"Das Einstehen für eigenes Handeln kann nur dann zur Bedrohung werden, wenn man sich seines Handelns nicht sicher ist. Diese Sicherheit muss erlangt und vermittelt werden."

Nadja Kaeding

Ärztliche Haftbarkeit

Sich selbst verpflichtet

Autorin: Dr. jur. Nadja Kaeding | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IWW der Freie Universität Berlin

Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. Der Patient vertraut auf die Wahl einer Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst, der Arzt vertraut auf die Therapietreue des Patienten. Der Arzt unterliegt jedoch auch wirtschaftlichen Zwängen, Fehlbehandlungen gibt es und nicht jeder Patient folgt den therapeutischen Hinweisen. Darüber hinaus kann der Patient seine mögliche Unzufriedenheit mit der Behandlung ausdrücken, indem er eine Fehlbehandlung oder ein Fehlverhalten behauptet und – gegebenenfalls mit Unterstützung Dritter – Schadensersatzansprüche geltend macht. Eine solche Konfrontation, ob zu Recht oder Unrecht, ist belastend – umso mehr, wenn die Auseinandersetzung vor Gericht geführt werden muss.

Nicht selten empfindet der Arzt die ihm obliegende Haftung deshalb als Damoklesschwert, das über dem Behandlungsverhältnis schwebt und jederzeit niederfallen kann; untermalt wird diese Bedrohung mit einer auf Fehlbehandlung und Fehlverhalten fokussierten medialen Berichterstattung.

Für sein Handeln einzustehen, juristisch Verantwortung für sein Tun und dessen Folgen zu übernehmen, ist eine allgemeine Pflicht, die jedem obliegt. Die zivilrechtliche Haftung verlangt eine Pflichtverletzung, also in Hinblick auf die Beziehung Arzt–Patient ein Fehlverhalten oder eine Fehlbehandlung. Für die Vertreter von Heilberufen, insbesondere den Arzt, gelten in der zivilprozessualen Auseinandersetzung Besonderheiten, die dem Patienten unteranderem den Nachweis der Kausalität erleichtern sollen.

Befreien von Abhängigkeiten

Das Einstehen für eigenes Handeln kann nur dann zur Bedrohung werden, wenn man sich seines Handelns nicht sicher ist. Diese Sicherheit muss erlangt und vermittelt werden.

Sicherheit entsteht durch Kenntnis und Unabhängigkeit. Kenntnis meint mehr als das Wissen um den aktuellen Stand der Medizin auf einem Gebiet, das ist Gegenstand der ärztlichen Fortbildung. Der Arzt muss ferner die eigenen Grenzen der Behandlung erkennen und wann Kollegen anderer Fachgebiete oder Vertreter anderer Heilberufe heranzuziehen sind. Immer wieder entstehen Auseinandersetzungen, weil die Zusammenarbeit mit einem Kollegen eines anderen Fachgebietes nicht oder zu spät in Betracht gezogen wurde.

Der Arzt muss um den Wettbewerb, insbesondere zwischen den Anbietern von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, wissen. Mittlerweile bedarf es technischer Unterstützung, um den Überblick über alle angebotenen Produkte behalten zu können. Sicherheit im Umgang mit diesem Wettbewerb, der ihn mit einbeziehen will, erlangt der Arzt, der die evidenzbasierten Grundlagen neuer Produkte und Therapien kritisch bewerten und deshalb eine autonome Entscheidung darüber treffen kann, welche Therapien und Mittel sich für den konkreten Patienten eignen.

Es mag ein Mangel der medizinischen Ausbildung sein, wenn die Fähigkeiten hierfür nicht zwingend vermittelt werden. Aber der Arzt wird unterstützt durch zahlreiche anbieterunabhängige Informationsquellen, insbesondere die Leitlinien der Fachgesellschaften. Sie geben – in Abhängigkeit von der Klassifikation – belastbare Informationen und Hilfestellungen, entsprechend dem zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen Stand der Diskussion. Diese Kenntnis macht unabhängig von den absatzorientierten Informationen jener Anbieter, die den Arzt als Teil ihrer Vertriebskette ansehen – und ihn entsprechend behandeln.

Im Zuge der damit gegebenenfalls verbundenen Annehmlichkeiten wird der Arzt instrumentalisiert und begibt sich seiner Unabhängigkeit. Er handelt letztlich weder im Patienten- noch im eigenen Interesse. Die Einbindung des Arztes in einen Produktvertrieb beeinflusst die Wahl der Therapie und der Mittel; mit der Aufgabe der Unabhängigkeit beginnen Fehleranfälligkeit beim Arzt und Verweigerung der Therapietreue beim Patienten.

Der Arzt kann nicht dafür einstehen, dass beim Patienten ein bestimmter Heilerfolg eintritt. Die moderne Medizin begründet zwar zunehmend Erwartungen an einen konkreten Heilerfolg, trotzdem bleibt jede Therapie mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden; die Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus sind zu groß, als dass ein Erfolg versprochen werden könnte. Dem Patienten das deutlich und wahrheitsgetreu zu vermitteln, ist Aufgabe des Arztes, der damit Souveränität beweist.

Das Verhältnis Arzt-Patient entscheidet

Fazit: Haftung als juristische Verantwortlichkeit für eigenes Handeln ist keine Bedrohung; sondern eine Aufforderung an den Arzt, autonom und aufgrund eigener Kenntnis und kritisch bewerteter Aussagen eine in Hinblick auf den Patienten geeignete und erforderliche Therapie zu wählen und zu vermitteln. In diesem Sinne stärkt die eigene Verantwortlichkeit das Verhältnis zwischen Arzt und Patient.