Arzneimittel-Report 2006 kritisiert Milliarden- Verschwendung bei Arzneimitteln
Die "Zeit" berichtet: Mitten in der heißen Phase der Gesundheitsreformverhandlungen versorgt der "Arzneimittel-Report 2006" Kritiker der Pharmaindustrie und der Mediziner mit explosiven Daten. Manche Praxisärzte verschwenden demnach durch die unnötige Verschreibung teurer Medikamente Versichertengelder in Höhe von drei Milliarden Euro. Das entspricht 0,3 Beitragssatzpunkten. Nach Ansicht des Studienautors Gerd Glaeske setzen Ärzte mit sorglos verschriebenen Medikamenten sogar vielfach das Leben von Patienten aufs Spiel.
Der Arzneimittel-Report, eine Studie der Gmünder Ersatzkasse (GEK), beleuchtet jährlich die in Deutschland verkauften Arzneien. Seit Jahren beklagt die Studie die hohen Kosten - so auch in diesem Jahr.
Ihr wesentliches Argument: Der therapeutische Fortschritt ist gar nicht so teuer, wie häufig angenommen wird. Denn nur ein Drittel der im Jahr 2005 auf rund 23 Milliarden Euro gestiegenen Arzneimittelausgaben sind auf neuartige Therapien zurückzuführen. Drei Milliarden Euro hingegen werden verschwendet, weil Ärzte jedes vierte durch Generika ersetzbare Medikament weiterhin verschreiben, statt auf die billigeren Nachahmerprodukte umzusteigen. Aber auch Generika seien noch immer zu teuer, sagte die parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (SPD) am Dienstag in Berlin.
Dem Kostenanstieg versucht die Regierung durch ihr seit Mai geltendes Arzneimittel-Sparpaket entgegenzuwirken. Es hat bereits einen Preiskampf unter den Herstellern von Generika ausgelöst. Vom 1. Juli an brauchen Patienten für rund 1.000 Medikamente keine Zuzahlung mehr leisten, wenn sie diese auf Rezept in der Apotheke abholen. Zudem sollen diese Medikamente günstiger sein und aufgrund der Zuzahlungsbefreiung stärker nachgefragt werden. Weitere Sparmöglichkeiten will die Regierung durch die geplante Gesundheitsreform ausschöpfen, etwa indem sie Ärzte verpflichtet, vor der Verordnung von teuren Mitteln eine zweite Meinung einzuholen. In Österreich haben sich die Ausgabensteigerung dadurch halbiert.
Caspers-Merk mahnte die Mediziner: »Man darf keine Arzneimittel verordnen nach dem Motto 'Viel hilft viel'." Dass quantitativ eingespart werden kann, legt die Differenz zwischen den einzelnen Bundesländern nahe: Relativ viel verordnet wird in Ostdeutschland, Berlin und Hessen. Sparsam verschreiben die Ärzte hingegen in Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein.
Der Report listet auch Risiken für Patienten bei der Verschreibung auf. Ältere Menschen, die an mehreren Krankheiten litten, bekämen zu viele Arzneien gleichzeitig verordnet, kritisierte Autor Gerd Glaeske. Obwohl überhaupt nur vier Wirkstoffe gleichzeitig verträglich seien, erhalten über 20 Prozent der älteren Menschen mehr als 13 Medikamente parallel. Viele Medikamente seien zudem überhaupt nicht geeignet für ältere Patienten.
Für Frauen in den Wechseljahren würden beispielsweise zunehmend Hormone eingesetzt, auch wenn es nicht zwingend nötig sei. So erhielten noch immer 22 Prozent der Frauen zwischen 65 und 70 Jahren Hormonpräparate. Brustkrebs, Herzinfarkte und Schlaganfälle können die Folge sein, warnte Glaeske.
Der Autor des Reports führt rund 300.000 Klinikeinweisungen und 16.000 bis 24.000 Todesfälle jährlich auf Wechselwirkungen der Arzneien zurück. Um dem entgegenzuwirken, fordert er, Ärzte künftig besser zu beraten und unabhängig zu informieren. Die Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen etwa sollten rund 1.000 Arzneimittelberater einzustellen, welche die bisherigen Pharmareferenten ersetzen sollen. Denn bislang, so Glaeske, ließen sich die Ärzte zu sehr durch das Marketing der Pharma-Unternehmen beeinflussen.