich diese und sonstige Erfahrungen – trotz schwacher wissenschaftlicher Belege – für den Einsatz von Anreizsystemen im Rahmen der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten sprechen, sehen die Gutachter noch erheblichen Bedarf an Forschungserkenntnissen, um die Wirkungen fundiert beurteilen zu können. Außerdem mangelt es an geeigneten Qualitätsindikatoren und die Qualitätsmessung mit diesem Instrumentarium trifft nicht selten auf Probleme.
Zusammenfassung des Gutachtens "Pay-for-Performance im Gesundheitswesen: Sachstandsbericht zu Evidenz und Realisierung sowie Darlegung der Grundlagen für eine künftige Weiterentwicklung"
- Fragestellung
Im angelsächsischen Raum gibt es seit einigen Jahren eine wachsende Zahl von P4PProjekten im Gesundheitswesen und auch in Deutschland werden im selektivvertraglichen Bereich seit einiger Zeit P4P-Elemente angewandt. Pay-for-Performance (P4P) im engeren Sinne koppelt dabei die Vergütung von Versorgern ganz oder teilweise an die von ihnen erbrachte und durch Qualitätsmessung nachgewiesene Leistung. Das Gutachten soll nun eine Diskussionsgrundlage liefern zur Frage, ob und in welcher Form P4P künftig eine Rolle im deutschen Gesundheitswesen spielen könnte. - Gutachtenbestandteile
Das Gutachten definiert zunächst P4P und legt den normativen Hintergrund fest, von dem sich die Bewertungskriterien der P4P-Projekte herleiten. Es folgt eine Bestandsaufnahmevon P4P-Projekten in Deutschland und international (Teil A), um dann die bisherigen Erkenntnisse zur Evidenz hinsichtlich der Wirksamkeit von P4P-Elementen in ihren verschiedenen Aspekten darzustellen (Teil B). Zur Entwicklung von Umsetzungskonzepten werden zunächst einzelne Fragestellungen der P4P-Gestaltung differenziert methodisch reflektiert, um dann konkrete Vorschläge in Form von Thesen zur weiteren Umsetzung vorzulegen und hierfür entsprechende Instrumente zur Verfügung zu stellen (Teil C). - Vorgehensweise
Mit Hilfe einer systematischen Literaturrecherche wurde die relevante Literatur zum Thema P4P im Gesundheitswesen erfasst, mit dem Ziel, die verschiedenen in der nationalen und internationalen Wissenschaft und Versorgungslandschaft bekannten P4PModelle, Modellprojekte, Forschungsarbeiten und praktischen Erfahrungen zu identifizieren und sie in ihren wesentlichen Charakteristika und ihrer Verschiedenartigkeit zu beschreiben. Ferner wurde die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit von P4PProjekten recherchiert. Da es nur wenige wissenschaftliche Studien mit hohem Evidenzgrad gibt, wurden auch Publikationen mit geringerer Evidenz sowie Expertenmeinungen und praktische Erfahrungen mit P4P-Projekten berücksichtigt, sofern sie den inhaltlichen Einschlusskriterien genügten. Darüber hinaus wurde eine Umfrage per Post und Internet bei deutschen Institutionen zu P4P durchgeführt. Alle in Deutschland gefundenen P4P-Projekte, die der Definition des Gutachtens entsprachen, werden im Einzelnen dargestellt. 23 Vertreter verschiedenster Gesundheitsinstitutionen wurden zu politischen, fachlichen und praktischen Fragen des Themas interviewt und in Workshops wurden die Zwischenergebnisse des Gutachtens diskutiert. Auf der Basis der so zusammengetragenen Fakten und Einsichten sowie weiteren, theoretischen Quellen wurden Thesen zur Umsetzung und Weiterentwicklung von P4P-Projekten generiert und zu einem Handlungskonzept für Deutschland zusammengeführt. - Ergebnisse
P4P-Projekte weisen sehr unterschiedliche Vorgehensweisen auf. Diese reichen von den klassischen Bonus-Projekten und Zielprämien (Target Payments) über Zahlungsstop bei schwerwiegenden Mängeln (Non-Pay-for-Non-Performance), Beteiligungen an Einsparungen (Shared-Savings Ansätze) bis hin zu umfassender Budget- und Qualitätsverantwortung von Versorgergruppen (Accountable Care Organizations in den USA). Auch die in Deutschland realisierten P4P-Projekte weisen eine große Vielfalt an Zielen und Organisationsformen auf. Sehr viele der Projekte arbeiten gleichzeitig mit nicht-finanziellen Anreizen, wie z. B. Edukation, Benchmark mit Feed-back oder Public Reporting. Rechtlich stehen in Deutschland mit den Instrumenten der Modellvorhaben gem. §§ 63 ff SGB V, den Strukturverträgen gem. § 73a SGB V, der Hausarztzentrierten Versorgung gem. § 73b SGB V, den Selektivverträgen gem. § 73c SGB V und der Integrierten Versorgung gem. §§ 140 ff SGB V und dem Bundesmantelvertrag gem. § 87 SGB V, sowie den §§ 87a und 136 SGB V verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um P4P-Projekte zu realisieren (Teil E).
