Nichts im Leben funktioniert ohne Kooperation. Doch gerade im Gesundheitswesen ist die Grenze zur Korruption leicht überschritten. Was ist rechtens? Was moralisch? Wie können Ärzte, Krankenkassen und Leistungserbringer dennoch zusammen arbeiten? Im Grunde ist die Antwort ganz einfach: Wenn alle Vernunft walten lassen.

Über Kooperation

Üb immer Treu und Redlichkeit

Der Mensch ist nicht gern allein. Wir sind Gemeinschaftswesen. Wir brauchen uns, suchen das Echo unser selbst bei anderen. Menschenwürde heißt deshalb: dazugehören, teilhaben, integriert sein und von anderen gebraucht werden, mit ihnen verbunden sein. Wir teilen gerne Tisch und Bett, unsere Zeit, gemeinsame Ideale, unsere Arbeit. Das liegt in unserer Natur: Jeder Mensch ist kooperativ, ganz einerlei, in welchem Arbeits- oder Lebensbereich und ganz gleich, ob Einzelgänger oder Teamplayer.

Das ist so beim sportlichen Teamgeist, bei dem sich jeder einzelne Spieler einer Mannschafft in den Dienst der gemeinsamen Sache stellt. Das ist so innerhalb von Unternehmen, in denen verschiedene Fähigkeiten sich ganz selbstverständlich ergänzen. Und das ist so, wenn verschiedene Leistungserbringer im Gesundheitswesen für das Wohl des Patienten arbeiten. Doch wenn diese Erkenntnis weder neu noch überraschend ist, und wenn wohl kaum jemand daran zweifelt, dass gemeinsam Größeres gelingt als alleine – warum müssen Kooperationen dennoch immer wieder diskutiert, beschrieben und beschworen werden?

Jeder Mensch ist anders

... und jeder Zweck ist anders. Also ist es auch jede Kooperation. Die immer anderen Rollen immer anderer Kooperationspartner müssen voneinander abgegrenzt werden – und gleichzeitig aufeinander abgestimmt. Dafür gibt es keine Blaupause, wohl aber Grundregeln, die für jedes Team in jedem Arbeitsoder Lebensbereich gelten. Zum Beispiel: Wer nur auf seinen eigenen Nutzen bedacht ist, wird ganz automatisch Sand ins Getriebe streuen. Er wird das Konstrukt aus dem Gleichgewicht bringen, Missgunst, Neid und Ungerechtigkeit erzeugen.

Ignorieren wir diese Grundvoraussetzung, ist eine Kooperation als solche zum Scheitern verurteilt. Entweder, weil nicht jeder Kooperationspartner in gleichem Maße profitiert oder weil unter ihrem gemeinsamen Streben nach Profit Dritte außerhalb der Zusammenarbeit leiden. Wenn sich diese dritte Partei nicht im Wettbewerb mit den Kooperationspartnern befindet, sondern auf deren Versorgung angewiesen ist, dann ist die Kooperation gleich zweierlei. Erstens: Sie ist unvernünftig und unmoralisch. Zweitens: Sie ist ungesetzlich.

Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach. Man darf eben gewisse Dinge nicht tun, um an das Geld Anderer zu kommen. Das gebietet die Vernunft, insbesondere im Gesundheitswesen, wo unterschiedliche Akteure für das Wohl des Patienten zusammenarbeiten. Das müssen sie medizinisch, um das Möglichste für das höchste menschliche Gut zu tun. Und das müssen sie wirtschaftlich, um den Patienten keinen wirtschaftlichen Nachteil zu bereiten.

Im Auftrag des Gesetzes

Der Gesetzgeber hat deshalb Vernunft walten lassen, als er im deutschen Gesundheitssystem das Patientenwahlrecht über alles stellte. Der Patient – und nur der Patient – entscheidet darüber, in wessen heilende Hände er seine medizinische Versorgung legt. Danach entscheidet er selbst – und nur er selbst –, in welcher Apotheke er sein Arzneimittelrezept einlöst. Er selbst – und nur er selbst – entscheidet schließlich, welche Therapie- oder Pflegeleistung er gegebenenfalls in Anspruch nimmt – und von wem.

Der große Vorteil: Entscheidet der Patient und sucht er sich seine Leistungserbringer selbst aus, gibt es keine Möglichkeit, diese Entscheidung innerhalb der Wertschöpfungskette des Gesundheitswesens zu beeinflussen. Und genau deshalb sind die Aufgaben, in denen die Leistungserbringer wirtschaftlich und medizinisch tätig sind, im fünften Sozialgesetzbuch klar voneinander abgegrenzt.

