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Montag, 25. August 2008

BMG-Stellungnahme zur Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln

Von: Bundesministerium für Gesundheit / Pressemitteilung

Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-WSG die Möglichkeit eröffnet, Kosten-Nutzen-Bewertungen für Arzneimittel durchzuführen. Der Gemeinsame Bundessauschuss (G-BA) kann das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit entsprechenden Bewertun- gen beauftragen. Dabei wird für innovative Arzneimittel ihr therapeutischer Zusatznutzen im Verhältnis zu den Kosten im Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungs- formen ermittelt. Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass bei der Ermittlung des Patienten-Nutzens insbesondere die Ver- besserung des Gesundheitszustandes, eine Verkürzung der Krankheitsdauer, eine Verlängerung der Lebensdauer, eine Verringerung der Nebenwirkungen sowie eine Verbesserung der Lebensqualität berücksichtigt werden sollen. Bei der wirtschaftlichen Bewertung soll zudem die Angemessenheit und Zumutbarkeit einer Kostenübernahme durch die Ver- sichertengemeinschaft berücksichtigt werden.

Der Gesetzgeber hat das Institut verpflichtet, für jeden Auftrag gesondert, entsprechend der Fragestellung, die Kriterien, die Methoden und die Bewertung zu erarbeiten. Dabei hat das Institut zu gewährleisten, dass eine breite Beteiligung der Fachkreise erfolgt. Die Methodik muss den anerkannten internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie entsprechen. Das Verfahren soll transparent sein. Die wichtigen Zwischen- ergebnisse sollen veröffentlicht werden.

Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben

Das Bundesministerium für Gesundheit wirkt im Rahmen seiner gesetzlichen Aufsichtsbefugnisse gegenüber dem G-BA und dem Spitzenverband Bund darauf hin, dass die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden.

Das Bundesministerium für Gesundheit begleitet die Entwicklung einer Konzeption für Kosten-Nutzen-Bewer- tungen. Es hat hierzu einen öffentlichen Workshop am 18. Juni 2007 durchgeführt. Dabei wurde ein Ergebnis-Papier erstellt, das in einer weiteren wissenschaftlichen Fachtagung am 7. und 8. November 2007 von wissenschaftlichen Experten diskutiert wurde. Daraus wurde ein Ergebnis- protokoll erarbeitet, dem auch der unparteiische Vorsitzende des G-BA und der Institutsleiter des IQWiG zugestimmt haben. Alle Papiere sind im Internet veröffentlicht.

Nutzenbewertung

Das IQWiG hat sein Methodenpapier "3.0" zur Nutzenbe- wertung am 15. November 2007 zur Anhörung gestellt. Stellungnahmefrist war der 13. Dezember 2007. Das Methodenpapier 3.0 wurde am 27. Mai 2008 veröffentlicht. Damit wird zum Beispiel klargestellt, dass die neuen gesetzlichen Definitionen zum Patientennutzen in jedem Bericht eingehend aufbereitet wer-den. Das Methodenpapier sieht auch vor, dass soweit erforderlich, auch andere Studien als randomisiert-kontrollierte klinische Studien (RCTs) herangezogen werden. Damit wird das Diskussions- ergebnis der wissenschaftlichen Fachtagung des Bundes- ministeriums für Gesundheit vom 7. und 8. November 2007 aufgegriffen.

Das Methodenpapier sieht auch eine umfassende Beteiligung Externer vor. Die Fachkreise, die Patientenvertretungen und auch die Industrie werden bereits in der ersten Phase der Berichtserstellung beteiligt, indem sie zu einer vorläufigen Version des Berichtsplans Stel-lung nehmen können. In dem Berichtsplan werden auf Basis der sich aus dem Auftrag des G-BA ergebenden Fragestellung(en) die Methodik und damit die Anforderungen an die Studien auftragsbezogen festgelegt.

Kosten-Nutzen-Bewertung

Die Nutzenbewertung ist Grundlage für die Kosten-Nutzen- Bewertung, daher hat das Methodenpapier zur Nutzen- bewertung Bedeutung für die Kosten-Nutzen-Bewertung.

Das IQWiG hat einen ersten Vorschlag für die Kosten- Nutzen-Bewertung als Methodenpapier "Version 1.0" am 24. Januar 2008 zur Anhörung gestellt. Stellungnahmefrist war der 31. März 2008. Es trafen insgesamt 45 Stellungnahmen ein, davon 18 von Verbänden, 7 von Fachgesellschaften, 12 von pharmazeutischen Unternehmen und 8 von wissen- schaftlichen Institutionen bzw. Einzelpersonen.

IQWiG erarbeitet jetzt ein neues Methodenpapier zur Kosten-Nutzen-Bewertung ("Version 2.0"). In der Zwischenzeit wird eine Version 1.1 des Methodenentwurfes, die Klarstellungen und Präzisierungen enthält, einschließlich der technischen Anhänge, publiziert.

Parallel dazu beabsichtigt das IQWiG, Machbarkeitsstudien für Kosten-Nutzen-Bewertungen in Auftrag zu geben. Diese haben das Ziel, die Methodik auf ihre Durchführbarkeit und Praktikabilität hin zu testen. Das Bundesministerium geht davon aus, dass damit qualifizierte Wissenschaftler beauftragt werden.

