Berliner Protestrede des Bundesärztekammer Präsidenten Jörg-Dietrich Hoppe

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Mittwoch, 18. Januar 2006

Berliner Protestrede des Bundesärztekammer Präsidenten Jörg-Dietrich Hoppe

Von: Bundesärztekammer / Pressemitteilung vom 18.01.06 und heute.Redaktion / ZDF

"Viele von Ihnen haben weite Wege in Kauf genommen, um hier in Berlin am Regierungssitz klarzumachen: Dies ist erst der Anfang. Es kann einfach nicht so weitergehen, dass Politik und Krankenkassen unbegrenzt Leistungen versprechen, zugleich aber die Budgetierungsschraube immer weiter anziehen. Wir Ärztinnen und Ärzte stehen in der täglichen Praxis dann vor den ganz konkreten Folgen dieser Politik, nämlich der Rationierung in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Und nun sagen Sie 'mal einem kranken Menschen, dass er nicht alles das bekommen kann, was medizinisch sinnvoll ist. Da kann man sich dann nicht hinstellen und sagen, Ihre Behandlung ist Teil der Effizienz-Reserven, die wir jetzt heben müssen.

Was ich verdeutlichen möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die statistische Rationierung ist gleichsam das verborgene Prinzip, mit dem die Beitragssatzstabilität erkauft worden ist. Im ärztlichen Alltag aber lässt sich Rationierung nicht mehr verbergen. Da steht der Arzt ganz allein in seiner Erklärungsnot - andere Verantwortliche sind dann weit und breit nicht mehr zu finden! Das kann so nicht bleiben! Es muss Schluss damit sein, dass Ärztinnen und ###SLIDESHOW###Ärzte weiterhin in diesen Rationierungskonflikt getrieben werden. Die ärztliche Therapiefreiheit darf nicht durch das Dogma der Beitragssatzstabilität begrenzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen medizinischen Fortschritt, wir haben eine älter werdende Gesellschaft und wir haben eine Explosion der Leistungsinanspruchnahme ? aber wir haben auch eine Ärzteflucht aus Deutschland. Und wenn es hier nicht noch mehr arztfreie Zonen geben soll, dann muss sich im Verständnis der Gesundheitspolitik und auch im Umgang mit uns Ärzten einiges grundlegend ändern. Wir Ärzte stützen schon mit unbezahlten Überstunden und Mehrarbeit in Höhe von 12 Milliarden Euro maßgeblich das Gesundheitswesen. Aber wird das anerkannt? Wird das honoriert? Im Gegenteil: Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Und damit muss jetzt ein für allemal Schluss sein! Diese staatliche 'Geiz ist geil'-Mentalität hat schon genug Schaden angerichtet. Doch die Politik setzt noch einen drauf: Mit staatlich verordneten Dumpingsätzen für privatärztlich erbrachte Leistungen sollen offensichtlich die Honorarsätze nach unten nivelliert werden. Dieser staatsmedizinische Ansatz demontiert unser Gesundheitswesen und zementiert den Ärztemangel. Wen wundert's da noch, dass der ärztliche Nachwuchs aus Deutschland flüchtet. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir wieder mehr Anerkennung und mehr Freiheit für den Arztberuf. Und deshalb sage ich: Weg mit der Nivellierung! Weg mit der Bürokratisierung! Und weg mit der Rationierung! Wir dürfen es nicht zulassen, dass dieser Sparwahn zu Lasten unserer Patienten weiter um sich greift. Wir müssen uns dagegen wehren, dass Ärzte bestraft werden, wenn sie ihre Patienten nach bestem Wissen und Gewissen behandeln. Die geplante Malus-Regelung bei der Verordnung von Arzneimitteln wird uns aber genau dahin führen. Denn Ärzte sollen mit Honorareinbußen bestraft werden, wenn sie staatlich festgesetzte Verordnungsmargen überschritten haben. Das werden wir nicht akzeptieren: Keine Ärztin, kein Arzt darf dafür bestraft werden, dass er dem Patienten notwendige und zweckmäßige Arzneimittel ausreichend verordnet. Alles andere wäre zutiefst inhuman und auch gesetzeswidrig! Glaubt denn wirklich jemand, Ärzte würden nicht verantwortungsvoll verordnen? Welches Arztbild, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt einer solchen Unterstellung zugrunde? Doch wohl ein von unerträglichem Misstrauen geprägtes Arztbild. Das ist das von Politikdefätisten über Jahre gezeichnete Bild vom schlecht qualifizierten, besser verdienenden Arzt, dem die Patienten nur mit allergrößter Skepsis begegnen dürfen. So hat man uns und unsere Arbeit mies gemacht. Wen wundert es da, dass die Ärzte in Deutschland es satt haben und völlig demotiviert sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass jetzt schon Medizinstudenten im 3. Semester anfangen Norwegisch zu lernen, dass ältere Ärzte vor Erreichen der Altersgrenze aufgeben, dass Krankenhausärzte unbezahlte Marathondienste verweigern und niedergelassene Ärzte nicht mehr drei bis vier Wochen im Quartal kostenfrei für die Krankenkassen arbeiten wollen - das alles ist Ergebnis einer jahrelangen Anti-Ärzte-Politik. Aber das kann so nicht weitergehen! Das lassen wir uns nicht länger bieten! Wir wollen keine Einheitsvergütung, wir wollen keine Einheitsversicherung und wir wollen auch keine Einheitsmedizin. Wir sind ein freier Beruf und dafür werden wir kämpfen."

(Rede von Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer)

Öffentliche Proteste begannen bereits am Montag

Bereits am 16.01.2005 demonstrierten in Magdeburg und Halle nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt rund 1000 niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie ihre Praxishelferinnen gegen die aktuelle Gesundheitspolitik. Sie forderten unter anderem eine bessere Honorierung und weniger bürokratische Zwänge. Im Südwesten rechnete der MEDI-Verbund, der zu der Aktion aufgerufen hatte, mit mehreren tausend geschlossenen Praxen in Nordwürttemberg. In den kommenden Tagen sollen abwechselnd auch die Praxen in den drei anderen Regierungsbezirken des Landes geschlossen werden. Notfallpraxen übernehmen den Notdienst. In Brandenburg blieben insbesondere in Eisenhüttenstadt und Eberswalde Praxen geschlossen, sagte der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, Ralf Herre. Landesweite Praxisschließungen werden für Mittwoch erwartet, weil viele Mediziner zu der großen Protestaktion in Berlin fahren wollen.

Ulla Schmidt widerspricht den Ausführungen der BÄK

Der Frust unter den Ärzten sei riesengroß, so Hoppe in der Zeitung "Die Welt". "Jede sechste Praxis ist in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und steht deshalb unter Bankkuratel." Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wies die Warnungen von Ärzteverbänden vor angeblich in breitem Umfang drohenden Praxisschließungen zurückgewiesen. Es sei "sehr zu bezweifeln", dass die Darstellung von Ärzteverbänden stimme, nach der 20 bis 30 Prozent der Arztpraxen vor dem Aus stünden, sagte Ministeriumssprecher Klaus Vater am Montag in Berlin zu Äußerungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Der Verband der Freien Ärzteschaft geht davon aus, dass am Mittwoch bundesweit die Hälfte aller Praxen geschlossen bleibt. Tausende Ärzte, Patienten und Arzthelfer wollen dann in Berlin, Hamburg, Mainz und München demonstrieren. Ärzte aus Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen wollen ihre Praxen schließen und nach Berlin fahren.

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