Leistungserbringer versorgen strikt getrennt von der ärztlichen Verordnung: Nur Apotheker dürfen Arzneimittel an Patienten abgeben. Daran wiederum dürfen nur Pharmahersteller, Pharmagroßhändler und eben Apotheken verdienen. Auch wenn Patienten von Apotheken, Home-CareVersorgern und Sanitätshäusern mit Hilfsmitteln beliefert werden, dürfen Ärzte nicht mitwirken. So wird die Therapie durch die ärztliche Verordnung des Therapeutikums bestimmt und nicht durch den Lieferanten.

Schöne theoretische Welt

„Es liegt in der menschlichen Natur, vernünftig zu denken und unvernünftig zu handeln“ – auch 90 Jahre nach seinem Tod trifft der französische Dichter Anatole France den Nagel auf den Kopf. Denn in der Theorie mag die Grenze zwischen Kooperation und Korruption klar erkennbar sein. Doch wer inmitten des komplexen Gesundheitssystems handelt, verliert wie überall leicht den Überblick.

Ein Beispiel. Ein Arzt verordnet einer Patientin ein bestimmtes Arzneimittel. Und weil er aus Erfahrung von der Arbeit eines Apothekers überzeugt ist, gibt er der Patientin gleich eine Empfehlung mit auf den Weg. Und schon ist es passiert. Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht: Auch wenn die Patientin ihn nach seiner Empfehlung fragt, ist das nicht als medizinischer Rat einzustufen. Hier übertritt der Arzt dünne Linien, die einen medizinischen Rat von unerlaubter Einflussnahme abgrenzen.

Gier frisst das Gehirn

Eindeutig illegal ist es jedoch, wenn daraus dem Arzt ein wirtschaftlicher Vorteil erwächst. Klingt schlimm, liegt aber nahe, denn für sämtliche verordnungspflichtigen Leistungen, Hilfsmittel oder Medikamente ist der Arzt das Einfallstor. Nur er darf die Verordnungen ausstellen. Da liegt der Anreiz nahe, ihm geldwerte Vorteile für die Bevorzugung eigener Produkte anzubieten, und seinerseits diese Vorteile durch die Mitwirkung an der Patientenversorgung anzunehmen. Das ist die klassische „unzulässige Zusammenarbeit“ im Gesundheitswesen, auf der jedoch grundsätzlich viele Vertriebsaktivitäten fußen.

Damit nicht genug. Weil Produktlieferanten auf Rezepte angewiesen sind, weiten sie diese Zusammenarbeit gerne aus. Sie bieten dem Arzt an, ihm Leistungen abzunehmen und sich etwa um Hausbesuche zu kümmern, wenn der dafür die entsprechenden Produktempfehlungen verschreibt. Der Arzt kann diese Leistungen dennoch abrechnen und kauft einen Service für seine Praxis auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Hersteller von Hilfsmitteln und Arzneien gehen über diese Bereitstellung von Personal mit Mietzuschüssen, Geräten, Praxisausstattung und kostenlosen Praxisbedarfslieferungen nicht selten noch hinaus.

Gewohnheit macht noch kein Recht

Dem Gesetzgeber ist nicht entgangen, dass diese gängige Praxis letztlich auf Kosten des Sozialsystems und der Patienten geht – und dass in Absprachen zwischen Leistungserbringern und Herstellern der Grund für Einsparpotenziale im Gesundheitswesen liegt. Deshalb erfährt der Straftatbestand der Korruption eine Novellierung, bei der sich viele fragen, ob und wie sie in Zukunft eigentlich miteinander kooperieren dürfen. Die Antwort ist ganz einfach: Ärzte und Leistungserbringer dürfen nicht nur, sie müssen auch weiterhin eng zusammenarbeiten für eine qualitätssichernde Patientenversorgung. Aber eben nach den geltenden Spielregeln.

Schon seit Jahren hat § 128 SGB V die unzulässige Zusammenarbeit verboten, jedoch blieben Fehltritte folgenlos. Aber Gewohnheit macht eben noch kein Recht. Deshalb ist der geldwerte Vorteil als Teil der Kooperation nicht mehr nur verboten, sondern nun auch strafbar. Dem Arzt wie den anderen Leistungserbringern droht im schlimmsten Falle eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Damit verstärkt der Gesetzgeber vor allem den Ruf nach Vernunft: Lasst sie walten! Und lasst uns die Zusammenarbeit unter einen offensiven ethischen Duktus stellen.