Freitag, 10. März 2006

Bonus-Malus-Regelung nach dem AVWG Arzneimittel-Versorgungs-Wirtschaftlichkeits-Gesetz

Von: RA Luise Holstein, RA Barbara Koch / GRAEFE Rechtsanwälte

Der Deutsche Bundestag hat am 17. Februar 2006 das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) beschlossen. Nach einer Bestätigung durch den Bundesrat im März soll ab dem 01.04.2006 das AVWG in Kraft treten. Die im Jahre 2005 drastisch gestiegenen Arzneimittelausgaben der Krankenkassen haben den Gesetzgeber zu zahlreichen Änderungen der derzeit die Arzneimittelpreise regulierenden Vorschriften veranlasst. Unter anderem hat sich der Gesetzgeber zum Ziel gesetzt, die individuelle Verantwortung der Ärzte bei der Verordnung von Arzneimitteln zu stärken. Durch die Einführung eines neuen Kontrollsystems über das Verschreibungsverhalten der Ärzte, das so genannten Bonus-Malus-System, sollen die Ärzte dazu bewegt werden, in Zukunft öfter preisgünstigere Medikamente zu verschreiben. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit den Unterschieden zwischen der aktuellen Rechtslage und den künftigen Regelungsinhalten. Insbesondere werden hier die Unterschiede zwischen der Kontrolle der Arzneimittelausgaben im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung und dem Bonus-Malus-System herausgearbeitet.

I. Geltende gesetzliche Regelungen zur Kontrolle der Arzneimittelausgaben 

Ausgangspunkt der Steuerung der Arzneimittelausgaben über das Verschreibungsverhalten der Ärzte bildet § 84 SGB V. Laut dieser Vorschrift sind die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen verpflichtet, mit den kassenärztlichen Vereinigungen Arzneimittelvereinbarungen zu schließen, die das gesamten Ausgabevolumen für das folgende Kalenderjahr für die im Bezirk tätigen Vertragsärzte bestimmen. Die Einhaltung des vereinbarten Ausgabenvolumens für Arznei- und Verbandsmitteln ist an eine Entrichtung eines vereinbarten Bonus an die kassenärztliche Vereinigungen durch die Beteiligten Krankenkassen geknüpft. Konsequenzen für ein Überschreiten des festgestellten Ausgabenvolumens werden im Gesetz nicht geregelt. Vielmehr wird die Option eröffnet, dies im Rahmen der Gesamtverträge zu regeln.
 
Daneben werden in den Arzneimittelvereinbarungen, Richtgrößen bestimmt, die Durchschnittswerte für Arzneimittel je behandelten Patienten zum Gegenstand haben. Eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens durch einen Arzt löst eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 5 a SGB V, sog. Auffälligkeitsprüfung, aus. Aus der pro Patient rechnerisch zugrunde gelegten Richtgröße und der im Kalenderjahr behandelten Patientenzahl bildet sich das Richtgrößenvolumen für den einzelnen Arzt. Anhand dieses Richtgrößenvolumens wird entschieden, ob bei einem Arzt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung eingeleitet wird. Hat das Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um mehr als 15 % überstiegen und geht der Prüfungsausschuss aufgrund der vorliegenden Daten nicht davon aus, dass die Überschreitung im vollen Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet war, findet zunächst eine Beratung durch den Prüfungsausschuss statt. Bei einer Überschreitung des Richtgrößenv olumens um mehr als 25 % hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss den sich daraus ergebenen Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Eine Erstattungspflicht ergibt sich derzeit nicht aus dem Gesetz, sondern setzt die Festsetzung eines entsprechenden Regressbetrages durch einen Verwaltungsakt des Prüfungsausschusses voraus. Gesetzlich vorgesehen ist darüber hinaus, die Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen dem Vertragsarzt und dem Prüfungsausschuss, die eine Minderung des Erstattungsbetrages um bis zu 1/5 zum Gegenstand haben kann.
 
Eine darüber hinaus gehende Konsequenz im Falle einer Nichteinhaltung der Arzneimittelvereinbarung in Form eines Kollektivregresses wurde mit dem Gesetz zur Ablösung des Arznei- und Heilbudget (ABAG) im Jahre 2001 abgeschafft. Grund für die Änderung war die Einschätzung, dass die bisherigen gesetzgeberischen Bemühungen zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Verordnung von Arznei- und Heilmitteln wenig erfolgreich waren (BT- Drucksache, 14/ 6309, Seite 6 zu A. allgemeiner Teil I.). Nicht zuletzt wurde die fehlende Akzeptanz der Regelung bei den beteiligten Vertragsärzten und kassenärztlichen Vereinigungen als Grund für die Gesetzesänderung gesehen.
 