Eine kritische Sichtung der Literatur mit den Schwerpunkten hausärztlicher Bereich und Krankenhausbereich sowie Kosteneffektivität von P4P kommt - auch unter Berücksichtigung der neueren Literatur von 2010 und 2011 - zum gleichen Ergebnis wie andere Reviews zuvor: Bislang ist es in Studien noch nicht gelungen, zweifelsfrei die Wirksamkeit von P4P-Projekten nachzuweisen. Zwar gibt es Belege für die Effektivität kombinierter Verfahren unter Einschluss nicht-finanzieller Anreize. Der Anteil der finanziellen Anreize am Erfolg ließ sich bislang jedoch nicht eindeutig nachweisen. Dies widerspricht der allgemeinen Erfahrung, dass Geld durchaus ein sehr starker Anreiz ist und Änderungen der Vergütungssysteme stets intensive Reaktionen nach sich ziehen. Die Komplexität medizinischer Versorgung sowie die systemischen Optimierungs- und Umgehungsreaktionen beeinflussen die Ergebnisse einiger Projekte durch diverse Selektionseffekte sehr. Viel an Wirksamkeit wird dabei verdeckt oder nicht realisiert, was an einzelnen Beispielen gezeigt werden kann. Zahlreiche Organisatoren bestehender Projekte sind jedoch von ihrem Tun und ihren guten praktischen Erfahrungen überzeugt und führen die Projekte fort oder bauen sie weiter aus. Trotz der mangelnden überzeugenden Evidenz für die Wirksamkeit von P4P sind die meisten der Befragten in Deutschland der Ansicht, dass P4P in der Zukunft eine größere Rolle spielen wird. Unklar bleibt, in welchem Umfang dies derzeit bereits politisch umsetzbar ist. Basierend auf Studienergebnissen (Literatur) und der im Verlauf der Gutachtenerstellung gesammelten Expertise (Expertengespräche, Workshops, Umfrage) wurden Thesen zu P4P generiert, die eine Diskussions- und Handlungsgrundlage für künftige Projekte sein sollen.
P4P-Projekte stellen einen Steuerungseingriff in ein komplexes System dar und setzen für eine erfolgreiche Realisierung ein gutes Verständnis der Zusammenhänge voraus. Das Gutachten liefert hierzu zunächst ein Modell, das die verschiedenen Elemente eines solchen Projekts in einer Übersicht darstellt. Eine eigens hierfür geschaffenes Beschreibungsinstrument (Taxonomie) und der entsprechende Profilbogen für P4PProjekte gestatten, diese standardisiert und damit vergleichbar zu dokumentieren. Gleichzeitig kann der Katalog der Projekt-Items als Checkliste bei der Realisierung von Projekten dienen.
Ausgangspunkt für P4P-Projekte ist eine klare Formulierung der Ziele und der zur Zielerreichung vorgesehenen Interventionsinstrumente. Eine Anleihe beim Risikomanagement macht verständlich, warum für verschiedene Typen von Versorgungsdefiziten verschiedene Interventionsinstrumente sinnvoll sind. Da sehr viele Qualitätsprobleme bereits auf Feed-back, Edukation und Public Reporting ansprechen, sollte das aufwändigere P4P-Instrument erst dann gewählt werden, wenn die Möglichkeiten der anderen Instrumente ausgeschöpft sind. Im konkreten Fall eines Benchmarkprojekts mit Feed-back und Public Reporting kann dann überlegt werden, ob zusätzliche finanzielle Anreize die Wirksamkeit eines Projekts noch erhöhen können. Dieser abgestufte Einstieg empfiehlt sich, weil es mit einer bereits praktizierten Qualitätsmessung Erfahrungswerte gibt und die Systemreaktionen bekannt sind. Der direkte Einsatz von neuen Indikatoren in einem P4P-System erscheint zumindest sehr risikoreich, da mit unerwarteten Artefakten zu rechnen ist, die dann ggf. nicht sofort als solche erkennbar sind und die den Erfolg des Projekts gefährden können.