Diskussion über die Vorschläge des IQWiG

Der Anhörungsentwurf des IQWiG für eine Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung ist kontrovers diskutiert worden. Hierzu einige Anmerkungen.

Effizienzgrenzen

Dieses Konzept sieht vor, dass der Höchstbetrag eines neuen Arzneimittels ermittelt wird aus der Fortschreibung der Kosten-Nutzenverhältnisse der Arzneimittel, die bisher verfügbar sind. Ähnlich wie die Festbeträge setzt das Effizienzgrenzen-Konzept somit bei der bestehenden Marktkonstellation an.

Ein Einwand hiergegen lautet, dies sei eine Außenseitermethode und nicht wissenschaftlicher Standard. Als Alternative wird zum Beispiel das von dem Institut des britischen Gesundheitsministeriums (NICE) verwendete Konzept des Schwellenwerts im Sinne einer Kostenobergrenze empfohlen.

Der Ansatz, Arzneimittel mit Kosten oberhalb eines festgesetzten, einheitlichen Schwellenwerts von der Leistungspflicht auszuschließen, ist mit der gesetzlichen Regelung in Deutschland unvereinbar. Gesetzlicher Auftrag ist stattdessen, für innovative Arzneimittel einen fai-ren Preis zu ermitteln, der ihrem therapeutischen Mehrwert entspricht. Damit kann der Zugang zu Arzneimittelinnovationen für alle Patientinnen und Patienten gesichert werden. Dies erfordert die Entwicklung eines eigenständigen Konzepts auf wissenschaftlicher Basis.

Es gibt auch keine Rechtsgrundlage für den Vorschlag, vorab einen einheitlichen Schwellenwert für die Therapiekosten festzulegen, aus dem dann der jeweilige Höchstbetrag für ein Arzneimittel errechnet wird. Denn dann würden für alle Therapien gleich hohe Schwellenwerte für die Therapiekosten angesetzt, beispielsweise für die Antibiotika- und die Krebstherapie. Das würde Antibiotika, aber auch viele andere innovative Arzneimittel stark verteuern, wenn der Höchstbetrag auf dem Niveau teurer Onkologika festgesetzt würde.

Ein weiterer Einwand gegen das Konzept der Effizienzgrenzen lautet, damit würden die Preise für neue Arzneimittel von der Preisstruktur im jeweiligen Segment abhängig werden. Sind Generika vertreten, könnte die Einführung innovativer Arzneimittel erschwert werden. Grundsätzlich kann nicht bestritten werden, dass für Markteinführungen neuer Arzneimittel das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Arzneimittel im entsprechenden Segment von Bedeutung ist. Diese Marktverhältnisse bildet das Effizienzgrenzenkonzept ab. Die Befürchtung, dass die Kosten innovativer Arzneimittel dann nicht mehr finanziert werden, ist unbegründet. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass mindestens die Forschungs- und Entwicklungskosten zu berücksichtigen sind. Die pharmazeutischen Unternehmen können dies in geeigneten Fällen im Rahmen der Anhörung zur Festsetzung des Höchstbetrags geltend machen (§ 31 Abs. 2a Satz 4 SGB V).

Andere Experten schlagen vor, die "Zahlungsbereitschaft" der "Konsumenten" zu ermitteln. Dafür gibt es eine Vielzahl von methodischen Ansätzen, die alle mit Unschärfen verbunden sind. Ein rechtssicheres Verfahren ist auf dieser Grundlage kaum möglich.

Verhältnis von Nutzenbewertung und Kosten-Nutzen-Bewertung

Kontrovers diskutiert wird der Vorschlag des IQWiG, für die Bewertung in einem ersten Schritt zunächst den Nutzen zu ermitteln und in einem weiteren Schritt dann eine Kosten-Nutzen-Bewertung zu erstellen. Es wird gefordert, dass grundsätzlich nur Kosten-Nutzen-Bewertungen erstellt werden sollen. Damit verbunden wird die Erwartung, dass dann der Nutzen umfassender berücksichtigt wird.

Nach den gesetzlichen Vorgaben löst die Kosten-Nutzen-Bewertung die Nutzenbewertung nicht ab. Vielmehr sind sowohl Nutzenbewertungen, als auch Kosten-Nutzen-Bewertungen möglich.

Der Gesetzgeber hat die maßgeblichen Nutzenparameter in § 35b Abs. 1 SGB V vorgegeben. Gesetzliche Aufgabe des IQWiG ist es, diese Nutzenparameter durch Aufbereitung klinischer Studien nach Methoden der evidenzbasierten Medizin zu ermitteln. Es können nur solche medizinischen Nutzenparameter berücksichtigt werden, die valide belegbar sind. Diese Vorgaben gelten sowohl für die Nutzenbewertung, als auch für die Kosten-Nutzen-Bewertung. Daher können Nutzenbewertung und Kosten-Nutzen-Bewertungen nicht zu einem entgegengesetzten Ergebnis führen.