Der Arzt kann jedoch bereits jetzt, aber auch in Zukunft, die ihm obliegende Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arzneimittelverordnung vermeiden, in dem er von der „aut-idem-Regelung" Gebrauch macht. Die „aut-idem-Regelung" dient ebenfalls der Regulierung der Arzneimittelkostenausgaben durch die Beeinflussung des Verschreibungsverhalten des Ärzte. Dies geschieht jedoch durch eine Übertragung der Entscheidung für ein bestimmtes Medikament auf die Apotheker. Der Arzt beschränkt sich bei der Verschreibung auf die Bezeichnung eines bestimmten Wirkstoffes oder lässt ausdrücklich die Ersetzung eines Arzneimittels durch wirkstoffgleiche Arzneimittel durch die Apotheker zu. Der Apotheker entscheidet sich dann für das preisgünstigste Medikament, das diesen Wirkstoff enthält.
 
II. Bonus-Malus-System nach AVWG
 
Der oben dargestellte Regelungsmechanismus soll nach dem Willen des neuen Gesetzgebers ergänzt und teilweise geändert werden. Die einzelnen Ärzte sollen verstärkt in individuelle Verantwortung herangezogen werden. Neben ein derzeit bestehendes Bonussystem soll ein Malussystem treten. Wobei die Bonusregelung weiterhin zu Gunsten der Kassenärztlichen Vereinigungen bestehen soll, während die Malusregelung die einzelnen Vertragsärzte treffen soll. Hierbei handelt es sich um einen zusätzlichen Prüfmechanismus, der vom Gesetzgeber als wirtschaftlicher Anreiz bezeichnet wird.
 
Das vom Gesetzgeber entwickelte Bonus-Malus-System wurde auf Druck von den Interessenverbänden nicht als eine zwingende Regelung beschlossen. Die Parteien der Arzneimittelvereinbarung erhalten die Möglichkeit bis zum 15. November für das jeweilige folgende Kalenderjahr Maßnahmen zu bestimmen, die ebenso zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit geeignet sind und die einen entsprechenden Ausgleich von Mehrkosten bei Nichteinhaltung der vereinbarten Ziele gewährleisten.
 
Gesetzlich vorgesehen ist, dass die Landesverbände der Krankenkassen, die Verbände der Ersatzkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der Arzneimittelvereinbarungen Durchschnittskosten je definierte Dosiereinheit (DDD) festlegen, sofern sie keine andere gleichwirksame Alternative zur Steuerung der Arzneimittelausgaben beschließen. Im Vergleich zu den zunächst als Richtwert vorgeschlagenen Tagestherapiekosten soll das DDD-Konzept sicherstellen, dass weder die Anzahl der verordneten Arzneimittel noch die Anzahl der versorgten Patienten zu einem Malus führt.
 
Überschreiten die Ausgaben eines Arztes für die von ihm verordneten Arzneimittel die DDD-Kosten, hat der Arzt einen Überschreitungsbetrag an die Krankenkassen zu entrichten. Eine Überschreitung in Höhe von mehr als 10 % - 20 % ist mit einem Anteil von 20 %, von mehr als 20 % bis 30 % mit einem Anteil von 30 % und eine darüber hinaus gehende Überschreitung zur Hälfte auszugleichen. Der erste Entwurf zum AVWG vom 16.12.2005 sah eine Malus-Regelung ab einem Überschreitungsbetrag von mehr als 5 % vor.
 
Unterschreiten die Ausgaben der von den Ärzten einer kassenärztlichen Vereinigung insgesamt verordneten Arzneimittel die DDD-Kosten, entrichten die Krankenkassen einen vereinbarten Bonus an die kassenärztliche Vereinigung. Dieser Bonus ist unter denjenigen Vertragsärzten aufzuteilen, die wirtschaftlich verordnen und deren Verordnungskosten die Tagestherapiekosten nicht überschreiten. Der Malus tritt automatisch mit einer Überschreitung der DDD-Kosten ein, während der Bonus zu vereinbaren ist.
 
Über- oder Unterschreitungen sollen von dem Prüfungsausschuss gem. § 106 Abs. 4 SGB V nach Ablauf eines Quartals auf der Grundlage der arztbezogenen Schnellinformationen, die dem Prüfungsausschuss zu übermitteln sind, festgestellt werden. Für das weitere Verfahren soll das in § 106 Abs. 5 und 5 c SGB V geregelte Verfahren für Wirtschaftlichkeitsprüfungen entsprechend gelten. Ausgleichsbeträge sollen auf Antrag des Arztes auf der Grundlage der Jahresrechnungsergebnisse überprüft und neu festgesetzt werden.
 