P4P adressiert Varianz in der Versorgungsqualität. Daher ist die Qualitätsmessung ein zentrales Element von P4P. Bisher mangelt es noch in vielen Bereichen der medizinischen Versorgung an operationalisierten Qualitätsindikatoren. Hier ist methodische Entwicklungsarbeit zu leisten, z. B. bei der Identifizierung geeigneter intermediärer Ergebnisindikatoren (Intermediate Outcome Indikatoren), die mit hohem prädiktivem Wert die Perspektive von Langzeitergebnissen deutlich früher verfügbar machen. Auch das Problem kleiner Fallzahlen kann und sollte mit neuen statistischen Verfahren gelöst werden, da ein Großteil medizinischer Versorgung im Mengenbereich von 20 bis 50 Fällen stattfindet. Dabei sind gänzlich neue Wege der Qualitätsmessung zu gehen, für die es bereits erste Ansätze gibt. Zu beachten ist auch, dass sich Ergebnisund Prozessindikatoren ganz unterschiedlich verhalten, so dass je nach Zielvorgabe die entsprechenden Indikatoren zu wählen sind. Indikationsindikatoren werden künftig eine wachsende Rolle spielen und zu entwickeln sein.
Nicht alle Indikatoren sind für die Verwendung in P4P-Projekten gleichermaßen geeignet. Daher wurde auf der Basis von QUALIFY (Reiter et al. 2008) ein neues Prüfverfahren für die Eignung von Qualitätsindikatoren für P4P entwickelt, das im Gutachten vorgestellt wird. Dieses Verfahren wurde an über 2000 Indikatoren getestet und ist bereits in der praktischen Anwendung.
Die meisten Probleme von P4P ergeben sich aus Problemen der Qualitätsmessung. Es ist wichtig, dass bei allen Projekten das Verhältnis von Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und Angemessenheit gewahrt bleibt und dass die Qualitätsaussagen auf das beschränkt werden, was die Messinstrumente leisten können. Dazu zählt auch die Berücksichtigung des damit verbundenen Aufwands. Dieser kann z. B. minimiert werden durch Problemzentrierung und zweistufige Dokumentation im Sinne eines minimalen Monitorings und einer detaillierten Qualitätsdokumentation im Fall einer Auffälligkeit. Die Qualitätsindikatoren müssen ebenso wie die Anreize zu den Steuerungszielen passen. Im Wesentlichen sind fünf primäre Steuerungsziele zu unterscheiden: das Versorgungsmonitoring, die Korrektur von Versorgungsmängeln, Versorgungsentwicklung, Förderung exzellenter Versorgungsqualität sowie effizienzorientierte Versorgungssteuerung. Bei der Umsetzung der Projekte sind Nebenwirkungen von P4P ebenso zu beachten wie Fragen des Datenschutzes, der Akzeptanz bei allen Beteiligten sowie eine angemessene Evaluation. Das Gutachten bietet zu allen Phasen der Umsetzung methodische und praktische Hinweise und formuliert auch Mindeststandards. Die Hauptanwendungsbereiche von P4P sieht das Gutachten sowohl in der Förderung exzellenter Qualität und neuer Versorgungsstrukturen als auch im Sanktionieren anhaltend defizitärer Versorgungsqualität. Der Schwerpunkt innovativer Entwicklung wird vornehmlich im selektivvertraglichen Bereich stattfinden, aber auch für den kollektivvertraglichen Bereich zeichnen sich mittelfristig sinnvolle Optionen ab, insbesondere bei den Verfahren der verpflichtenden externen Qualitätssicherung. Neben den Versorgern, den Kostenträgern und ihren Verbänden wird daher künftig auch den Fachgesellschaften und dem Gemeinsamen Bundesausschuss in diesem Thema eine wichtige Rolle zukommen.
Politisch ergeben sich drei Optionen:
- das Belassen der derzeitigen Rahmenbedingungen,
- die Erweiterung der Möglichkeiten insbesondere im Bereich der Datenverfügbarkeit und der etablierten Vergütungssysteme um P4P-Elemente sowie
- die gezielte Förderung der methodischen Entwicklung und der Umsetzung in verschiedenen Projekten.
Ob P4P künftig ein wichtiges zusätzliches Instrumentarium zur qualitätsorientierten Steuerung im Gesundheitswesen spielen wird, hängt von der dringend notwendigen Weiterentwicklung im Bereich der Qualitätsmessung, von einer breiten Akzeptanz bei den Beteiligten und von klaren politischen Vorgaben ab.
- Weiterführende Links
- www.bqs-institut.de
- www.bmg.bund.de