Die gesetzlichen Regelungen sehen ausdrücklich vor, dass nur für Arzneimittel, die nicht in eine Festbetragsgruppe einzubeziehen sind, Höchstbeträge aufgrund von Kosten-Nutzen-Bewertungen festzusetzen sind. Somit lösen die Höchstbeträge aufgrund von Kosten-Nutzen-Bewertungen die Festbeträge nicht ab, sondern ergänzen diese. Die gesetzlichen Vorgaben für die Festbetragsgruppen-Bildung bestehen unverändert fort.

Perspektive für die Kostenermittlung

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Frage, ob gesamtgesellschaftliche Kostenaspekte von Arzneimitteln berücksichtigt werden sollen.

Das Gesetz fordert die Berücksichtigung der "Zumutbarkeit der Kostenübernahme durch die Versichertengemeinschaft" (§ 35b Abs. 1 Satz 4 SGB V). Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung als Solidargemeinschaft der Versicherten ist die Bereitstellung medizinischer Leistungen für ihre Versicherten und nicht die Finanzierung von gesamtwirtschaftlichem Nutzen (§ 1 SGB V). Inwieweit außerdem in bestimmten Fällen auch Kostenaspekte für andere Zweige der Sozialversicherung einbezogen werden können, muss im jeweiligen Einzelfall geprüft werden.

Indikationsbezogene Nutzenbewertung

Diskussion gibt es auch zur Forderung, den Nutzen indikationsübergreifend zu bewerten. Der Gesetzgeber verpflichtet das IQWiG, die Bewertung durch Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsverfahren zu erstellen (§ 35b Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin kann der Nutzen von Arzneimitteln in klinischen Studien zulässig nur bezogen auf das gleiche Anwendungsgebiet verglichen werden. Ein Arzneimittel mit mehreren Anwendungsbereichen kann in seinen Anwendungsbereichen jeweils einen unterschiedlichen hohen Nutzen haben. Maßgebend für die Verordnungsentscheidung des Arztes kann nur sein, ob das Arzneimittel zur Erreichung des Therapieziels, d. h. im jeweiligen Anwendungsgebiet, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (§ 12 SGB V). Hierzu kann der G-BA Regelungen in den Richtlinien nach § 92 SGB V vorsehen.

Demgegenüber kann für ein Arzneimittel nur ein Höchstbetrag festgesetzt werden, auch wenn das Arzneimittel in mehreren Anwendungsgebieten verordnungsfähig ist (§ 31 Abs. 2 a SGB V). Ist das Arzneimittel für mehrere Anwendungsgebiete verordnungsfähig, ist der Höchstbetrag falls notwendig unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzenverhältnisses in den jeweiligen Anwendungsgebieten, für die das Arzneimittel verordnungsfähig ist, festzusetzen.

Mögliche Zusammenführung der Nutzenparameter zu einem Gesamtwert

Die Ergebnisse einer Nutzenbewertung müssen in die Kosten-Nutzen-Bewertung übertragen werden. Je nach Fragestellung ist im jeweiligen Berichtsplan festzulegen, welche Nutzenparameter von Bedeutung und wie diese nachzuweisen sind. Soweit notwendig, sind diese Ergebnisse zu einem Gesamtwert für den Nutzen durch eine wissenschaftlich anerkannte Methodik zusammen zu führen. Dies kann im Einzelfall auch im Rahmen des sogenannten QALY-Konzepts geschehen, also der Ermittlung der Anzahl der gewonnen Lebensjahre, ad-justiert mit dem Faktor Lebensqualität. Diese Möglichkeit wird in dem vom IQWiG vorgelegten Methodenentwurf nicht ausgeschlossen.

Gesundheitsökonomen schlagen vor, grundsätzlich und in jedem Fall das QALY-Konzept zu nutzen. Dieser Ansatz wird nicht in allen Fällen den spezifischen Erfordernissen einzelner Fragestellungen gerecht. Zudem gibt es im Rahmen des QALY-Konzepts unterschiedliche Vorgehensweisen zur Berechnung des Werts für den Faktor Lebensqualität, die nicht immer offengelegt werden, was im Ergebnis zu erheblichen Unterschieden beim Gesamtergebnis führen kann. Damit ist die Rechtssicherheit des Verfahrens fraglich.

Der Anhörungsentwurf ist offen für Konkretisierungen

Kritisiert wird auch, dass die Vorschläge des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung viele entscheidende Fragen offen lassen. So fehlen zum Beispiel auch die technischen Anhänge. Diese werden zusammen mit dem Methodenentwurf 1.1 publiziert.

Das IQWiG hat mit seinem Methodenpapier 1.0 für die Kosten-Nutzen-Bewertung ausdrücklich zunächst allgemeine Grundsätze zur Anhörung gestellt. Angekündigt ist, erst aufgrund der Stellungnahmen Details zu erarbeiten. Das Institut hat angekündigt, die Machbarkeit in mehreren Pilotprojekten zu prüfen. Dieses Verfahren ermöglicht eine eingehende Diskussion mit den Fachkreisen und eine eingehende Beratung durch den wissenschaftlichen Beirat des IQWiG.

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