Insgesamt lässt sich anmerken, dass die neue Regelung eine zeitnähere und fallnähere Überprüfung der Einhaltung der kostenreduzierenden Arzneimittelvereinbarungen vorsieht. Die finanziellen Anreize, sofern diese tatsächlich eine positive Auswirkung auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte haben, treten zeitnah ein. Problematisch erscheint die Tatsache, dass die individuellen Praxisverhältnisse des jeweiligen Arztes im Gegensatz zu den bisher geltenden Verfahren im Rahmen einer Auffälligkeitsprüfung nicht mehr berücksichtigt werden. Allerdings sollen die Besonderheiten der Verschreibungspraxis bereits bei der Bestimmung der DDD-Kosten berücksichtigt werden. Der nicht unerhebliche Verwaltungsaufwand und die zunehmende Kontrolle der ärztlichen Verschreibungspraxis könnte sich negativ auf das Arzt-Patient-Verhältnis auswirken.
 
III. Zusammenfassung der Unterschiede
 
1. Unterschiedliche Maßstäbe
 
Bisher wurde im Rahmen der Arzneimittelvereinbarungen zum ein Ausgabenvolumen für Arznei-und Verbandmittel für die insgesamt für die Vertragsärzte veranlassten Leistungen bestimmt. Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Ärzten war die Einhaltung der Richtgrößen. Richtgrößen sind arztgruppenspezifische fallbezogen Durchschnittswerte für ein Kalenderjahr.
 
Das Ausgabenvolumen als Maßstab für die Überprüfung der gesamten Arznei-und Verbandmittelausgaben wird durch die Gesetzesänderung nicht berührt. Für die einzelnen Ärzte sind dagegen die DDD-Kosten in Zukunft die maßgeblichen Bezugswerte, deren Überschreitung zur Auslösung von Erstattungspflichten führt, sofern die Selbstverwaltungsorgane keine adäquate Alternativregelungen treffen. Verschreibungen von Arzneimittel, für die keine DDD-Kosten bestimmt wurden, unterliegen weiterhin einer Wirtschftlichkeitsprüfung.
 
2. Bonus-Malus-System
 
Nach wie vor ist für die Einhaltung des Ausgabenvolumens gesetzlich ein Bonus zu Gunsten der Kassenärztlichen Vereinigungen vorgesehen.
 
Bisher wurden Ärzte nach Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung bei einer Überschreitung der Richtgrenzen um 25 vom Hundert in Anspruch genommen. Eine Prüfung erfolgte unter einer differenzierten Beachtung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs des Arztes. Die Höhe der Rückerstattungen wurde im Einzelfall festgelegt.
 
Nun wird die Einhaltung der DDD-Kosten überprüft. Über-und Unterschreitungen stellt der Prüfungsausschuss nach Ablauf eines Quartals auf der Grundlage der Abrechnungsdaten, die dem Prüfungsausschuss zu übermitteln sind, fest. Bereits bei einer Überschreitung von 10 %, ist der jeweilige Arzt zu Erstattungen verpflichtet. Die Höhe der Erstattungspflicht ist bereits festgelegt.
 
IV. Ausblick
 
Die Einführung der Bonus-Malus-Regelung wurde im Gesetzgebungsverfahren von den kassenärztlichen Vereinigungen scharf kritisiert. In ihrer Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zum Entwurf des AVWG vertritt die kassenärztliche Bundesvereinigung die Ansicht, dass die vorgesehene Malus- Bonusregelung bei der individuellen Versorgung mit Arzneimitteln zur Verunsicherung von Vertragsärzten führen würde und sie in ein ethisches Dilemma stürzt. Letztlich würde sie zu einer Belastung der Arzt-Patientenbeziehung, insbesondere in der hausärztlichen Versorgung, führen. Auch die Bundesärztekammer sieht in ihrer Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zum Entwurf des AVWG die bedarfsgerechte Patientenversorgung als gefährdet an. Das vorgeschlagene Malus- Bonus- System wird abgelehnt, weil die Finanzierung dieses Systems unklar bleibt und die Ärzteschaft gegenüber den Patienten in den Verruf der „honorarverbessernden Minimaltherapie" bringt. Kritisiert wird auch die mit der Gesetzesänderung einhergehende Administrierung der ärztlichen Therapie mit Arzneimitteln in einer unerträglichen Weise.
 
Daraufhin wurde eine Option einer abweichenden Regelung in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Die Bonus-Malus-Regelung kann vermieden werden, wenn die Landesverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigungen bis zum 15. November eine alternative Lösung vereinbaren. Abzuwarten bleibt, ob die Organe der Selbstverwaltung die Ihnen übertragene Verantwortung zur Findung von Alternativmodellen ernst nehmen.

<- Zurück zu: Aktuelle Nachrichten